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Der Arzt im NetzWas die Telemedizin leisten kann und was nicht

Lesezeit 5 Minuten
Arzt am Rechner

Symbolbild

  • In der Corona-Krise suchen immer mehr Verbraucher ärztlichen Rat im Internet.
  • Und auch die niedergelassenen Ärzte setzen immer öfter auf die moderne Technik.
  • Aber was genau taugt diese Form der Medizin? Wir geben einen Überblick.

Über einen Artikel in einer Zeitschrift wurde Dr. Thomas Aßmann 2014 auf die Telemedizin aufmerksam. „Das Prinzip war einfach. Der Arzt schickt eine Medizinische Fachangestellte zum Patienten vor Ort. In einem Rucksack hat sie alles, was sie für eine Untersuchung braucht“, erklärt der Mediziner aus Lindlar. Dazu hat sie ein Notebook mit zertifizierter Software, über die Untersuchungsergebnisse zum Arzt in die Praxis übertragen werden. Der kann sich per Videokonferenz zuschalten.

Aufschwung der Telemedizin

Für Hausarzt Aßmann eine Entlastung: „Häufig ist man für einen Hausbesuch bis zu einer Stunde unterwegs, die Zeit fehlt dann in der Praxis.“ Zudem werde Risikopatienten etwa mit Bluthochdruck geholfen, die wegen der Corona-Krise ungern in die Praxis kommen. „Wir haben aktuell etwa zwei bis drei Einsätze pro Tag, früher waren das etwa fünf pro Woche. Die Corona-Krise bringt uns so den digitalen Innovationsschub“, sagt er. Auch Videosprechstunden mit Einwahl vom häuslichen Rechner sind möglich. „Das passiert aber nicht ganz so häufig. Da haben wir derzeit etwa vier bis fünf Termine pro Woche.“

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein verzeichnet einen Aufschwung der Telemedizin. „Anfangs waren hier das Angebot und die Nachfrage noch sehr zurückhaltend. Es gab auch kein flächendeckendes Angebot, auch weil keine vernünftige Vergütung für die Videosprechstunden zur Verfügung stand“, sagt Bernhard Acke von der Stabsstelle eHealth. Mit der Corona-Krise sei das Angebot regelrecht explodiert. „Wir gehen davon aus, dass momentan etwa ein Drittel bis die Hälfte der niedergelassenen Ärzte Telemedizin einsetzt, auch um Infizierte im Wartezimmer zu vermeiden. Nach der Krise wird sich die Entwicklung wohl verlangsamen, aber verstetigen“, sagt Acke.

Vielfältige Einsatzbereiche

Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. So kann ein Arzt in der die Videosprechstunde Operationswunden begutachten. Psychotherapeuten ersparen ihren Patienten in Viruszeiten den Weg zur Praxis. Kardiologen wie Dr. Detlef Gysan aus Köln-Poll kümmern sich per Telemedizin um Patienten mit Herzrhythmusstörungen, denen ein sogenannter Defibrillator implantiert wurde. Der Patient hat auf seinem Nachttisch einen kleinen Rechner, der die Daten des Gerätes per Telefonleitung in die Praxis überträgt. „So kann ich die Funktion regelmäßig überprüfen, und auch Notfälle werden sofort gemeldet.“ Nur noch einmal im Jahr, nicht mehr alle drei Monate, muss der Patient zur Kontrolle kommen.

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Im Oktober 2019 wurde die Abrechnung von Telemedizin reformiert. Rechnet der Arzt das erste Quartal mit einer Videosprechstunde ab, bekommt er nun einen Zuschlag für die neue Technik. Wird diese regelmäßig genutzt, gibt es Abschläge von 20 bis 30 Prozent, da der Aufwand geringer ist als bei einem Patientenbesuch in der Praxis. Der Besuch der Fachangestellten beim Patienten wird regulär abgerechnet. Nicht extra vergütet wird bislang, wenn sich der Arzt zuschaltet. „Das ist noch ein offener Punkt. Wir hoffen, auch das künftig vergüten zu können“, sagt Acke. Kritischer sieht das Dr. Jens Wasserberg als zweiter Vorsitzender des Hausärzteverbands Nordrhein: Standards fehlten. Telemedizin sei „für die Ärzte noch nicht attraktiv und lukrativ genug, um sie wirklich umzusetzen“.  Wasserberg: „Dazu kommt, dass unsere Patienten nicht so digitalaffin sind und den persönlichen Kontakt bevorzugen.“ Deutlich wichtiger und einfacher sei die telefonische Beratung.

Was einzelne Anbieter leisten

Die Techniker Krankenkasse bietet ihren Versicherten bei acht Krankheitsbildern eine Fernbehandlung über Video-App an. Eine Telefonhotline vermittelt dabei zu Ärzten. Schon länger gibt es Onlineplattformen wie Online-Doctor, Teleklinik oder Zava.

Die Plattform onlinedoctor.de, die auf Hautkrankhheiten spezialisiert ist und mit dem Berufsverband Deutscher Dermatologen zusammenarbeitet, verzeichnete in den Monaten März und April ein Nachfragewachstum von deutlich über 500 Prozent und gewann über 200 neue Ärzte als Partner, jetzt sind es insgesamt 500.

Angeboten werde eine „virenfreie“ Diagnose vom Facharzt, sagt Dr. Philipp S.F. Wustrow, Partner der Plattform. Dabei geht der Patient auf die Web- site und wählt ortsunabhängig einen der Fachärzte aus. Ein automatisierter Chat fragt Informationen ab, der Patient lädt drei Fotos der betroffenen Hautpartie hoch. Binnen  48 Stunden kommt eine Handlungsempfehlung. Anders als bei Zava gibt es kein Rezept nur aufgrund digitaler Kommunikation. Eine Ausweitung auf andere Fachbereiche ist geplant. Bislang wird privat abgerechnet (39 Euro pro Fall), mit führenden Krankenkassen wird verhandelt. „Wir gehen davon aus, dass auch Kassenpatienten die Rechnung bald rückerstattet bekommen“, sagt Wustrow.

Das sagen Verbraucherschützer

Nutzen: Tanja Wolf, Referentin Gesundheitsmarkt der Verbraucherzentrale NRW,  begrüßt die Möglichkeiten der Videosprechstunde, die durch die Corona-Krise niedrigschwelligen Arztkontakten einen Schub gegeben habe. Auch Betreiber von Telemedizinplattformen verzeichneten eine große Nachfrage. Patienten bekämen mehr Auswahl und könnten lange Wartezeiten bei Fachärzten umgehen. Der Arztmangel im ländlichen Raum könne ausgeglichen werden. Weiterer Pluspunkt für Wolf: Es sei schneller zu klären, ob ein Arztbesuch überhaupt nötig ist. Risiken: Online-Angebote können verschiedene Haken haben. Die Belastbarkeit einer Diagnose könnte durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) eingeschränkt werden. Auch Preise und Zahlungsmodalitäten könnten hier versteckt sein sowie eine Weiterleitung von sensiblen Daten an Dritte.

Grenzen: Ein persönlicher Arztkontakt bleibe wichtig, meint Verbraucherschützerin Wolf. Online-Sprechstunden könnten ihn nur teilweise ersetzen. Bei einer Fernbehandlung könnte ein Arzt beispielsweise Anzeichen für ganz andere Probleme, als der Patient sie schildert, übersehen.  Angebote, bei denen Patienten nur einen Online-Fragebogen ausfüllen und nicht einmal in einer Videosprechstunde Kontakt zum Arzt haben, seien deshalb nur für einen sehr eingegrenzten Bereich einsetzbar.

Rezepte:  Mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung wurde das Fernverordnungsverbot abgeschafft, so Sabine Wolter, Referentin Gesundheitsrecht bei der Verbraucherzentrale NRW. Ärzte dürfen nach einem nicht-direkten Patientenkontakt, etwa nach Online-Beratung, Rezepte ausstellen. Apotheken müssen Rezepte, die etwa per Post eingehen,  aber auf Echtheit prüfen, so Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein. Aktuell läuft zudem ein Feldversuch mit elektronisch ausgestellten Rezepten. (raz)

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