Interview mit Großschlachter Tönnies„Wir sind als Branche total unter Wasser“

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Clemens Tönnies 

Clemens Tönnies 

  • „Unter Wasser“ – so umschreibt Fleischunternehmer Clemens Tönnies den Zustand seiner Branche.
  • Die Schweinekrise mache allen zu schaffen. Im Gespräch mit den Redakteuren Dirk Fisser und Nina Kallmeier fordert er eine Reaktion von der Politik.

Herr Tönnies, die Interessenvertretung der Schweinehalter hat kürzlich eine Umfrage vorgestellt: Jeder Zweite will aufgeben. Haben Sie Sorge, dass Ihnen die Bauern ausgehen?

Wir alle in der Kette, vom Bauern bis zum Schlachter, haben derzeit eine unglaublich schwere Zeit. Wir sind als Branche total unter Wasser. Ich habe so etwas in 50 Jahren noch nicht erlebt. Zwei Seuchen auf einmal machen sowohl Landwirten als auch Schlachtern und Zerlegern zu schaffen. Corona und Afrikanische Schweinepest führen diesen Wirtschaftszweig an den Rand der Belastbarkeit. Doch so eine Krise ist auch eine Chance, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Jetzt gilt es, einen Zukunftsplan zu entwickeln. Konzepte dafür sind ja vorhanden. Der wichtigste Baustein ist die Umsetzung des Borchert-Papiers.

Zur Person

Clemens Tönnies, geboren 1956 in Rheda, ist Miteigentümer der Unternehmensgruppe Tönnies Holding und war von 2001 bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender des Fußballvereins FC Schalke 04. Tönnies und seine sechs Geschwister wuchsen als Kinder eines Metzgers in Rheda auf. 1994 übernahm er die Geschäftsführung und verantwortet seitdem die Konzernentwicklung der Tönnies Holding. Das Familienunternehmen ist Deutschlands größter Schlachtbetrieb für Schweine sowie an zahlreichen Lebensmittelfirmen beteiligt. Gleichberechtigte Eigentümer sind Clemens Tönnies und sein Neffe Robert Tönnies.

Moment! Die Erzeugerpreise, die Landwirte bekommen, sind im Keller. Aber die Preise im Supermarkt sind stabil. Irgendjemand muss sich da doch die Taschen vollmachen.

Wir sind es nicht. Ich habe den Landwirten angeboten, einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer in unsere Bücher gucken zu lassen. Der kann dann mal nachrechnen und wird zu dem Ergebnis kommen: Wir gehen auch in dieser Situation fair mit den Landwirten um. Ich möchte aber betonen: Wir alle müssen dafür sorgen, dass die Bauern wieder eine Perspektive sehen. Sonst wird die Tierhaltung hier über kurz oder lang beendet und mit ihr der ganze Wirtschaftszweig.

Wer sind „Wir“?

Damit meine ich den Handel, die Fleischwirtschaft, aber auch ganz besonders die Politik. Wenn man sich die Ergebnisse der Umfrage, die Sie genannt haben, ganz genau anschaut, dann macht die wirtschaftlich angespannte Lage den Bauern ganz bestimmt schwer zu schaffen. Aber Grund Nummer eins für die Perspektivlosigkeit ist die politische Unsicherheit. Wir brauchen ein klares Bekenntnis der Politik zur Landwirtschaft in Deutschland. Das fordere ich von den Parteien ein und von der kommenden Bundesregierung, egal, wer sie denn dann bildet. Die Alternative bedeutet den weiteren Abbau der hiesigen Landwirtschaft und die Steigerung von Lebensmittelimporten. Sprich: Jeder Stall, der hier abgerissen wird, wird in Spanien wieder aufgebaut, um den deutschen Verbraucher mit Fleisch zu versorgen. Das kann doch niemand ernsthaft wollen.

Ein Bekenntnis ist ja noch keine Garantie für die Zukunft…

Stimmt. Mehr als 10000 Landwirte beliefern Tönnies. Darunter sind viele junge Bauern mit tollen Ideen. Die wollen weitermachen, die hängen an ihrer Scholle, die wollen ihre Tiere künftig besser halten, aber können es nicht, weil notwendige Umbauten nicht genehmigt werden. Niemand kann ihnen also sagen, wie es weitergeht, wie der Stall der Zukunft denn nun aussehen soll. Die rufen manchmal bei mir an und sagen: „Clemens, was soll ich machen?“

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Und was sagen Sie denen?

Es gibt einen Fahrplan, wie der Umbau funktionieren kann! Die Borchert-Kommission hat den im Auftrag der alten Bundesregierung entwickelt: bis 2040 alle Tiere in Offenställen halten. Wir stehen hinter diesem Ziel. Das muss umgesetzt werden. Aber auch für die anderen Landwirte, die gerade neu gebaut haben und nicht erneut umbauen können, haben wir Tierwohlkonzepte parat.

Sehr umstritten ist die Frage der Finanzierung.

Die Bauern dürfen mit den Umbaukosten nicht alleingelassen werden. Ich sehe zwei Möglichkeiten: Einmal die Finanzierung über Steuern, beispielsweise eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Aber da gibt es wohl begründete Zweifel, ob das Geld wirklich in der Landwirtschaft landet. Die andere Idee ist der Tierwohlbeitrag, der dann in einen Fonds fließt. Was besser ist? Ich befürworte alles, was die Umsetzung voranbringt! Das Thema ist eigentlich durch, die Medaille ist so oft gedreht worden. Die neue Bundesregierung muss das endlich durchziehen. Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten.

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