Rundschau-SerieWie das Rheinische Revier den Strukturwandel schaffen will

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Rheinisches Revier

Nordrhein-Westfalen, Morschenich: Im Tagebau Hambach arbeiten Bergbaumaschinen. 

  • Mit dem absehbaren Ende der Braunkohleförderung muss die Region einen Strukturwandel stemmen.
  • In einer Kurzserie zeigt die Rundschau Chancen und Probleme für das Rheinische Revier auf.
  • Im ersten Teil geben wir einen Überblick. Eine neue Folge erscheint einmal wöchentlich.

Köln – Der Braunkohleabbau hat die Region zwischen Köln, Aachen und Mönchengladbach Jahrzehnte geprägt. Noch immer graben riesige Bagger die Erde um. Hier wird immer noch knapp ein Achtel des bundesdeutschen Stroms produziert. Damit ist spätestens 2038 Schluss, wenn die Braukohleverstromung, bei der riesige Mengen an CO2 freigesetzt werden, endet. In den Tagebauen Inden und Hambach endet die Förderung bereits Ende 2029. Die ersten Kraftwerke sind vom Netz.

Die Aufgabe

Strukturbrüche sollen vermieden werden. Oder in der Bergmannssprache: „Es soll niemand ins Bergfreie fallen.“ Das ist gar nicht so einfach. Gut 9000 Mitarbeitende hat RWE noch in der Braunkohle. Dazu kommen Stellen bei Zulieferern. Zusammen sorgen sie für Jobs bei Bäckern, Einzelhändlern oder Handwerkern. Die Stellen bei RWE sollen sozialverträglich über Vorruhestand und Abfindungsprogramme abgebaut werden. 3000 Jobs fallen bis 2023 weg, 6000 insgesamt bis 2030. Und weil die Kohlemenge, die im Rheinischen Revier noch abgebaut werden kann, um über eine Million Tonnen reduziert wird, weil die Tagebaue in Garzweiler und Hambach mindestens sieben Jahre früher enden als geplant, muss auch der Umbau des Reviers schneller erfolgen. Dass der Kohleabbau endet, war den Entscheidungsträgern in der Region klar. Sie entwickeln schon länger Ideen für die Zeit danach. Jetzt müssen sie sich sputen. Helfen werden dabei 15 Milliarden Euro für den Strukturwandel über 20 Jahre vom Bund.

Die Voraussetzungen

Die sind gar nicht schlecht. „Das Rheinische Revier steht gut da im Vergleich mit den Revieren im Osten Deutschlands und auch im Vergleich mit anderen Regionen in NRW“, sagt Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft. Bruttoinlandsprodukt und Wertschöpfung seien hier überdurchschnittlich, die Arbeitslosigkeit geringer. In der Städteregion Aachen lag die Arbeitslosenquote mit 8,2 Prozent im September leicht über dem NRW-Schnitt von 7,9 Prozent. In den anderen Kreisen im Revier war sie deutlich niedriger, im Rhein-Kreis Neuss etwa bei 6,3 Prozent. Außerdem ist die Wirtschaftsstruktur laut Röhl im Rheinischen Revier weniger stark von Kohle geprägt als in anderen Braunkohlerevieren.

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Es gibt hier auch viele Facharbeiter, die für andere Arbeitgeber als RWE interessant wären. Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer hat sie bereits umworben und versucht, ihnen einen Wechsel ins Handwerk schmackhaft zu machen. Ob das viele machen, ist fraglich. RWE hat so gut bezahlt, dass ein abgefederter Übertritt in den Vorruhestand attraktiver sein dürfte. Außerdem gibt es eine blühende Hochschullandschaft mit den Unis Aachen und Köln und dem Forschungszentrum Jülich mit über 6000 Mitarbeitenden, die die Zukunft der Informationstechnologien untersuchen sowie den Wandel des Energiesystems oder eine nachhaltige Bioökonomie.

Zukunftsentwürfe

Die Region will Industrie- und Energieregion bleiben, betonen Entscheidungsträger und die Zukunftsagentur Rheinisches Revier, die mit der Politik den Strukturwandel steuern möchte. An Vorhandenes wie das Forschungszentrum Jülich anknüpfend, geht es um Innovation und Bildung oder um Infrastruktur. Es gibt Ideen rund um autonomes Fahren, um Bioökonomie oder nachwachsende Rohstoffe, aus denen Kunststoff gewonnen werden kann. Auch Landwirtschaft spielt eine Rolle.

Die Chancen

RWE und Forschungszentrum Jülich haben einige Wege schon geebnet. In Weisweiler will RWE mit Partnern aus Wissenschaft und Fachbehörden die Nutzung von Geothermie für die Aachener Fernwärmeversorgung erkunden. Viel wird in der Region über Energiespeicher nachgedacht. RWE erprobt einen Wärmespeicher, bei dem überschüssiger Strom Salz auf bis zu 560 Grad erhitzt. Bei erhöhtem Bedarf kann dieses flüssige Salz Dampf erzeugen, der eine Turbine antreibt. Zunächst sorgt ein Kohlekraftwerk für Strom, in Zukunft sollen das Sonne und Wind erledigen. Dazu sollen etwa Solaranlagen auf den Tagebau-Seen und auf den Böschungen gebaut werden. Erste Windkraftanlagen im Revier gibt es.

Bis zu großen Stromspeichern ist es freilich noch ein weiter Weg. Schließlich sollen die ja auch mehrere Tage Dunkelflaute überbrücken, wenn mal der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Und für große Speicher braucht es viel Energie. Ob die im Revier einmal in dem Maße hergestellt wird wie derzeit mit Braunkohle ist heute kaum vorstellbar. Der Strom müsste also über Leitungen hierhin kommen. Überschüssiger Wind- oder Solarstrom könnte auch zur Erzeugung von grünem Wasserstoff genutzt werden. Rund um das Thema wird in Jülich gearbeitet, etwa an einer Technik, wie Wasserstoff leichter transportiert werden kann.

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Die Region hat auch die Flächen, die umliegenden Großstädten fehlen. Da sind Industrieansiedlungen möglich, sagt Röhl. Es muss nicht immer gleich Tesla sein. Derart große Ansiedlungen gelängen eher im Osten. Aber auch in NRW gebe es Industriebetriebe mit Hunderten Mitarbeitern, die sich vergrößern, aber in NRW bleiben wollten.

Die großen Seen, die in den ehemaligen Tagebauen entstehen sollen, können auch Touristen anlocken oder Bürger, die nicht unbedingt in der Großstadt leben wollen. Bis zur Urlaubsregion Rheinisches Revier ist es freilich noch ein weiter Weg. Die Städteregion Aachen, der Rhein-Kreis Neuss und die Kreise Rhein-Erft und Düren hatten 2019 gerade einmal 4,7 Millionen Übernachtungen in Hotels und auf Campingplätzen. Allein Köln hatte da rund zwei Millionen mehr.

Dass die Region einmal Tagesausflügler und Urlauber anlockt, kann sich Röhl vorstellen. Er gibt freilich zu bedenken, dass die Wertschöpfung in der Branche gering ist. Und es dauert, bis Touristen Geld in die Region bringen. Vorher muss viel in den Landschaftsumbau investiert werden. Wenn der Tagebau Inden etwa ausgekohlt ist, dauert es wohl 30 Jahre bis sich hier ein bis zum Rand gefüllter See gebildet hat.

Das Fazit

Es gibt gute Voraussetzungen, viel versprechende Ansätze, viel Fördergeld und viele Ideen. Daraus sollte sich etwas machen lassen. Die alle Probleme lösende Idee ist freilich noch nicht in Sicht. Das ist vielleicht auch zu viel verlangt. Seit gut einem Jahr gibt es etwa die Zukunftsagentur Rheinisches Revier. Das Kohleausstiegsgesetz ist seit Mitte August in Kraft. Spätestens 2038 sind aber 9000 Kohlejobs im Revier weg. Vielleicht geht es auch schneller. Wird doch der Kohleausstieg 2026 dahingehend überprüft. Sonderlich viel Zeit bleibt also nicht.

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