Blaues Auge in BrandenburgEine dramatische SPD-Aufholjagd sorgt für Partystimmung

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Landete mit der SPD in Brandenburg knapp vor der AfD: Dietmar Woidke.

  • Dietmar Woidke ist sichtlich erleichtert, als er um 18.25 Uhr auf die kleine Bühne im Gebäude der Potsdamer Landesbibliothek tritt.
  • Etwa 27 Prozent bedeuten zwar einen Stimmenverlust von knapp fünf Prozentpunkten für die SPD, doch der Ministerpräsident konnte mit den Sozialdemokraten zumindest wieder stärkste Kraft in Brandenburg werden.
  • Was bedeutet das Ergebnis für die politische Lage im Osten? Welche Koalitionen sind nun denkbar, welche nicht?

Er grinst, doch jubeln wie seine Mitkämpfer im Raum will Dietmar Woidke nicht. „Ich bin froh, dass wir ein sehr, sehr gutes Ergebnis haben. Was mir Sorgen macht, ist das Ergebnis der AfD.“ 22,7 Prozent haben den Prognosen zufolge ihr Kreuz bei der rechten Partei gemacht, die AfD konnte nach der Wahl vor fünf Jahren 10,5 Prozentpunkte zulegen. 

Partystimmung bei den Sozialdemokraten 

Was die Sozialdemokraten in Partystimmung an diesem Abend versetzt, ist die dramatische Aufholjagd, die Woidke gelungen ist. Anfang August sahen Umfragen die SPD bei nur 17 Prozent, die AfD hingegen bei 21. Für Woidke war das niederschmetternd, er machte jedoch unbeirrt weiter. Jetzt erklärt er den Erfolg auf den letzten Metern so: „Das hat erstmal mit der Personalisierung im Wahlkampf zu tun“, so Woidke.

Die Menschen hätten sich genauer angucken können, wer für die Führung des Landes in Frage komme. Woidke setzte auf einen Biertisch-Wahlkampf, auf die Begegnung bei Bratwurst und Pils. Ein zweiter Erfolgsfaktor sei die Polarisierung gewesen, so Woidke. „Viele Menschen wollten nicht, dass die AfD stärkste Kraft wird. Das hat uns geholfen.“ Jett spricht der Ministerpräsident von einer „immensen Leistung“.

Alles zum Thema Olaf Scholz

Vielleicht nutzten ihm auf den letzten Metern auch noch Meldungen über AfD-Spitzenkandidat Andreas Kalbitz, der einräumen musste, 2007 an einer Demo mit Rechtsextremen in Athen teilgenommen zu haben. Dabei soll er mit mehreren NPD-Politikern in einem Hotel gewesen sein. Woidke wird damit zu einem Stabilisator für seine Partei.

Olaf Scholz stimmt zu

Das sieht auch Olaf Scholz so. Der Bundesfinanzminister und seine Ehefrau Britta Ernst (SPD), Brandenburgs Bildungsministerin, sind unter den Gästen. „Es ist gut für die SPD“, sagt Scholz mit Blick auf das Ergebnis. Als Rückenwind für seine Kandidatur als SPD-Chef empfindet es der Vizekanzler jedoch nicht. Das solle man nicht vermischen, sagt er.

Woidke wird nun erst einmal durchschnaufen nach dem Wahlkampf, der Mitte Juli begann. 14-Stunden-Tage waren die Regel, fast jeden Abend besuchte er eine Veranstaltung. Ein Selbstläufer war der Wahlkampf nicht. Woidke ist bei vielen Menschen beliebt, gilt zugleich jedoch als farblos. Er hört gut zu, kann auf die Menschen zugehen und mit ihnen am Biertisch entspannt reden. Ein rhetorisches Genie ist er aber nicht, seine Wahlkampfrede riss kaum jemanden vom Hocker. Und Woidkes Wahlspruch „ein Brandenburg“ kam nicht überall gut an.

Das Land ist gespalten

Zu unterschiedlich ist das Land, das sich von der strukturschwachen Uckermark im Norden bis zum Touristenmagneten Spreewald im Süden erstreckt. Mittendrin liegt Berlin, in das viele Brandenburger pendeln. Das Land ist gespalten.

Heike und Andreas spazieren an diesem Wahlsonntag durch Potsdam, besuchen ein Stadtfest. Ihr Kreuzchen haben sie schon gemacht, sie wohnen bei Lauchhammer in einem Dorf nahe der sächsischen Grenze. Von dort sind Potsdam und Berlin weit weg. Dresden ist viel näher. Es gibt einen Schulbus, ansonsten keinen öffentlichen Nahverkehr. Fachärzte auch nicht.

Und in Dresden sehen es die Praxen nicht gerne, wenn auch noch die Brandenburger einen Termin haben wollen. Die 57-jährige Pflegefachkraft ist frustriert. „Wir fühlen uns abgehängt“, sagt Heike, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte. Ihr Mann und sie hätten früher immer CDU und FDP gewählt. Das gehe jetzt aber nicht mehr, sagt Andreas. Der haben Sympathien für die AfD, wenn auch nicht wegen deren Migrationspolitik. „Wir haben nicht einen Flüchtling bei uns, mir haben die noch nichts getan“, sagt Heike. Aber das mit dem Nahverkehr und den Ärzten, das ärgert sie. Und Andreas fürchtet sich vor einer strengen Umweltpolitik. „Wir sind auf das Auto angewiesen“, sagt er. Das müsse bezahlbar bleiben.

„Niemand kann zaubern“

Für den Kellner im Italiener in der Potsdamer Innenstadt sind solche Probleme weit weg. Er mag Woidke. „Niemand kann zaubern“, sagt er. Aber „der Woidke“ tue das, was von ihm verlangt werde. Die AfD hingegen hält er für brandgefährlich. „Die wollen nur an die Macht“, ist er überzeugt. Für die Menschen hätten sie aber noch nichts getan. Und die Leute, die ihnen folgen würden, seien schlicht blind. „Die verschließen die Augen vor den Faschisten“, so der Mann, der seinen Namen nicht nennen will. Am Haus gegenüber des Restaurants hat jemand ein Transparent mit der Aufschrift „Fuck AfD“ aus dem Fenster gehängt.

Brandenburg ist nicht eins, Woidke will aber daran arbeiten. Nur mit wem? Klar ist: Für eine Fortsetzung der Koalition mit den Linken reicht es nicht. Mit den Grünen gäbe es eine Mehrheit im Dreierbündnis. Woidke will nun „möglichst schnell“ in die Sondierungsgespräche gehen. „Die Arbeit beginnt“, sagt er kurz bevor er die Bühne verlässt. Und schiebt noch hinterher: „Feiert noch ein bisschen!“

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