Frage des TagesSeenotrettung: Pflicht der EU-Staaten?

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Die EU-Kommission pochte auf verbindliche Lösungen für in Europa ankommende Flüchtlinge.

Berlin – Bundeskanzlerin Angela Merkel pocht angesichts tödlicher Fluchtrouten durchs Mittelmeer und riskanter privater Seenotrettung auf die Wiederaufnahme der in der EU umstrittenen staatlichen Hilfe. „Sicherlich wäre es gut, wir hätten auch heute wieder eine Mission „Sophia“ und staatliche Schiffe, die retten würden“, sagte Merkel am Donnerstagabend nach Reuters-Angaben am Rande des Zapfenstreichs für Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU) in Berlin.

Seenotrettung sei ebenso notwendig wie die Bekämpfung von Schleusern. Während das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) Merkels Vorstoß dankbar aufnahm, äußerte sich der Innenexperte der Unionsfraktion, Armin Schuster (CDU), skeptisch.

EU-Kommission pocht auf 
verbindliche Lösung

Angesichts der jüngsten Hängepartie um das Rettungsschiff „Open Arms“ pochte auch die EU-Kommission auf verbindliche Lösungen für in Europa ankommende Flüchtlinge. „Die Situation, dass Menschen tage- und wochenlang auf See festsitzen, ist unhaltbar“, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde. „Einmal mehr werden wir daran erinnert, dass verlässliche und dauerhafte Lösungen im Mittelmeer dringend nötig sind, um sicherzustellen, dass Menschen schnell und sicher von Bord gehen können, und die Hilfe erhalten, die sie benötigen.“

Zuvor hatten sich sechs europäische Staaten zur Aufnahme von Menschen von dem blockierten Rettungsschiff „Open Arms“ bereit erklärt. Nach Angaben von Italiens Premier Giuseppe Conte vom Donnerstag handelt es sich um Frankreich, Deutschland, Rumänien, Portugal, Spanien und Luxemburg.

Europäische Mission „Sophia“ 
als Vorbild

Regierungssprecher Steffen Seibert betonte am Freitag, die Bundesregierung bedauere, dass es die europäische Mission „Sophia“ nicht mehr gebe: „Wir haben mit Überzeugung an dieser Mission teilgenommen.“ Es gebe aber in der Frage der Verteilung von geretteten Flüchtlingen in der EU derzeit keine Einigung.

Es müsse jedoch zu einer besseren und solidarischeren Beteiligung der europäischen Partner kommen, sagte Seibert und betonte: „Wir würden ein neues Mandat, wenn es diese Einigung gäbe, begrüßen.“ Er verwies darauf, dass sich Deutschland in jedem Einzelfall an der Aufnahme von Geretteten beteiligt habe. Es könne aber nicht bei einer „ad-hoc-Verteilung“ bleiben.

„Das kann für die EU kein Problem sein.“

Mit „Sophia“ hatten EU-Schiffe seit 2015 Zehntausende Migranten aus dem Mittelmeer gerettet, die vorrangig nach Italien gebracht wurden. Die EU-Staaten haben sich aber bis heute nicht auf eine faire Verteilung der Flüchtlinge geeinigt. Die Mission wurde ausgesetzt, was das UN-Flüchtlingshilfswerk als faktische Einstellung des Marineeinsatzes wertet.

Der Sprecher des UNHCR in Deutschland, Chris Melzer, sagte unserer Redaktion: „Wir fordern schon lange mehr Seenotrettung, weil man Menschen einfach nicht ertrinken lässt.“ Es gehe um eine vergleichsweise kleine Zahl an Flüchtlingen. „Das kann für die EU kein Problem sein.“

Melzer betonte, es müssten nicht alle Migranten dauerhaft aufgenommen werden. „Aber man muss sie anhören.“ Italien droht privaten Seenotrettern inzwischen mit Strafen bis zu einer Million Euro, wenn sie unerlaubte Manöver auf See ausführen.

Das sagen Merkels 
Kritiker

Merkels Kritiker halten die organisierte Hilfe für indirekte Unterstützung der Schlepper, weil Migranten diesen viel Geld für eine lebensgefährliche Überfahrt in überfüllten Schlauchbooten zahlten in der Hoffnung, von einem richtigen Schiff aufgenommen zu werden. Dieser sogenannte Pull-Faktor wird jedoch von Einrichtungen wie dem italienischen Institut für Internationale Politikstudien bestritten. Demnach riskierten Flüchtlinge so oder so ihr Leben, weil sie keine Alternative in ihren Heimatländern oder in Lagern in Libyen sähen, von wo aus sie aufbrechen.

Die Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“ spricht von „Sklavencamps“ in Libyen. Der Innenexperte der Unionsfraktion im Bundestag, Armin Schuster (CDU), reagierte skeptisch auf Merkels Vorstoß. „Auch mir ist sehr daran gelegen, dass keine Menschen mehr im Mittelmeer ertrinken“, sagte er unserer Redaktion. Aber: „Staatliche Rettungsaktionen animieren vielleicht noch mehr, in die Boote zu steigen.“

Gegenvorschlag von Innenexperte Armin Schuster

Erfolgsversprechender wäre seiner Ansicht nach eine Vereinbarung nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens. Spanien, Griechenland, Italien, Malta, Frankreich und Deutschland müssten ein solches Abkommen mit Ländern südlich der Sahara wie Gambia, Nigeria und Senegal abschließen. Sie könnten wie die Türkei finanziell unterstützt werden und Visa-Erleichterungen für Fachkräfte bekommen, wenn illegale Migration so verhindert wird oder nicht Schutzbedürftige wieder aufgenommen werden würden.

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