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Frage des TagesZehn Jahre Misbrauchsskandal: Tut die Kirche genug für die Aufklärung?

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Missbrauch_Kirche

Die Aufarbeitung des Missbrauchs in der Kirche läuft auch nach zehn Jahren nur schleppend.

Bad Neuenahr – Vor zehn Jahren wurde der Missbrauchsskandal zunächst in der katholischen Kirche aufgedeckt. Seitdem geht es um Aufklärung – auch in der Evangelischen Kirche im Rheinland (Ekir).

Was unternimmt die Evangelische Kirche im Rheinland?

Auf der bis zum Donnerstag tagenden Landessynode der EkiR soll ein neues Präventionsgesetz beschlossen werden. Es regelt, dass alle hauptamtlich Mitarbeitenden bei Dienstbeginn und danach alle fünf Jahre ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen. Für Ehrenamtliche gelten dieselben Regelungen, abhängig davon, wie intensiv ihr Kontakt zu Minderjährigen oder abhängigen Volljährigen im Rahmen des Ehrenamtes ist.

10 Jahre Missbrauchsskandal

Am 14. Januar 2010, vor genau zehn Jahren also, vertrauten sich drei ehemalige Schüler am Berliner Canisius-Kolleg dem damaligen Schulleiter, Pater Mertes, an. Sie erzählten ihm, dass sie in den 70er und 80er Jahren an der Schule sexuell missbraucht wurden. Der Gründer und heutige Sprecher des Betroffenenvereins „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, war einer der drei Schüler.

Pater Mertes reagierte mit einem Brief an etwa 600 ehemalige Schüler, in dem er unter anderem um Entschuldigung für möglichen Missbrauch durch Lehrer an der Eliteschule bat. Insgesamt meldeten sich etwa 100 Betroffene bei Opferbeauftragten, Anwälten und Initiativen. Mertes setzte damit eine bundesweite Debatte über Missbrauch an Bildungseinrichtungen in Gang. In der katholischen wie der evangelischen Kirche wird derzeit über ein Verfahren zur Entschädigung der Opfer diskutiert. (dpa)

Verstöße gegen jede Form sexueller Enthaltsamkeit müssten künftig gemeldet werden. Alle Körperschaften und Einrichtungen seien verpflichtet, ein Schutzkonzept zu erstellen. Zudem soll es ein Einstellungsverbot für Personen geben, die rechtskräftig wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung verurteilt worden sind.

Wieviele Missbrauchsfälle sind in der Rheinischen Kirche bekannt?

Das lässt sich nicht genau sagen: Denn nicht alle Vorwürfe werden zentral erfasst. Klar ist: Im Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland sind seit 2003 insgesamt 29 strafrechtliche oder disziplinarrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Pfarrerinnen und Pfarrer wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs geführt worden. In 14 Fällen kam es laut Kirchensprecher Jens-Peter Iven zu Urteilen.

Neun Verfahren wurden eingestellt. Sechs Verfahren sind noch anhängig, davon laufen in drei Fällen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Bundesweit sind bisher 770 Fälle in der evangelischen Kirche bekannt geworden. Davon knapp 60 Prozent in der Diakonie (z.B. Jugendhilfe, Heimkinder) und etwas mehr als 40 Prozent im Bereich der eigentlichen Kirche.

Gibt es auch Verfahren gegen andere Mitarbeiter?

Ja. Der Missbrauch in der evangelischen Kirche zeichnet sich nach  Worten der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, die auf EKD-Ebene das Thema bearbeitet, ja gerade dadurch aus, dass es nicht nur Pfarrerinnen und Pfarrer sind, die als Täter gelten. Vielfach werden auch Jugendmitarbeiter oder Ehrenamtliche beschuldigt. Hier ist es allerdings die Dezentralität der Rheinischen Kirche, die zum Problem wird: Denn diese Menschen sind im Rheinland vor Ort, in den Kirchengemeinden angestellt. „Bei privatrechtlich angestellten Mitarbeitern sind die Anstellungsträger verantwortlich, also etwa die Kirchengemeinden vor Ort“, sagt Kirchensprecher Iven. Das macht es schwer, hier auf Landeskirchenebene zu einer Übersicht zu kommen.

Zahlt die Landeskirche denn Entschädigungen?

Eine Debatte wie in der katholischen Kirche, wo teilweise von mehreren hunderttausend Euro als Entschädigung die Rede ist, gibt es in der Evangelischen Kirche im Rheinland so bislang nicht. Stattdessen werden so genannte Anerkennungsleistungen ausgezahlt oder Therapiekosten übernommen.

Betroffeninitiative „Eckiger Tisch“

Die von Katholiken organisierte Betroffeninitiative „Eckiger Tisch“ wirft der katholischen Kirche Verzögerungstaktik vor. „Sie hat, so muss man es leider sagen, verschleppt so lange es ging“, sagte der Sprecher des Betroffenenvereins, Matthias Katsch gestern. Erst jetzt sei ein Punkt erreicht, wo tatsächlich konkrete Aufarbeitung erfolgen solle und über Entschädigung gesprochen werde. Dennoch fingen Teile der Kirche bereits wieder an, Widerstände zu organisieren. (dpa)

Für die Betroffenen steht mit Claudia Paul eine Beauftragte der Landeskirche als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Bei ihr erhalten Missbrauchsopfer Rat und Hilfe zum Beispiel auch, wenn es darum geht eine Strafanzeige zu stellen, oder gegen einen Täter ein Disziplinarverfahren begonnen werden soll. „Wir finden gemeinsam heraus, was sich Betroffene wünschen“, sagte Paul. „Manche möchten auch einfach nur, dass die Kirche von ihrem Schicksal weiß.“

Unternimmt die Kirche genug gegen sexuellen Missbrauch?

Zumindest bemüht sich die Rheinische Kirche schon seit 2003 darum, dem Missbrauch so weit wie möglich mit Präventionsarbeit entgegenzuwirken. Genug unternehmen kann man auf diesem Feld wohl nie.

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Und an manchen Stellen ist auch noch ganz konkrete Nacharbeit nötig: Dass die Kirche keinen Überblick darüber hat, ob und wie viele Missbrauchsfälle sich vor Ort in den Kirchengemeinden ereignet haben, ist ein Versäumnis, das von den Kirchenvertretern dringend angegangen werden muss. 

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