Häuser von Pfarrern durchsuchtStreit um Kirchenasyl neu entfacht – Kritik an Justiz

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Kirche Kirchturmspitze düster

Symbolbild

Köln – In der vergangenen Woche war es ein Paukenschlag: Die Polizei durchsuchte im Landkreis Rhein-Hunsrück in Rheinland-Pfalz die Dienst- und Privaträume von vier evangelischen Pfarrern. Ihr angebliches Verbrechen: Zusammen mit ihren Kirchengemeinden hatten sie neun Flüchtlingen aus dem Sudan, die als sogenannte Dublin-Fälle nach Italien abgeschoben werden sollten, Kirchenasyl gewährt. Damit waren sie erfolgreich: Die Bundesrepublik übernahm das Asylverfahren der Flüchtlinge anstelle von Italien. Alle Männer leben heute wieder in regulären Flüchtlingsunterkünften.

Doch der Landkreis ging mit bislang ungekannter Härte gegen die Theologen vor. Mit den Hausdurchsuchungen wurde im jahrelangen Streit um das Kirchenasyl eine neue Eskalationsstufe erreicht.

Menschen im Kirchenasyl gelten als „flüchtig“

Zwar galt das nirgendwo juristisch fixierte Instrument des Kirchenasyls viele Jahre lang als weitgehend anerkannt: Kirchengemeinden beherbergten Flüchtlinge immer dann, wenn sie meinten, dass Fälle von den staatlichen Behörden nicht hinreichend geprüft worden seien. Doch mit der Flüchtlingskrise stieg auch die Zahl der Kirchenasyle. Vor allem die so genannten Dublin-Fälle, also die Fälle, in denen ein Flüchtling in das EU-Land zurückgeschickt werden sollte, das er als erstes betreten hatte, wuchsen rapide an. Denn hält sich ein Flüchtling länger als sechs Monate in Deutschland auf, sehen die EU-Regeln vor, dass Deutschland anstelle des anderen EU-Landes in das Asylverfahren eintritt. So war es jedenfalls bis zum Sommer des vergangenen Jahres. 

Kirchenasyl

Beim Kirchenasyl werden Flüchtlinge ohne legalen Aufenthaltsstatus von Kirchengemeinden zeitlich befristet beherbergt. Ziel ist, in Härtefällen eine unmittelbar drohende Abschiebung in eine gefährliche oder sozial unzumutbare Situation zu verhindern und eine erneute Prüfung des Falles zu erreichen. Der Aufenthaltsort der Flüchtlinge wird den Behörden gemeldet.

Kirchenasylgemeinden sehen die Hilfe als christliche Beistandspflicht an, die in der Bibel geboten werde. 

Weil immer mehr Dublin-Fälle ins Kirchenasyl gingen, änderte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Verfahren: Menschen im Kirchenasyl gelten seit August 2018 als „flüchtig“. Damit ist Deutschland erst nach 18 Monaten für sie zuständig. Ende Januar allerdings hatten die Verwaltungsgerichte in Düsseldorf und Aachen diese Praxis in erster Instanz verworfen: Wenn bekannt sei, dass sich ein Flüchtling im Kirchenasyl aufhalte, könne er nicht als flüchtig bezeichnet werden, „da dem Bundesamt und auch der zuständigen Ausländerbehörde der Aufenthaltsort im Kirchenasyl bekannt war“.

Rund 530 Kirchenasyle bundesweit

„Wir haben mit dem Kirchenasyl derzeit große Beschwernisse“, sagt Kirchenrat Rafael Nikodemus, der im Kirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland (Ekir) für die Themen Migration und Asyl zuständig ist, gegenüber unserer Zeitung. Zwischen den Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sei abgesprochen worden, dass bei jedem Fall von Kirchenasyl ein ausführliches Dossier vorgelegt werde, das dann noch einmal vom Amt geprüft werden soll. „Meist werden solche Dossiers heute aus formalen Gründen abgelehnt“, sagt Nikodemus. „Wir erleben ganz selten, dass die darin geschilderten humanitären Härten überhaupt noch geprüft werden.“

In der Evangelischen Kirche im Rheinland, die mit 2,5 Millionen Gemeindemitgliedern in NRW, Rheinland-Pfalz, dem Saarland sowie der hessischen Region Wetzlar die zweitgrößte evangelische Landeskirche ist, gebe es derzeit rund 60 Kirchenasylfälle. Bundesweit sind nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche rund 530 Kirchenasyle bekannt. Ein verhältnismäßig neues Phänomen sind nach Angaben von Nikodemus auch Kirchenasyle für ehemalige Muslime etwa aus dem Iran oder aus Afghanistan, die sich in Deutschland taufen ließen und bei einer Abschiebung in ihre Heimatländer um Leib und Leben fürchteten.

Kirche prüft rechtliche Schritte gegen Hausdurchsuchungen

Bislang endeten die meisten Fälle friedlich. Nun aber werden die Hausdurchsuchungen Politik und Justiz wohl noch länger beschäftigen. Man überprüfe gegenwärtig, ob man rechtlich gegen diese Maßnahmen vorgehen kann, sagt Kirchenrat Nikodemus. Denn von den Durchsuchungen seien auch Räume betroffen gewesen, in denen Seelsorge stattfand. Es könne also sein, dass sensible Informationen beschlagnahmt wurden.

Unterdessen forderte der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung „Glaube und Heimat“ das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu einer Rückkehr „zu einem konstruktiven und lösungsorientierten Vorgehen im Dialog zwischen Kirchengemeinden und Behörden“ auf. Es würden Räumungen angedroht, Pfarrer erhielten Strafanzeigen. „Dies alles liegt nicht am Kirchenasyl selbst, sondern am behördlichen Umgang mit ihm“, betonte Rekowski.

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