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Interview mit Innenminister Lenwentz„Haben einigen schon die Waffen entzogen“

Lesezeit 3 Minuten
reichsbürger

Ein Heft mit dem Aufdruck „Deutsches Reich Reisepass“.

Im Oktober 2016 erschoss ein "Reichsbürger" im mittelfränkischen Georgensgmünd einen Polizisten und die Szene gelangte ins öffentliche Bewusstsein. Wie ist der aktuelle Stand?

Herr Lewentz, seit Herbst 2016 beobachtet der Verfassungsschutz bundesweit "Reichsbürger". Welche Entwicklung stellen Sie fest?

Wir haben uns die Bewegung sehr genau angeschaut und auch Kommunalverwaltungen nach ihren Erkenntnissen abgefragt. Die Zahl der uns bekannten "Reichsbürger" ist daher in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, weil wir dieses Dunkelfeld sehr stark aufgehellt haben. Die Szene hat Zulauf, aber nicht in dem Maße, wie es die Zahlen auf den ersten Blick vermitteln. Bundesweit können wir laut der neuesten Zahlen des Verfassungsschutzes rund 16 500 Personen dem Reichsbürgerspektrum zuordnen. In Rheinland-Pfalz sind es 495. Wir sind weniger stark betroffen als andere Bundesländer, aber natürlich ist das für uns eine genauso große Herausforderung wie für die Sicherheitsbehörden der anderen Länder.

Wer fällt unter den Begriff des "Reichsbürgers"?

Das Spektrum ist breit. In Rheinland-Pfalz gibt es teilweise einen Bezug zum Rechtsextremismus, teilweise auch zur Rockerszene. Ganz überwiegend sind es aber Einzelpersonen, die dadurch auffallen, dass sie eine starke Verweigerungshaltung gegenüber dem Staat und seinen Organen zeigen. Viele leben in einem geistigen Erbe, das man mit den Stichworten "Bundesstaat Bayern" oder "Freistaat Preußen" umschreiben kann. Sie denken in gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Regularien der Kaiserzeit oder des "Dritten Reiches".

Wie äußert sich diese Haltung gegenüber dem Staat?

Wir haben es erlebt, dass sich Menschen nach dem Motto "Ihr seid keine Polizei, Ihr seid nicht legalisiert, mich zu kontrollieren" Überprüfungen entziehen wollten. Andere zeigen eine Verweigerungshaltung in Sachen Steuern oder Abgaben. "Reichsbürger" versuchen, mit vielen Schreiben und Mails Verwaltungen lahmzulegen, demonstrieren also eine Art Widerstandshandlung gegenüber der Bundesrepublik und ihren Rechtssystemen. In Einzelfällen geht das bis hin zu Bedrohung, Beleidigung und Nötigung von Verwaltungsmitarbeitern oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Gerichtsvollzieher. Amtsträger werden als "Privatangestellte" angesehen und nicht anerkannt. Viele haben sich eigene, amtlich aussehende Ausweispapiere und Urkunden gefertigt. Im Netz gibt es dazu viel Propaganda und Argumentationsmuster.

Wie schätzen Sie die Gewaltbereitschaft der "Reichsbürger" ein?

Es gibt in der Szene einzelne Gewaltbereite, wie nicht zuletzt der Fall in Bayern gezeigt hat. Deshalb haben wir auf der Innenministerkonferenz auch vereinbart, dass wir die Waffenscheine aller "Reichsbürger" genau prüfen werden. Von den 495 bekannten Anhängern in Rheinland-Pfalz verfügen 45 über eine waffenrechtliche Erlaubnis. Die Hälfte der Fälle haben wir schon überprüft und einigen sind auch die Waffen entzogen worden.

Gibt es so etwas wie den typischen "Reichsbürger"?

Für Rheinland-Pfalz können wir sagen, dass etwa 60 Prozent dieser Personen über 50 Jahre alt sind und 70 Prozent Männer. Es gibt eine geringe Schnittmenge mit dem rechtsextremistischen Spektrum. Regionale Schwerpunkte liegen im nördlichen Rheinland-Pfalz in Richtung der Landesgrenze von Nordrhein-Westfalen, gefolgt von der Region Rheinhessen sowie der Vorder- und Südpfalz.

Wie wird man "Reichsbürger"?

Da gibt es wahrscheinlich vielfältige Muster. Das ist auch noch nicht ausreichend untersucht. Da gibt es garantiert die Underdogs, die einfach sagen, "die Bundesrepublik Deutschland ist nicht mein Land", da gibt es die ewig Gestrigen, die in den Grenzen von 1870/71, 1914 oder 1937 denken, und da gibt es die, die folkloristisch das Gefühl haben, es wäre doch etwas ganz Besonderes, mit einem Pass des "Bundesstaates Bayern" oder des "Freistaates Preußen" rumzulaufen. Wir müssen uns aber auch darüber klar sein, dass möglicherweise Rechtsextreme versuchen, Teile dieser Bewegung auf ihre Seite zu ziehen. Dafür gibt es in Rheinland-Pfalz erste Anzeichen.

Würde ein Verbot etwas bringen?

Wenn man das Verbotsverfahren der NPD zugrunde legt, gibt es dort eine Partei mit einer geschlossenen Mitgliederschaft, mit klaren Führungsstrukturen und einer niedergelegten Ideologie. Das ist bei der Reichsbürgerbewegung nicht der Fall. Die Gruppe ist sehr heterogen, hat aber einen gefährlichen, gemeinsamen ideologischen Überbau. Bei einer Verbotsverfügung, also einem Vereinsverbot, muss es um eine gefasste Organisation gehen. Die haben wir hier nicht.

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