Kinderrechte im GrundgesetzDie Eltern bestimmen über das Kindeswohl – pro und contra

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Neugierige Blicke: Der Nikolaus verteilt Obst und kleine Geschenke an Kinder.

Berlin – "Kinder an die Macht" forderte Herbert Grönemeyer schon 1986 in seinem gleichnamigen Lied. Nahezu genauso alt ist die Diskussion über die Verankerung von Kinderrechten in Deutschland.

Einen Meilenstein bedeutete die Verankerung in der UN-Kinderrechtskonvention, die am 20. November 1989 unterschrieben wurde, aber erst am 5. April 1992 in Deutschland in Kraft trat. Allerdings bis 2010 nur eingeschränkt. Seitdem dreht sich die Diskussion in der Hauptsache um die Frage, ob die Rechte der Kinder dadurch gestärkt werden sollen, dass sie Eingang ins Grundgesetz finden. Damit verläuft der schmale Grat, auf dem sich die Auseinandersetzung bewegt, mitten durch die Familie.

Denn bisher gilt im Artikel 6 die Erziehung der Kinder als "natürliches Recht" der Eltern. Das Gesetz enthalte nur Aussagen über Kinder, aber nicht für Kinder, sagen diejenigen, denen der Passus nicht genügt. Völlig ausreichend sagen die anderen, die es für richtig halten, die zentralen Rechte der Eltern nur dann einzuschränken, wenn Kinder in Not geraten. Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) und der Präsident des Familienbundes der Katholiken, Stefan Becker, vertreten in Gastbeiträgen die kontroversen Positionen. (syl)

Pro – Kinder stärken

Katarina Barley ist dafür, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen:

Weihnachten - das Fest der Familie. Leuchtende Kinderaugen beim Auspacken der Geschenke, wenn die Wünsche vom Wunschzettel an den Weihnachtsmann erfüllt wurden. Doch Kinder haben nicht nur Wünsche, sondern auch Rechte. Aber Kinder und Jugendliche sind darauf angewiesen, dass ihre Rechte durch andere wahrgenommen werden: durch die Eltern, den Staat oder die Gesellschaft. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Debatten darüber, dass Deutschland als "kinderfeindlich" gelte.

Klar ist: Solange sie nicht wählen können, können Kinder und Jugendliche bei großen und kleinen politischen Entscheidungen, die ihr Leben und ihre Interessen betreffen, nicht direkt mitentscheiden. Auch im Grundgesetz spielen sie bisher nur eine Nebenrolle. Das müssen wir ändern. Wir müssen Kinder schützen - vor Ignoranz, Vernachlässigung und Gewalt. Wir müssen Kinder fördern - in ihrer Entwicklung und ihrem Selbstbewusstsein. Ihr Wohl muss bei allen staatlichen Entscheidungen, die sie betreffen, maßgeblich berücksichtigt werden.

Die Konsequenz: Kinderrechte gehören ins Grundgesetz. Eine Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz geht zugunsten und nicht zulasten der Eltern und Familien. Kinder und Jugendliche hätten eine stärkere Position, wenn ein Spielplatz geschlossen wird, weil sich Anwohner über Kinderlärm beschweren. Oder wenn Unternehmen im Internet die Daten junger Menschen gezielt abgreifen. Überall, wo ein Ausgleich zwischen den Interessen von Kindern und anderen erfolgt, müssen wir ein besonderes Augenmerk auf die Bedürfnisse von Kindern legen.

Ein breites Bündnis von Verbänden und Organisationen unterstützt die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz. Die Länder haben diesen Schritt wiederholt vom Bund gefordert. Die Zeit ist reif für die Rechte der Kinder, im Grundgesetz ebenso wie bei den alltäglichen Entscheidungen in der Familie. Kinder und Jugendliche haben Rechte, und die müssen wir stärken - angefangen von unserer rechtlichen Grundordnung, dem Grundgesetz. Ich wünsche allen ein schönes, friedliches Weihnachtsfest - lassen Sie die Kinder mitbestimmen!

Contra – keine Rechtslücke

Stefan Becker ist dagegen, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen:

Kinder genießen in Deutschland einen umfassenden Schutz durch das Grundgesetz. Besonnene Verfassungsrichter haben die Grundrechte für Kinder seit den Anfängen der Bundesrepublik in zahlreichen Urteilen ausbuchstabiert und weiter gestärkt. 1992 ist Deutschland der UN-Kinderrechtskonvention beigetreten, dem weltweiten Übereinkommen zur Wahrung von Kinderrechten.

Das umfassende und anerkannte Schutzkonzept Deutsch-lands zugunsten von Kindern, basierend auf der Verfassung, konkretisierender Rechtsprechung und dem Abkommen der UN, setzt Maßstäbe. Es trägt der besonderen Schutzbedürftigkeit von Kindern Rechnung. Und der großen Bedeutung von Kindern für unsere Gesellschaft. Angesichts dieser vorbildlichen Rechtslage liegt die bislang öffentlich kaum gestellte Frage auf der Hand: Warum sollen zusätzlich Kinderrechte ins Grundgesetz aufgenommen werden?

Elternrechte würden geschwächt

Die politische Forderung suggeriert eine rechtliche Lücke beim Schutz von Kindern - eine Lücke, die es jedoch nicht gibt! Stattdessen drohen Gefahren, würden Kinderrechte tatsächlich den Weg ins Grundgesetz finden. Wer Kinderrechte ins Grundgesetz aufnehmen will, der schwächt die Elternrechte. Machen wir uns aber bewusst: Die Interessen des Kindes werden in aller Regel am besten von den Eltern wahrgenommen.

Es sind die Eltern, deren verantwortliche Sorgearbeit für die Entwicklung von Kindern zentral ist. Es sind die Eltern, die für ihre Kinder grundlegende Entscheidungen fällen und fällen müssen. Das Grundgesetz kann klarer nicht sein: "Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht." Der Staat greift dann ein - aber auch nur dann! - wenn das Kindeswohl gefährdet ist.

Unter Berufung auf neu geschaffene Kinderrechte könnte der Staat erweiterte Eingriffsrechte beanspruchen, zum Beispiel beim Sorgerecht und der Erziehung. Welche Eltern können das wollen? Deutschlands Verfassung folgt einem liberalen Geist: Der Schutz von Kindern ist in idealer Weise verbunden mit dem Freiheitsvertrauen in die Erziehungsarbeit der Eltern. Es spricht deshalb Vieles dafür, bei den bewährten Regelungen zu bleiben.

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