Saskia Esken und Norbert Walter-BorjansDie SPD-Chefs sind noch nicht angekommen

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Esken und Walter-Borjans

Die neue SPD-Spitze um Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans

  • Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans führen die SPD bislang ohne Strategie.
  • Sie fallen mit diversen Forderungen auf, ohne rote Linien für die Koalition ziehen zu wollen.
  • Ein Regierungsbruch ist mittlerweile unwahrscheinlich. Eine Analyse.

Es ist Freitag, der 13. Dezember 2019. Der Wohlfahrtsverband Awo feiert sein hundertjähriges Bestehen. Eigentlich ein Pflichttermin für die SPD-Prominenz. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Rede, erinnert an die Gründung der Arbeiterwohlfahrt durch die Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin Marie Juchacz im Dezember 1919. In der ersten Reihe lauschen Arbeitsminister Hubertus Heil und Familienministerin Franziska Giffey den Worten ihres Parteifreundes. Wer fehlt? Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die eine Woche zuvor von den Delegierten beim SPD-Parteitag zu den neuen Vorsitzenden der ältesten Partei Deutschlands gewählt wurden. Warum? Ein schlichtes Versäumnis im zu dem Zeitpunkt noch unsortierten Umfeld der beiden, hieß es aus der Parteiführung.

Die Missgunst gegenüber dem neuen Duo ist groß

Nun mag man das als Randnotiz abtun. Doch es sind solche Einzelfälle aus den ersten Wochen der Amtszeit von Esken und Walter-Borjans, die wenig wohlgesonnene Genossen spöttelnd in SPD-Kreisen herumreichen. Es verdeutlicht, wie groß die Missgunst gegenüber einem Duo ist, das für Veränderung angetreten war und jetzt mit der Realität von drei Machtzentren in der SPD konfrontiert wird: Partei, Bundestagsfraktion, Regierung.

Die beiden Parteichefs seien noch nicht angekommen, heißt es von Abgeordneten und aus den SPD-geführten Ministerien, sie wüssten nicht, was wichtig ist und was nicht, agierten ohne Strategie und gute Planung.

Saskia Esken soll sich über das Rampenlicht freuen

Dafür gibt es auch politische Beispiele. So äußerte Esken, die zuvor als Abgeordnete in der Fraktion höchstens zu Digitalthemen das Wort ergriff, binnen kurzer Zeit ihre Meinung zu Einsätzen der Bundeswehr in der Sahel-Zone, einem generellen Tempolimit auf Autobahnen und zu dem Polizeieinsatz gegen Linksradikale im Leipziger Stadtteil Connewitz.

Walter-Borjans wiederum machte mit einer neuen Steuer im Fall eines plötzlichen Anstiegs des Werts von Boden sowie mit höheren Rentenbeiträgen von Spitzenverdienern auf sich aufmerksam. Als früherer NRW-Finanzminister genießt er bei diesen Themen lange erarbeitete Glaubwürdigkeit. Esken, so munkeln machen Genossen, freue sich aber auch persönlich über das Rampenlicht, in dem sie jetzt stehe.

Die SPD-Spitze muss breit aufgestellt sein

Dabei ist es natürlich die Aufgabe von Parteivorsitzenden, inhaltlich breit aufgestellt zu sein, die Richtung vorzugeben. Sie müssen über kurz oder lang von Experten zu Generalisten werden. Allerdings hatten Esken und Walter-Borjans auch stets betont, auf die Expertise anderer Spitzengenossen zurückgreifen zu wollen. Bei den jüngsten Vorstößen versäumten sie das dem Vernehmen nach aber.

Hubertus Heil, Arbeitsminister und seit dem Parteitag auch stellvertretender SPD-Chef, wusste demnach vorab nichts von Walter-Borjans’ Renteneinwurf, führende Außenpolitiker nichts von Eskens Einlassungen zu Bundeswehreinsätzen.

Esken und Walter-Borjans fehlt noch die Leitlinie

Unterm Strich steht der erste Eindruck eines auf Profilierung bedachten Spitzenduos, dem noch die Leitlinien fehlen. Europastaatsminister Michael Roth, der auch als Kandidat für den SPD-Vorsitz angetreten war, fasst es in diese Worte: „Ich rate dazu, Einzelmaßnahmen in eine Gesamtstrategie einzubinden und einen Weg aufzuzeigen, wie wir für deren Umsetzung kämpfen.“

Wenn gute, im Wochenrhythmus präsentierte Ideen rasch verpuffen, sei niemandem geholfen, so Roth. Er warnte davor, dass die drei Machtzentren gegeneinander agieren könnten. „Die Bürgerinnen und Bürger unterscheiden nicht zwischen einer SPD in Regierung, einer im Bundestag und einer im Willy-Brandt-Haus“, sagte Roth. „Wir sind eine Partei, ein Team!“

Diese Themen stehen auf der Agenda der SPD

Auch deswegen trafen sich am gestrigen Donnerstag und heutigen Freitag die Abgeordneten zu einer Fraktionsklausur. Sie wollen beraten, mit welchen Themen die SPD in den kommenden Monaten die Debatten bestimmen und die Union vor sich hertreiben kann.

Um aber möglichen Fehlinterpretationen etwa eines gewollten Koalitionsbruchs entgegenzuwirken, betonte Fraktionschef Rolf Mützenich am Donnerstag: „Es geht nicht um Abgrenzung, es geht um Zusammenarbeit.“ Absetzbewegungen seien nicht das Ziel der SPD. Vielmehr solle dem Koalitionspartner deutlich gemacht werden, was die SPD wolle.

Die Rolle von Hubertus Heil

Dabei ist sogenanntes Teambuilding in der Parteispitze eine der derzeit größten Baustellen. In internen Runden soll Heil mehrfach seinen Machtanspruch deutlich gemacht haben. Er gilt als stärkste Figur im Zusammenspiel von Partei und Kabinettsmitgliedern, nachdem Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz im Vorsitzrennen gegen Esken und Walter-Borjans unterlag.

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Wer macht im Präsidium künftig was? Derart grundlegende aber noch völlig unbeantwortete Fragen will die engere Parteiführung an diesem Wochenende besprechen, wie unsere Redaktion erfuhr. So kommen Esken und Walter-Borjans am Sonntag mit ihren Stellvertretern sowie Generalsekretär Lars Klingbeil und Schatzmeister Dietmar Nietan zusammen, am Montag dann auch mit Scholz und Fraktionschef Rolf Mützenich. 

Diese Pläne hat Thomas Kutschaty

Sie wollen sich neu aufstellen als Parteispitze und Strategien für die anstehenden Verhandlungen mit der Union festzurren. Rote Linien gegenüber der Union definierte zuletzt aber niemand mehr in der SPD. Um ein frühes Ende der Koalition geht es nicht mehr. Thomas Kutschaty, SPD-Fraktionschef im NRW-Landtag, hält dagegen. „Es kann immer noch zu einem Bruch der großen Koalition in Berlin kommen – die Nachverhandlungen haben ja nicht einmal begonnen“, sagte er.

„Zur Erinnerung: Die SPD hat auf ihrem Bundesparteitag den Beschluss getroffen, über einige Themen mit der CDU zu verhandeln, darunter der Mindestlohn ab 12 Euro, zusätzliche Infrastrukturausgaben und Klimaschutz.“ Doch damit ist er einer der wenigen, die die Vorstellung vom Groko-Aus noch nicht begraben haben. 

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