Schule und BildungSeiteneinsteiger verringern Lehrermangel – heftige Kritik

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Schule

Bei der Schule  gilt Mangelverwaltung.

Berlin –  Inklusion, Ganztag, Flüchtlingszuzug, Pensionierungswelle - Gründe für den bundesweiten Lehrermangel nennen die Länder viele. Aktuell sind rund 2000 Stellen an den Schulen unbesetzt, so die Schulministerien. Dass es nicht noch mehr sind, liegt vielerorts an den sogenannten Quer- und Seiteneinsteigern. Das sind Personen, die zwar ein Studium oder eine Berufsausbildung abgeschlossen, aber nicht auf Lehramt studiert haben. Allein 2017 wurden mindestens 3300 von ihnen an den Schulen angestellt. Weil nicht alle Länder diese Zahlen erheben, waren es aber wohl noch mehr. Das wird von Lehrerverband und Gewerkschaft heftig kritisiert.

Weitere Belastung durch Nachschulungen

"Die Zahl der nicht besetzten Stellen klingt erst einmal nicht so dramatisch. Wenn man aber die Seiteneinsteiger dazurechnet, die ja nur eingestellt werden, weil es viel zu wenige voll ausgebildete Lehrer gibt, ist der Mangel sehr viel größer", sagt Ulf Rödde von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). In manchen Bundesländern sei die Zahl der neueingestellten Seiteneinsteiger zudem ähnlich hoch wie die der neu eingestellten Lehrer. Ein Beispiel dafür ist Sachsen: Dort wurden im August zwar alle 1400 ausgeschriebenen Stellen besetzt, 720 davon jedoch mit Seiteneinsteigern. Das bedeute eine zusätzliche Belastung für die vorhandenen Lehrkräfte, die die Kollegen nachschulen müssten, so Rödde. Bei den unbesetzten Stellen ist NRW Spitzenreiter: 1006 Lehrerstellen waren zuletzt noch nicht besetzt. Nach dem Bevölkerungsanteil wäre zu erwarten gewesen, dass auf das Land nur ein Fünftel der unbesetzten Stellen entfällt.

Insgesamt sei der Lehrermangel zudem noch größer, sagt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes: "Wenn man zum Beispiel noch dazurechnet, was an Unterricht ausfällt und dass an zahlreichen Schulen auch fachfremd unterrichtet wird, gehen wir insgesamt von einem Mangel von 20 000 Lehrern aus", sagt er. Durch den Einsatz von Seiteneinsteigern fürchtet er einen Qualitätsverlust in der Lehre. "Viele Seiteneinsteiger fangen häufig direkt mit der Arbeit an und werden nicht ausreichend pädagogisch geschult." Die Länder betonen, dass jeder Quer- und Seiteneinsteiger gut ausgebildet wird.

Kein einheitliches System in den Ländern

Dazu hat fast jedes Land ein anderes System entwickelt - und andere Bezeichnungen eingeführt: So heißen die Kräfte mal Quer-, mal Seiten- und mal Direkteinsteiger. Was sie eint, ist, dass sie keine Lehrbefähigung haben, also kein pädagogisches Studium, sondern ein Fachstudium oder eine Berufsausbildung absolviert haben. In NRW haben Seiteneinsteiger drei Möglichkeiten: Hochschulabsolventen, die zwei Fächer studiert haben, absolvieren ein zweijähriges Referendariat und legen eine Staatsprüfung ab. Kandidaten mit FH-Abschluss durchlaufen ein Programm an einer Berufsschule. Und Seiteneinsteiger, die nur ein Fach studiert haben, erhalten eine einjährige Zusatzausbildung, legen aber keine Staatsprüfung ab und bekommen am Ende keine volle Lehrbefähigung.

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2017 hat NRW bis Schuljahresbeginn rund 543 Seiteneinsteiger eingestellt. Die meisten von ihnen (183) arbeiten an Berufskollegs, dicht gefolgt von Seiteneinsteigern an Grundschulen (153). An diesen ist auch der Lehrermangel am größten: Dort waren zuletzt noch 871 Stellen unbesetzt. Grundsätzlich sei es das Ziel der Landesregierung, freie Lehrerstellen mit ausgebildeten Lehrern zu besetzen, sagt Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). "Aber besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen."

Meidinger schlägt indes andere Sofortmaßnahmen gegen den Lehrermangel vor: Er will lieber pensionierte Beamte in den Schuldienst zurückzubeordern. Außerdem sollen zum Beispiel Gymnasiallehrer vermehrt für das Grundschulamt umgeschult werden. In NRW bekommen Gymnasial- und Gesamtschullehrer mit einer bestimmten Fächerkombination eine Einstellungsgarantie, wenn sie zwei Jahre lang an die Grundschule gehen.

Um dem Mangel langfristig vorzubeugen, fordert die GEW, dass mehr Studienplätze eingerichtet werden. Ebenso müsse die Kultusministerkonferenz genauere Prognosen zum Lehrerbedarf liefern - auch um einen Schweinezyklus zu vermeiden: Immer, wenn ein Mangel herrscht, beginnen viele ein Lehramtsstudium. Wenn sie dann fertig sind, herrscht ein Überangebot. Am besten wäre es deshalb, fordern die Experten, wenn die Länder gleichbleibend viele Lehrer einstellten.

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