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Urteil VerfassungsgerichtFragen und Antworten zu Hartz-IV-Sanktionen

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Bundesverfassungsgericht_Hartz IV_Stephan Harbarth_Johannes Masing

Der Erste Senats des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth (l.), Vorsitzender des Senats, verkündet das Urteil.

Berlin – Das Bundesverfassungsgericht hat die bisherige Praxis der Hartz-IV-Sanktionen durch die Job-Center der Bundesagentur für Arbeit (BA) für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was bedeutet das Urteil für Betroffene?

Die Job-Center dürfen ab sofort keine Strafen mehr verhängen, die zu Kürzungen des Hartz-IV-Regelsatzes von mehr als 30 Prozent führen. Auch noch nicht bestandskräftige Bescheide dürften davon betroffen sein. Wer mehrmals zum Beispiel ein Jobangebot ausschlägt, muss also nicht mehr mit hohen Einbußen rechnen.

Wie begründet das Verfassungsgericht sein Urteil?

Mit der Menschenwürde, die laut Grundgesetz unantastbar ist und deshalb besonders geschützt ist. Die Richter halten es für unverhältnismäßig, wenn das soziale Existenzminimum um mehr als 30 Prozent gekürzt wird, weil dies für Betroffene eine außerordentliche Belastung bedeutet.

Es betont allerdings auch, dass geringere Strafen durchaus zulässig sind, weil der Gesetzgeber Mitwirkungspflichten der Betroffenen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt erwarten darf.

Wie viele Sanktionen werden derzeit verhängt?

Die Zahl geht seit Jahren zurück, wie auch die Zahl der Hartz-IV-Bezieher insgesamt. Im Jahr 2018 wurden laut Statistik der BA rund 904.000 Sanktionen verhängt und damit 49.000 weniger als im Jahr davor. Im Verlauf des vorigen Jahres wurde gegen 8,5 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mindestens eine Sanktion verhängt.

Pro Monat waren etwa 3,2 Prozent mit einer Sanktion belegt. Das waren im Dezember 2018 rund 129.000 Hartz-IV-Bezieher. Am häufigsten kürzen die Job-Center Leistungen, weil Betroffene nicht zu einem vereinbarten Termin erscheinen. In diesen Fällen kann die Leistung für drei Monate um zehn Prozent verringert werden.

Was kommt auf die Steuerzahler zu?

Sie finanzieren die Hartz-IV-Leistungen mit etwa 40 Milliarden Euro im Jahr. Weniger Sanktionen bedeuten höhere Leistungen. Allerdings dürfte der negative Effekt für die Steuerzahler zunächst nur im Millionenbereich liegen. Was geschieht jetzt? Das Verfassungsgericht hat dem Gesetzgeber nicht etwa eine Frist auferlegt, bis zu welchem Datum die Sanktionspraxis umgestellt sein muss.

Es hat vielmehr für die Übergangszeit bis zu gesetzlichen Neuregelungen selbst die Regeln festgesetzt: Die Job-Center dürfen ab sofort keine härteren Strafen als die 30-Prozent-Kürzung mehr verhängen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat rasche Reformgespräche angekündigt. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit, eigene Akzente zu setzen – wenn er dabei die Vorgaben des Verfassungsgerichts einhält.

Welche Reformüberlegungen gibt es?

Bereits vor der Bundestagswahl 2017 hatten sich die Arbeits- und Sozialminister der Länder mit der BA auf Anpassungen verständigt. Sie sahen vor, die Sonderregelungen für unter 25-Jährige abzuschaffen, die prozentualen Kürzungen durch pauschale Beträge zu ersetzen sowie Miet- und Heizkosten nicht mehr zu sanktionieren, um Wohnungsverluste zu vermeiden.

In der damaligen großen Koalition griff Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) die Vorschläge auf, aber die Union zog nicht mit. Die SPD kann sich durch das Urteil jetzt bestätigt sehen, obwohl die Hartz-IV-Regelungen unter ihrer Führung 2005 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder eingeführt wurden.

Kommt jetzt das bedingungslose Grundeinkommen?

Nein, aber die Abschaffung der strengen Hartz-IV-Sanktionen bringt die Befürworter des Grundeinkommens ihrem Ziel ein Stück näher. Allerdings hat das Gericht das Prinzip des Forderns und Förderns grundsätzlich bestätigt. Deshalb wird es eine völlige Abschaffung der Sanktionen – und damit ein bedingungsloses Grundeinkommen light – auch nicht zulassen.

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