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Wachsende GewaltDie NRW-Polizei soll robuster auftreten

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Polizei

Bewaffnete Polizisten in Düsseldorf: "Gewalttätigkeiten ist entschieden entgegenzutreten"

Düsseldorf – NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ist sich der Brisanz des Papieres bewusst. Persönlich will er sich deshalb erst gar nicht zu den Eckpunkten für eine neue Polizei-Leitlinie äußern, die seine Spitzenbeamten monatelang in geheimen Sitzungen erarbeitet haben. 

Über einen Sprecher versucht Reul das Konzept zu relativieren: Es handele sich "nicht um ein offizielles Papier des Ministeriums, sondern um eine Ausarbeitung auf Arbeitsebene."

Aber das Papier ist in der Welt. Die dort vorgeschlagenen Vorgaben für ein deutlich robusteres Auftreten der Polizei inklusive schärferer Trainingseinheiten für Kampfeinsätze werden im Innenministerium bereits heiß diskutiert. "Die Polizei NRW muss an Konsequenz, Stabilität, Führungsstärke und Robustheit deutlich zulegen", heißt es beispielsweise.

Reul weiß: Das Konzept spricht den meisten der rund 42.000 Polizeibeamten in NRW aus der Seele. Und es hat gute Chancen, die bisher gültige Leitlinie für Einsätze aus den frühen 1980er Jahren abzulösen - denn es entspricht der neuen "Null-Toleranz-Strategie", mit der die Landesregierung Gewalttäter so früh und so konsequent wie möglich in ihre Schranken verweisen will.

Gewaltmonopol des Staates in Gefahr

Die ranghohen Experten, deren Namen aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden dürfen, sehen in der wachsenden Gewalt gegen Beamte eine Gefahr für das Gewaltmonopol des Staates. Beispiele: Ganze Streifenwagen-Besatzungen, die in der Dortmunder Nordstadt den Einschüchterungsversuchen von Schläger-Gruppen ausgesetzt sind. Einen Streit um ein Knöllchen in Düren, bei dem ein Familienclan gleich zehn Polizisten zusammenschlug. Oder die nicht endenden Debatten über angebliche "No-go-Areas" in Duisburg, Essen und Gelsenkirchen.

Die Polizei-Strategen befürchten einen "Verlust der Autorität des Aushängeschildes des Rechtsstaates". Sie fordern mehr "körperliche Robustheit, Präsenz und Durchsetzungsfähigkeit". Ebenso eine "Anpassung polizeilichen Auftretens in der Öffentlichkeit" und ein "konsequentes Einschreiten und Durchsetzen der polizeilichen Maßnahmen (...) auch bei scheinbaren Bagatell- und Alltagssachverhalten."

In der Ausbildung und im Dienstsport sollen die Polizisten deshalb gezielter die körperliche Gegenwehr trainieren. Auch optisch sollen sie mehr Autorität ausstrahlen: Polizisten würden "nicht nur mit ihrer Uniform als staatlichem Symbol, sondern auch mit ihrer körperlichen Konstitution von der Bevölkerung als Vertreter des Staates und seiner Leistungsfähigkeit wahrgenommen." Zu kleine Menschen seien ebenso ungeeignet für den klassischen Polizeidienst wie solche mit sichtbaren Tätowierungen.

Natürlich ist die NRW-Polizei auch heute schon auf Gewalt vorbereitet. Die immer noch gültige Leitlinie schreibt vor: "Gewalttätigkeiten ist entschieden entgegenzutreten." Aber sie betont vor allem einen Deeskalations-Auftrag.

Abkehr von der Deeskalation

Wenn Polizisten aber zunehmend auf Gewalttäter treffen, die ihrerseits die Eskalation erzwingen, geraten sie mit einem übergeordneten Deeskalationsauftrag in Gefahr. Nach Angaben von Arnold Plickert, NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), zählten die Behörden im Jahr 2011 noch 9.808 Übergriffe auf NRW-Polizisten. 2017 waren es bereits 17.000 - üble Beleidigungen inklusive. "85 Prozent der Übergriffe haben sich gegen den Wachdienst gerichtet", sagt Plickert, "dort findet der erste Kontakt der Gewalttäter mit der Polizei statt." Reul stellte in der vergangenen Woche im Innenausschuss eine Statistik vor, derzufolge NRW-Polizisten allein 2017 in 334 Fällen Opfer einer gefährlichen Körperverletzung wurden.

Deshalb unterstützt Plickert die Forderungen nach einer robusteren Polizei - auch, damit die Beamten sich selbst besser schützen können: "Die Trainingseinheiten zum Umgang mit Gewalt müssen deutlich ausgeweitet werden". Wichtig ist dem Gewerkschafter zudem, dass die Polizisten bessere Techniken zur Stressbewältigung erlernen - auch das sieht das Expertenkonzept vor.

Anderen bereitet die Vorstellung einer robusteren Polizei Unbehagen, etwa der Polizei-Expertin der Grünen im Landtag, Verena Schäffer. "Das Konzept ist eine deutliche Abkehr von der bisherigen Linie der Polizei NRW, die auf Bürgernähe, Deeskalation und Kommunikation setzt", sagt sie. Damit setze die Polizei ihre bundesweite Reputation aufs Spiel. Es sei "ein Trugschluss zu glauben, dass durch ein martialischeres Auftreten weniger Angriffe auf Polizisten verübt würden."  

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