Abo

Attacke beim Kölner KarnevalWarum der Kabelbinder-Fall juristisch nicht einfach ist

Lesezeit 4 Minuten
Kabelbinder Symbol ROLL 121219

In Köln wurde am 11.11 einem Mann ein Kabelbinder um den Hals gelegt (Symbolfoto).

  • In unserer neuen Serie „Recht und Ordnung“ wollen wir uns mit juristischen Themen aller Art befassen – und vor allem Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, mehr Durchblick im Paragrafen-Dschungel verschaffen.
  • Dafür haben wir eine Staatsanwältin, einen Rechtsanwalt und eine Jura-Professorin gewinnen können. Ihre Kolumnen können und wollen keine Rechtsberatung sein und im konkreten Fall den Gang zu einem Anwalt ersetzen.
  • In unserem dritten Fall behandeln wir die Kabelbinder-Attacke beim Kölner Karneval. Und die Frage, wann aus Spaß Ernst wird und ob der Fall überhaupt vor Gericht landet.

Köln – Als ich den Bericht über eine Kabelbinder-Attacke eines Jecken zum Sessionsauftakt 2019/20 las, kam mir die Frage: Wann wird eigentlich für den Juristen „aus Spaß Ernst“?

Ihre Frage spielt darauf an, dass am 11.11. ein junger Mann in Köln einem anderen einen Kabelbinder um den Hals gelegt und zugezogen hat. Das Opfer konnte erst durch Sanitäter aus seiner Lage befreit werden. Die Plastikschnur war so fest angebracht, dass die Blutzufuhr zum Gehirn beeinträchtigt wurde.

Was nach Lage der Dinge wie ein versuchtes Tötungsdelikt oder zumindest eine erhebliche Form der Körperverletzung klingt, entpuppte sich einen Tag später als „Scherz“. Opfer und Täter waren nach eigenen Angaben „beste Freunde“. Ein Überwachungsvideo bestätigte, dass beide vor der Tat miteinander gefeiert hatten. Kein Fall also für den Staatsanwalt oder ein Gericht? Alles so weit in Ordnung?

Alles zum Thema Universität zu Köln

Ganz leicht fällt die Antwort aus juristischer Perspektive nicht. Grundsätzlich gilt, dass jeder sich selbst in Gefahr und sogar in besonders riskante Situationen bringen darf – durch Apnoetauchen (trotz der Gefahr des Ertrinkens) oder Kolumnenschreiben (trotz der Gefahren langer Bildschirmarbeit) zum Beispiel. Hieran ändert sich prinzipiell nichts dadurch, dass die Gefahr nicht durch eigenes Verhalten, sondern durch jemand anderen hervorgerufen wird.

Zur Person

Frauke Rostalski, geboren 1985, ist geschäftsführende Direktorin des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität zu Köln. Im Januar 2018 wurde sie dort auf den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung berufen.

Rostalski studierte Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg und promovierte dort von 2009 bis 2011. Im Anschluss an ihre zweite juristische Staatsprüfung 2013 verbrachte sie Forschungsaufenthalte an der Nanjing Universität (China) und der Seoul Universität (Korea). 2017 promovierte sie  auch im Fach Philosophie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. (jf)

Solange ich damit einverstanden bin, darf ich also andere Hand an mich legen lassen, ob ich mir nun die Haare von einem Friseur schneiden lasse oder mich einer (lebens-)gefährlichen Operation unterziehe. Sowohl der Friseur als auch die Ärztin handeln in beiden Situation in rechtlich erlaubter Weise, so dass ihr Verhalten – solange alles ordnungsgemäß abläuft – für das Strafrecht keine Bedeutung hat.

Zugegeben: Im Kabelbinder-Fall wissen wir nicht genau, wie es überhaupt zu der Attacke mit potenziell tödlichem Ausgang kam. Aus rechtlicher Sicht ist es spannend, einmal das Einverständnis des Opfers zu unterstellen und zu fragen: Darf ein Mensch einem anderen mit dessen Zustimmung einen Kabelbinder um den Hals legen und diesen so fest zuziehen, dass die Blutzufuhr zum Gehirn unterbrochen ist und nur noch Dritte das Opfer aus dieser Lage befreien können? Wollte man es hierfür allein auf den Willen des Opfers ankommen lassen, müsste die Frage mit „Ja, er darf beantwortet werden.

Recht und Moral unterscheiden

Jedoch unterscheidet sich der Kabelbinder-Fall in gewisser Hinsicht dennoch vom Verhalten des Friseurs oder der Ärztin. Damit nämlich die Zustimmung des Opfers zum Eingriff in seine Rechtsgüter wirksam ist und den Täter straflos stellt, darf dessen Handeln nicht gegen die „guten Sitten“ verstoßen. Den meisten Strafrechtlern ist dieser Begriff, der sich übrigens sogar im Strafgesetzbuch wiederfindet (Paragraf 228 des Strafgesetzbuches über die „Einwilligung)“, ein Dorn im Auge. Recht und Moral beziehungsweise Ethik müssen strikt voneinander getrennt werden. Damit ist gemeint, dass das Recht keine Bewertung individueller Moralvorstellungen vornehmen darf. Dies tut es aber, wenn es die Reichweite der Zustimmungsmöglichkeiten einer Person im Hinblick eine Selbstgefährdung durch einen so diffusen Begriff wie den der „guten Sitten“ begrenzt.

Aller Kritik zum Trotz hält die höchstrichterliche Rechtsprechung an diesem Kriterium fest. Einen Sittenverstoß und damit eine Straftat trotz Zustimmung des späteren Opfers zum Verhalten des Täters nimmt der Bundesgerichtshof mitunter bei besonders schwerwiegenden Verhaltensweisen an wie etwa der Teilnahme an einer verabredeten Schlägerei zwischen rivalisierenden Gruppen. Andere Gerichte haben besonders „unvernünftige“ (!) Risiken wie zum Beispiel das „Autosurfen“ als sittenwidrig und damit nicht einwilligungsfähig bewertet.

Vor diesem Hintergrund ist es eine umso spannendere Frage, wie die Kölner Justiz im Kabelbinder-Fall weiter verfahren wird. Das Verhalten erscheint alles andere als vernünftig und wiegt angesichts der damit einher gegangenen Lebensgefahr schwer. Ob dies aber ausreicht, die Freiheit des Einzelnen, sich selbst besonders gefährlichen Verhaltensweisen anderer zu unterziehen, zu beschränken, erscheint zumindest mir mehr als fraglich.

Rundschau abonnieren