Haustürschlüssel, VisitenkarteSo lebt es sich mit einem Chip unter der Haut

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Leben mit Chip Implantat

Der Kölner öffnet die Tür mit seinem Chip.

Mathias Demmer ballt seine Hand zur Faust und hält sie an den Türknauf. Ein kurzes blaues Aufleuchten verrät, dass die Tür den Kölner an seiner Hand erkannt hat. Es fehlt ein Schlüsselloch, einen metallenen Schlüssel hat er nicht – braucht er auch nicht. Denn Demmer trägt den Schlüssel zu seiner Wohnung unter der Haut. Er gehört zu den geschätzt 4000 Deutschen, die ein Chip-Implantat haben. Was für ihn als Spielerei begann, könnte der Vorläufer unseres künftigen Alltags sein.

Reiskorngroß ist der sogenannte RFID-Chip, der bei Demmer in der Hautpartie zwischen Daumen und Zeigefinger eingesetzt ist. „Ich spüre ihn überhaupt nicht, der Chip ist längst ein Teil von mir geworden“, sagt der 30-Jährige. RFID steht für das englische „Radio-frequency identification“, also die Identifizierung mit Hilfe elektromagnetischer Wellen. Die Technik funktioniert wie etwa bei Chip-Karten in Hotels, die zum Entriegeln der Zimmertüren benutzt werden. „Der Chip hat eine Signalreichweite von ungefähr fünf Millimetern“, erklärt Demmer. „Wenn der Chip in der Nähe der «Antenne», also in diesem Fall dem Türknauf, ist, dann wird er erkannt.“ Die RFID-Chips sind ebenfalls in Personal- und Reisepässen verarbeitet und machen eine schnelle, kontaktlose Identifizierung möglich.

Implantat-Set für 90 Euro

Technikbegeistert war Demmer, der als Produkt-Designer arbeitet, schon lange. „Ich hatte ein Video auf Facebook über die Implantate gesehen. Das fand ich beeindruckend und einfach praktisch“, erzählt er. Die Entscheidung, sich das Implantat auch einzusetzen, traf er kurz darauf mit Freunden. „Wir haben uns darüber unterhalten, welche Möglichkeiten die Implantate bieten“, erzählt er.

Anfang 2016 war es dann soweit: Im Internet bestellte er das Implantat-Set für rund 90 Euro – samt Injektionsnadel. Das Implantat ließ er sich kurzerhand von einem befreundeten Mediziner einsetzen. Der Eingriff sei vergleichbar mit einem Piercing: „Es tut zwar weh, aber jedes Tattoo ist schmerzhafter“, erklärt Demmer. Innerhalb von zwei Minuten saß der Chip unter der Haut. „Auch das Entfernen ist nicht sonderlich problematisch, nach einem winzigen Schnitt lässt es sich bereits herausholen“, sagt er. „Das Implantat war nur für kurze Zeit komisch und fremd, nach wenigen Wochen habe ich es schon gar nicht mehr gespürt“, erinnert er sich zurück. Stattdessen überwogen Ideen für neue Einsatzmöglichkeiten: „Für mich war das einfach nur eine praktische Alltags-Spielerei. Nie wieder an den Wohnungsschlüssel denken zu müssen, fand ich einfach gut“, sagt Demmer.

Digitaler Handschlag

Doch es blieb nicht nur beim Schlüssel zur Wohnung. Demmer, der selbst auch die Software für sein Implantat schreibt und die Empfänger-Platinen lötet, suchte nach weiteren Möglichkeiten für sein neues Körperteil: „Der Chip kann kleine Datenmengen übersenden, das kann man nutzen, etwa für persönliche Informationen“, erklärt er. Quasi per einfachem Handschlag kann er nämlich nun seine Visitenkarte weitergeben: „Handys mit der richtigen App können Daten meines Implantats empfangen“, erklärt er. „Automatisch öffnet sich dann auf dem Handy meine Homepage mit meinen Kontaktinformationen.“

Und auch einige weitere Ideen hat Mathias Demmer bereits im Kopf: „Ich würde gerne mein Auto mit dem Chip starten, das ist technisch durchaus machbar.“ Deswegen schraubt er nun regelmäßig an seinem alten Nissan Urvan.

„Ich bin kein Cyborg“

Als Cyborg, also der Mischung aus Mensch und Maschine, versteht er sich jedoch noch längst nicht: „Ich habe zwar einen Chip unter der Haut, aber das ist mein Alltags-Helfer und für mich vor allem Spaß“, sagt er. „Es gibt ja kein Zusammenspiel von Mensch und Maschine, Cyborg finde ich da unpassend.“ Das Implantat ist fast unsichtbar, auf der Haut gibt es keine Beule, die den Chip verraten würde, und selbst das Ertasten des millimetergroßen Stäbchens ist schwierig. „Wenn es doch jemand mitkriegt, dann sind die meisten erstmal skeptisch“, berichtet Demmer. „Vom Ekel, dass ein Fremdkörper unter meiner Haut ist, bis zur Angst, dass mir jemand die Hand abhackt, um an meinen Wohnungsschlüssel zu kommen – ich habe alles schon gehört“, sagt er lachend. Das sei die Skepsis vor dem Fremden, Ungewöhnlichen und Neuen, sagt Demmer.

Doch er sieht vor allem die Chancen und Möglichkeiten des Bodyhackings, wie die Technik für den Körper in der Szene genannt wird: „Wenn man sich länger mit den Implantaten beschäftigt, dann entdeckt man immer wieder neue Möglichkeiten“, sagt er. So sei es bereits jetzt möglich, auch seine Gesundheitsdaten wie von einer Krankenkassenkarte auf dem Chip zu hinterlegen. Das könnte den medizinischen Alltag verändern: Etwa an einer Unfallstelle mit bewusstlosen Personen könnten Sanitäter die Chips auslesen und etwa die Blutgruppe der Unfallopfer erfahren.

Kritik gegen mangelden Datenschutz

Gegner der Implantate kritisieren vor allem den vermeintlich mangelnden Datenschutz. Denkbar seien etwa Lesegeräte an öffentlichen Plätzen, die Passanten mit Chip scannen und so Bewegungsprofile erstellen. Friedemann Ebelt, Sprecher der Datenschutz-Initiative Digital Courage, möchte zunächst die Euphorie bremsen: „Natürlich wirkt die Technik spannend und futuristisch, doch es sollte sich jeder im Vorfeld genau mit den Implantaten beschäftigen“, sagt er. „Die verwendete Technik RFID ist häufig unverschlüsselt und kann ausgelesen werden. Menschen, die sich ein Implantat einsetzen, sollten sich bewusst sein, dass sie teilweise die Kontrolle abgeben. Sie machen sich möglicherweise zum Teil einer schwer überwachbaren Technik-Infrastruktur“, so Ebelt. Der Datenschutz-Aktivist sagt auch, dass die Technik bislang so wenig verbreitet sei, dass es vor allem eine Entscheidung von Person zu Person sei: „Jeder muss selbst wissen, was er oder sie mit dem Körper tut.“

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Das Futuristische bleibt

Patrick Kramer, der den Online-Handel „Digiwell“ betreibt, in dem auch Demmer sein Implantat kaufte, wehrt sich gegen die Kritik. Kramer, der sich selbst als Cyborg bezeichnet und derzeit vier Implantate trägt, hat selbst bereits über 500 Chips eingesetzt, er ist Szene-bekannt und ein Vertreter des Body-Hackings: „Die Implantate, die ich einsetze, sind so klein, dass selbst moderne Flughafen-Scanner sie nicht erfassen können. Um den Chip auslesen zu können, braucht es Hautkontakt“, sagt Kramer. „Ich finde einen Schlüssel für meine Wohnung unter der Haut, den keiner sieht und von dem keiner weiß, viel sicherer als einen physischen Schlüssel, den ich verlieren oder der mir geklaut werden kann.“ Seine Firma Digiwell arbeitet weiter an technischen Körpermodifikationen – aktuell sogar an einem Bezahlsystem mit dem etwa via Implantat die Einkäufe an der Supermarktkasse bezahlt werden können.

Mathias Demmer ist ebenfalls von der Sicherheit seines Implantats überzeugt: „Solange wir noch Handys in den Taschen tragen und unsere Informationen freiwillig im Internet verteilen, mache ich mir absolut keine Sorgen um mein Implantat.“ Für ihn bleibt das Implantat eine Spielerei, mit der er sich gerne beschäftigt. Die Selbstoptimierung, der Mensch 2.0, der Cyborg – das ist ihm fremd. Doch das Futuristische bleibt.

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