„Stell dich nicht so an“Acht oft gesagte Sätze von Eltern, die Kinder hart treffen

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Mädchen sitzt auf der Couch und dreht sich weg, ein Erwachsenen von hinten, der die Hände in die Hüften stützt.

Aus Frust oder Stress pfeffern Eltern ihren Kindern im Alltag oft Sätze entgegen, die gar nicht so harmlos sind, wie sie scheinen.  

Köln – Verbale Gewalt trifft Kinder manchmal genauso hart, wie wenn sie körperlich angegangen werden, darauf weisen Experten regelmäßig hin. Wenn Kinder im schlimmsten Fall regelmäßig angeschrien und mit Worten erniedrigt werden, leiden sie darunter oft noch viele Jahre später. Das ist der Extremfall. Doch auch in alltäglichen Sätzen, die viele Eltern zu ihren Kindern sagen, sind Aussagen versteckt, die irritierend und verletzend wirken können.

In den meisten Fällen steckt allerdings keine böse Absicht dahinter, wenn solch ein Satz fällt. „Meiner Beobachtung nach sind Eltern in vielen Fällen unabsichtlich verbal gewalttätig“, sagt Yvonne George, Sozialpädagogin und Expertin für gewaltfreie Kommunikation. „Die wenigsten Elternteile möchten ihr Kind verbal angreifen oder terrorisieren. Diese Aussagen entstehen oft aus einer inneren Not und Hilflosigkeit heraus.“ Eltern wüssten in solchen Momenten einfach nicht, was sie anderes tun sollen. „Oft haben Erwachsene es einfach nicht anders gelernt und wissen gar nicht, wie man mit Sprache alle Bedürfnisse berücksichtigt.“

Eltern nutzen unbewusst ihre Machtposition aus

Und genau um Bedürfnisse gehe es in solchen Situationen. „Wenn sich ein Kind im Supermarkt schreiend auf den Boden wirft, weil es Schokolade will, versucht es sein Bedürfnis zu erfüllen. Wenn das Elternteil dann schimpft, damit das Kind ruhig ist, versucht es ebenso sein Bedürfnis zu erfüllen.“ Teilten Mutter oder Vater dann verbal aus, nutzten sie ihre höhere Machtposition aus, um das Verhalten des Kindes nach ihrem Willen zu verändern. „Dabei werden die Bedürfnisse des Kindes oft völlig außer Acht gelassen.“

Gewaltfreie Kommunikation kann Situationen entschärfen

Durch das Prinzip der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) versuche man stattdessen, friedlich dafür zu sorgen, dass die eigenen Bedürfnisse erfüllt sind und gleichzeitig die Bedürfnisse des anderen, also in dem Fall des Kindes, berücksichtigt werden – sowohl verbal als auch praktisch. „In einer Situation, in der man im Begriff ist, solch einen Satz zu sagen, sollte man als Erwachsener lieber kurz anhalten, drei Mal durchatmen und beobachten, wie man sich fühlt und was man in dem Moment braucht“, sagt George, „und dann schauen, in welcher Situation das Kind ist und was es braucht.“ Dann könne man den Moment auch richtig auffangen und mit dem Kind kommunizieren, ohne bewertend, verallgemeinernd oder herabwürdigend zu sein.

Eltern sollten sich nicht selbst verurteilen

Wenn einem aber doch mal ein solcher Satz rausgerutscht sei, müsse man sich dafür nicht verurteilen. „Manche Eltern schämen sich für ihr Verhalten. Hier sollten sie sich aber auch selbst Empathie entgegenbringen.“ Statt sich zu grämen, könne es helfen, die Situation im Nachhinein zu betrachten und zu schauen, warum man sich in dem Moment so verhalten habe – um es das nächste Mal besser zu machen. „Es hilft auch, dem Kind nachträglich zu sagen, dass man bedauert, den Satz gesagt zu haben.“

Das sagt unsere Expertin zu acht typischen Elternsätzen. Wie kommen sie beim Kind an und was könnten Eltern stattdessen sagen?

Beispiel 1: Hör auf zu heulen!

Warum sagt man so etwas? „Wenn ein Kind weint, werden Eltern oft unbewusst an ihre eigene Kindheit erinnert und daran, wie sie damals in solchen Situationen behandelt und vielleicht abgelehnt wurden“, sagt George. Manchmal sei es auch Hilflosigkeit, weil sie sich in dem Augenblick Sorgen um das Kind machten und nicht wüssten, wie sie reagieren sollen.

Was macht das mit dem Kind? „Wenn ein Kind weint, hat es Trauer in sich – weil ihm etwas weh tut oder etwas nicht funktioniert“, sagt George, „durch einen solchen Satz fühlt sich das Kind abgelehnt und es versteht: ‚Es ist nicht okay, wie ich mich fühle, mir darf es nicht schlecht gehen, ich darf nicht leiden.‘“ Werde das Gefühl der Trauer und des Schmerzes häufig so abgetan, dann unterdrückten Kinder entweder langfristig diese Gefühle oder würden rebellischer und noch lauter, um doch noch gehört zu werden.

Wie geht es besser? Statt das Gefühl des Kindes wegzuwischen, könne man zum Beispiel sagen: „Du bist jetzt ganz traurig, das hat gerade wehgetan, oder? Ich bin da für dich. Wir schaffen das zusammen, der Schmerz geht wieder weg.“

Beispiel 2: Lass mich jetzt in Ruhe!

Warum sagt man so etwas? „Dieser Satz ist der typische Ausdruck eines eigenen unerfüllten Bedürfnisses, nämlich dass man gestresst und überlastet ist und eigentlich Erholung und Ruhe braucht.“ Das Elternteil gehe in dem Fall davon aus, dass das Kind dafür verantwortlich ist, dieses Bedürfnis nach Ruhe zu erfüllen. „Das ist natürlich falsch, denn Erwachsene sind für ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse verantwortlich.“

Was macht das mit dem Kind? „Wenn ein Kind oft ‚Lass mich in Ruhe‘ hört, wird das zu seinem Glaubenssatz werden. Es bleibt bei ihm hängen: ‚Ich bin meinem Eltern zu viel, ich störe‘.“ Das könne auf Dauer zu Selbstwertproblemen führen.

Wie geht es besser? „Jetzt geht es wieder darum, auf das Kind einzugehen und auszudrücken, dass man versteht, was es möchte und fühlt.“ Man könne stattdessen sagen: „Ich sehe, du hast gerade viel Spaß mit deinem lauten Spielzeug und willst mir das zeigen. Ich brauche aber gerade Ruhe, mir ist es wichtig, gerade meine Arbeit zu schaffen.“ Dann komme man in die Verhandlungsphase. „Das geht natürlich nur mit älteren Kindern. Und ist auch nicht immer so leicht.“ Man könne es bitten, ein leiseres Spielzeug auszusuchen oder eine Weile ins Zimmer zu gehen.

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Beispiel 3: Immer musst du Chaos machen!

Warum sagt man so etwas? „Ein solcher Satz ist eine Verallgemeinerung, man bewertet das Kind und trifft ein Urteil, ohne sich auf die konkrete Situation zu konzentrieren oder die genau zu kennen. Vielleicht ist dem Kind langweilig? Vielleicht hat es ein Problem?“ Aus Elternsicht stecke hinter so einem Satz häufig eine Bitte oder ein Wunsch, der aber meistens zum Gegenteil führe. „Man muss sich nur mal fragen, wie man sich selbst fühlt, wenn der Partner einen Immer- oder Nie-Satz anwendet. Da ist doch sofort eine innere Blockade da.“

Was macht das mit dem Kind? „Ein Kind fühlt sich durch einen solchen Satz bewertet und im Zweifelsfall unfair behandelt, weil eine Situation verallgemeinert wird.“

Wie geht es besser? Auch hier geht es wieder darum, sich in das Kind einzufühlen und das anzusprechen, was in ihm vorgeht. „Ich merke, du läufst durchs Haus, ziehst alles raus und machst Unordnung. Dir ist gerade langweilig, oder? Lass uns mal schauen, was du stattdessen tun könntest.“

Beispiel 4: Du treibst mich in den Wahnsinn!

Warum sagt man so etwas? „Wenn so ein Satz fällt, ist das ein Zeichen, dass Mama oder Papa schon am Limit sind, zum Beispiel, wenn das Kind abends partout nicht einschlafen will.“ Hier gebe der oder die Erwachsene aber wieder die Verantwortung für das eigene Wohlbefinden an das Kind ab.

Was macht das mit dem Kind? „Das Kind versteht: ‚Du bist gerade schuld daran, wie ich mich fühle.‘“

Wie geht es besser? Zunächst gehe es wieder darum, beide Bedürfnisse zu erkennen und zu kommunizieren: „Ich möchte jetzt meine Ruhe haben, ich brauche gerade Entspannung. Und du möchtest gerade noch bei Mama sein. Lass uns zusammen überlegen, was wir jetzt tun können, damit du einschläfst.“ Oft führe allein die Tatsache, dass man sein Kind in dem Moment mit Empathie versorge, dazu, dass es schneller einschlafe. „Wichtig ist, dass man es verbal für das Kind einordnet.“ Für die Kinder sei es leichter, zu kooperieren, wenn sie nachvollziehen könnten, wie es dem Erwachsenen gerade geht. „Ab einem gewissen Alter müssen sie ja auch lernen, dass Erwachsene eigene Bedürfnisse haben und sich um sich selbst kümmern dürfen.“

Manchmal müsse man auch aus einem Alarmzustand herausgehen und Raum für sich bekommen. Das könnten Eltern ruhig deutlich kommunizieren: „Ich muss mich erst beruhigen, ich gehe kurz was trinken.“ „Es gibt auch Situationen, da ist man so erledigt, dass man nicht mehr empathisch sein kann. In dem Fall ist es vielleicht auch gut, einfach an den Partner abzugeben oder Unterstützung zu holen.“

Beispiel 5: Du kannst das nicht, ich mach das.

Warum sagt man so etwas? „Wenn Kinder Dinge alleine tun wollen, geht es Erwachsenen oft nicht schnell genug, gerade wenn sie im Stress sind, und sie grätschen dazwischen und machen es lieber selbst.“

Was macht das mit dem Kind? „Hört das Kind zu oft ‚Du kannst das nicht‘ ist das wahnsinnig frustrierend. Manche Kinder gehen dann in die Rebellion und wollen mit Nachdruck alles alleine machen. Schlimmer ist es aber, wenn das Kind dann nach einiger Zeit aufgibt, nie mehr etwas versucht und bei der kleinsten Mühe denkt, dass es eh nichts kann und schafft.“ Das könne auf Dauer zu Hilflosigkeit, Ohnmacht und sogar Depressionen führen.

Wie geht es besser? „Man sollte dem Kind vermitteln, dass man ihm hilft, es selbst zu schaffen.“ Denn gerade für die Autonomie-Phase von Kleinkindern sei es enorm wichtig, sie alleine machen zu lassen. „Man könnte einfach sagen: ‚Ganz schön schwierig, so einen Reißverschluss zuzumachen. Komm, ich helfe dir ein bisschen. Mir ist es wichtig, dass wir pünktlich loskommen.‘“

Beispiel 6: Mit dir kann man sich nirgends blicken lassen.

Warum sagt man so etwas? „Solch ein Satz fällt oft in einer öffentlichen Situation, in der es dem/der Erwachsenen peinlich ist, wie das Kind sich verhält.“ Wenn ein Kind im Supermarkt einen Wutanfall habe, machten sich die Eltern Gedanken, was die Umstehenden denken könnten. „Und diese Unsicherheit lässt man am Kind aus.“

Was macht das mit dem Kind? „Das Kind möchte einfach etwas haben. Es wütet nicht, um zu ärgern. Es wird von seinen Gefühlen überrollt. Und so ein Satz macht die Situation noch schlimmer. Es denkt, es ist nicht normal oder nicht gut genug, vielleicht schämt es sich selbst sogar mit.“

Wie geht es besser? „Man sollte weggehen von den Gedanken an die anderen Leute und reingehen in die Situation mit dem Kind.“ Es gelte, den Wutanfall gemeinsam auszuhalten. In der Zeit solle man in Ruhe durchatmen, die Situation erkennen und überlegen, wie man handelt. „Man könnte zum Kind sagen: ‚Ich verstehe, du bist gerade richtig wütend, weil du den Lolli nicht kriegst.‘“

Bei älteren Kindern, die schon bewusster handeln, gehe es auch darum, in solchen Momenten eine Bindung herzustellen und Empathie für sie zu entwickeln. „Wenn der Zehnjährige im Restaurant Quatsch macht, dann kann es die Situation schon entschärfen, sich einzufühlen und zu sagen: ‚Du hast gerade kein Bock hier zu sein, verstehe ich. Aber mir ist es wichtig, dass wir für einen Moment in Ruhe zusammen essen.‘“ Auch Humor könne in diesem Moment hilfreich sein, um eine Leichtigkeit an den Tisch zu bringen.

Beispiel 7: Jetzt streng dich endlich an!

Warum sagt man so etwas?  „So ein Satz zeigt die eigene Not der Eltern, sie sind ungeduldig oder unzufrieden und sehnen sich danach, dass das Kind kooperiert.“

Was macht das mit dem Kind? „Das Kind versteht, dass die Eltern denken, es strengt sich nicht an, obwohl es vielleicht sein Bestes gibt. Dass es nicht gut genug ist. Daraus kann eine große Hilflosigkeit entstehen.“

Wie geht es besser? „Das Kind braucht an der Stelle Unterstützung, ihm fällt es schwer, sich zu konzentrieren oder zu motivieren, um eine Aufgabe zu lösen.“ Selbst wenn es einfach „kein Bock“ habe, sollten Eltern versuchen, sich einzufühlen: „Ich sehe, es fällt dir gerade wirklich schwer. Mir ist es aber wichtig, dass du deine Aufgaben löst. Hast du eine Idee, was dir helfen würde?“ Oft helfe es auch, wenn man kurz eine Spielpause mache und es danach nochmal versuche.

Beispiel 8: „Stell dich nicht so an!“

Warum sagt man so etwas? „Das Elternteil möchte, dass das Kind kooperiert und sich anders verhält, obwohl das Verhalten aus der Sicht des Kindes völlig Sinn ergibt.“

Was macht das mit dem Kind? „Wenn das Kind schon früh lernt, dass es okay ist, dass andere über seine Grenzen gehen, dann kann das langfristig zum Problem werden. Was das Kind heute erlebt, wird es später in sich haben.“

Wie geht es besser? Oft gehe es in diesen Momenten um verinnerlichte Werte. „Man sollte sich fragen, was man dem Kind eigentlich beibringen möchte? Wenn es die Oma gerade nicht küssen will, dann ist die Frage: Vermittele ich ihm, dass es über seinen Körper selbst entscheiden und Nein sagen kann?“ In dieser Situation müsse man erkennen, wo die Grenzen des Kindes liegen und diese respektieren. „Im obigen Fall müsste man das der Oma erklären und dem Kind sagen: ‚Ich sehe, du möchtest das gerade nicht, das ist in Ordnung.‘“

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