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Cytomegalie-Infektion„Was macht dieses Virus mit dem Kind in meinem Bauch?“

Lesezeit 6 Minuten
Hand einer Schwangeren mit dem Schriftzug "Stopp CMV"

Cytomegalie (CMV) ist die häufigste angeborene Infektionskrankheit. Trotzdem haben viele noch nichts von CMV gehört.

  • Cytomegalie (CMV) ist die häufigste Infektionskrankheit bei Neugeborenen. Trotzdem haben viele noch nie etwas von CMV gehört.
  • Auch Julia Burkhard war ahnungslos, als bei ihr in der Schwangerschaft eine neue Cytomegalie-Infektion festgestellt wurde. Und sie erfuhr, dass ihr Baby dadurch schwere Beeinträchtigungen erleiden könnte.
  • Doch wie gefährlich ist CMV wirklich? Unter welchen Folgen leiden die Kinder? Und was kann man präventiv tun, um eine Ansteckung zu verhindern?

Köln – Als ihre Frauenärztin in der siebten Schwangerschaftswoche persönlich bei ihr anrief, ahnte Julia Burkhard bereits, dass etwas nicht in Ordnung sein würde. Neu mit ihrem zweiten Kind schwanger hatte sie wenige Tage zuvor in der Praxis einen Bluttest gemacht. Dann traf sie die Diagnose völlig überraschend: Sie hatte sich frisch mit dem Cytomegalie-Virus (CMV) infiziert. Und erfuhr, dass das ihr Baby in Gefahr brachte. „Es war erst einmal ein Riesenschock“, erinnert sich Burkhard. „Ich wusste vor der Schwangerschaft gar nichts über CMV. Und meine brennendste Frage war natürlich: Was macht dieses Virus mit dem Kind in meinem Bauch?“

Das Cytomegalie-Virus ist an sich weit verbreitet, etwa 50 Prozent der Menschen tragen es in sich. In etwa 80 Prozent der Fälle verläuft die Infektion symptomlos, selten gibt es leichte grippeähnliche Symptome. Gefährlich wird das Virus vor allem dann, wenn sich eine Frau in der Frühschwangerschaft erstmals damit infiziert. Das kann schwere Folgen für das ungeborene Kind im Mutterleib haben.

Etwa 40 Prozent der neu infizierten Frauen übertragen das Virus auf ihr Kind. „Die primäre Cytomegalie-Virusinfektion ist bei Weitem die relevanteste Infektion in der Schwangerschaft“, sagt Frauenarzt Dr. Michael Wojcinski. „Etwa zwei bis sechs von 1000 Kindern sind bei Geburt mit CMV infiziert.“ Cytomegalie ist die häufigste angeborene Infektionskrankheit.

Wenige Therapie-Möglichkeiten bei CMV-Infektion

Julia Burkhard wurde gleich nach der Diagnose in ein Pränatalzentrum überwiesen, das sich auf die CMV-Thematik spezialisiert hatte. Es wurden regelmäßig Feinultraschalls gemacht und sie begann dort zunächst eine Antikörper-Therapie, später auch eine Tabletten-Therapie – beide Maßnahmen sind allerdings bisher nicht offiziell zugelassen. „Für mich waren die Behandlungen wie ein Strohhalm, an dem ich mich festhielt“, erinnert sich Burkhard, „wir konnten aktiv etwas tun, egal wie die Geschichte ausgeht.“

Die Therapiemöglichkeiten bei CMV sind allerdings noch dünn. Es zeigten sich zwar hoffnungsvolle Ansätze in der Forschung und man arbeite an Impfstoffen, sagt Dr. Wojcinski, abgesehen von Versuchen mit antiviralen Medikamenten gebe es aber noch keine Therapien für infizierte Frauen. Deshalb sei es das oberste Ziel, zu verhindern, dass Schwangere sich überhaupt neu mit CMV infizieren. „Wenn es aber doch zu einer Infektion kurz vor oder in einer Schwangerschaft gekommen ist, sollte diese frühestmöglich erkannt werden.“ Die einzige Maßnahme, um dann zu verhindern, dass der Fötus sich infiziere, sei der möglichst frühe Einsatz von CMV-Immunglobulinen.

Mögliche Symptome: Fehlbildungen, Hörschäden

Auf der Website der Initiative „Stark gegen CMV“ gibt es ausführliche Informationen über das Cytomegalie-Virus, die Risiken und möglichen Folgen für das Kind.

Auch Julia Burkhard hatte Hoffnung, da das Virus bei ihr so früh entdeckt worden war: „Was mich damals beruhigt hat, war, dass der behandelnde Arzt gesagt hat: Wir sprechen hier erst einmal von einem Risiko – und nicht von einem kranken Kind.“

Tatsächlich führt das CMV-Virus nicht in jedem Fall zu Beeinträchtigungen beim Kind. In den meisten Fällen kommen Babys völlig gesund zur Welt. Manchmal kann es aber zu gravierenden Schädigungen bis hin zu Fehl- und Totgeburten kommen. Mögliche Symptome des Babys können später Wachstumsverzögerungen, Gelbsucht, Mikrozephalie, Fehlbildungen, Krampfanfälle, geistige Behinderung oder Seh- und Gehörschädigungen sein.

Symptome zeigen sich oft erst nach der Geburt

Die Unsicherheit, ob ihr Kind durch CMV beeinträchtigt werden würde, war auch für Julia Burkhard das schwierigste. Vor allem als bei einer Fruchtwasser-Untersuchung in der 21. Schwangerschaftswoche festgestellt wurde, dass das Virus tatsächlich auf ihre Tochter übergegangen war. „Das hat uns nochmal den Boden unter den Füßen weggezogen. Und dann stand auch immer das Wort Spätabbruch im Raum. Wir entschieden uns aber dafür, das Kind in jedem Fall behalten zu wollen.“

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In den meisten Fällen stellt sich erst nach der Geburt heraus, ob ein Kind überhaupt Symptome hat. Bei Julia Burkhards neugeborener Tochter wurden deshalb zunächst Blutuntersuchungen, spezielle Hör- und Sehtests und ein Kopfultraschall gemacht. „Sie kam von jeder Untersuchung ohne Auffälligkeiten zurück. Der Arzt stellte schließlich die Diagnose asymptomatisch. Das war unser Wort des Jahres! Es war ein sehr emotionaler Moment.“

Inzwischen ist Burkhards Tochter 16 Monate alt und entwickelt sich altersgerecht. Sie läuft und ist sehr aufgeweckt und aktiv. Sie wird allerdings weiterhin engmaschig kontrolliert. Denn manche Kinder entwickeln auch erst innerhalb der ersten Lebensjahre Auffälligkeiten.

CMV-Infektion beim Kind oft nicht entdeckt

Manche Symptome, die Kinder erst später entwickeln, werden dabei oft gar nicht mit einer CMV-Infektion in Verbindung gebracht. „Kinderärzte sagen, dass 50 Prozent der Fälle, in denen Kinder zum Beispiel schwerhörig sind, auf eine CMV-Infektion der Mutter in der Schwangerschaft zurückzuführen sind“, berichtet Julia Burkhard. Aber wenn die Kinder erst einmal älter seien, könne das keiner mehr so richtig nachvollziehen.

Auch Frauenarzt Wojcinski bestätigt, dass Babys, bei denen eine asymptomatische CMV-Infektion nach der Geburt übersehen werde, später Hörschäden entwickeln könnten. Bei frühzeitigem Erkennen einer solchen Infektion könnten dagegen antivirale Medikamente vor Folgeschäden schützen. „Bei den Neugeborenen sollte CMV im Fokus stehen und es müssten regelmäßig Labor- und Hörtests durchgeführt werden“, fordert Wojcinski. Noch gebe es aber kein generelles Neugeborenen-Screening auf CMV in Deutschland.

Test auf Cytomegalie bisher keine Kassenleistung

Noch gravierender ist, dass auch der CMV-Test bei Schwangeren kein Standard in der Mutterschafts-Vorsorge ist und nicht von den gesetzlichen Kassen bezahlt wird. Oft klärten Frauenärzte gar nicht über die Risiken einer Cytomegalie-Infektion auf.

„Das ist für mich völlig unverständlich“, sagt Julia Burkhard. Sie habe großes Glück gehabt, dass ihre Frauenärztin sie schon früh auf CMV getestet habe. Auch Dr. Wojcinski sieht die fehlenden Aufklärungsmaßnahmen kritisch. „Die CMV-Infektion ist eine hoch gefährliche Erkrankung, die heute immer noch viel zu wenig Beachtung erfährt!“ Mit der „Initiative zur Prävention konnataler Cytomegalieinfektionen“ (ICON) unterstützen er und seine Kollegen Frauenärzte mit Informationsmaterial und bieten Hilfe an.

In der Öffentlichkeit sei CMV noch weitgehend unbekannt, erzählt Julia Burkhard. „Auch ich war fassungslos, dass ich davon davor noch nichts gehört hatte.“ Noch im Wochenbett gründete sie deshalb mit zwei anderen betroffenen Frauen die Initiative „Stark gegen CMV“ und startete eine Website, um über das Virus aufzuklären. „Wir wollen keine Angst machen, in vielen Fällen geht es gut aus. Doch es wichtig, dass Eltern und die, die es mal werden wollen, wissen, dass es dieses Virus gibt und was es für Risiken mit sich bringen kann.“

Hygieneregeln beim Umgang mit Kleinkindern

Auch aus Präventionsgründen. Wenn Frauen wissen, dass es das Risiko einer CMV-Infektion gibt, können sie sich auch besser vor einer Ansteckung schützen. „Das Verrückte ist, dass man CMV vor allem von den Menschen bekommen kann, die man am meisten liebt: von seinen eigenen Kindern“, erklärt Julia Burkhard. Kleine Kinder, die sich mit dem Virus infiziert hätten, schieden diesen besonders lange über Urin und Speichel aus und steckten so häufig die Mutter an. „Die größte Ansteckungsgefahr geht von Kleinkindern unter drei Jahren aus“, bestätigt Dr. Wojcinski. „Sind entsprechende Geschwisterkinder in der Familie oder werden Krabbelgruppen besucht, ist auf strengste Einhaltung von Hygieneregeln zu achten.“ Schwangere sollten zum Beispiel nicht das gleiche Besteck wie das Kind benutzen, es nicht auf den Mund küssen und nach dem Wickeln oder Nase putzen gut die Hände waschen.

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