Diversität in Kinderbüchern„Wir unterschätzen, wie prägend Vorbilder für Kinder sind“

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Illustration aus „Ich bin anders als du – Ich bin wie du“ von Constanze von Kitzing.

Köln – Vater, Mutter, Tochter, Sohn. Blonde Tochter. Gesunder Sohn. Reihenhaus, Garten, Planschbecken. Das Setting in Kinderbüchern ist, das muss man sagen, auch heute noch recht eindimensional. „Alles, was rechts und links von der Norm ist, wird in Kinderbüchern selten gezeigt“, sagt Autorin und lllustratorin Constanze von Kitzing, die schon mehrfach für die Diversität in ihren Kinderbüchern ausgezeichnet wurde. Doch, was heißt schon Norm: In einer Mietwohnung oder einer Patchworkfamilie aufzuwachsen, ist für viele Kinder Realität. Ebenso wie das Zuckerfest zu feiern, unterschiedliche Hauttöne zu haben oder in den Förderunterricht zu gehen. Für die Figuren in Kinderbüchern ist all das jedoch selten Teil der Lebenswelt. „Das führt dazu, dass sich viele Kinder in den für sie gemachten Büchern überhaupt nicht wiederfinden“, sagt von Kitzing. Und das habe negative Folgen für alle Kinder – sowohl für die, die zur Minderheit gehören, als auch für die, die zur Mehrheit gehören. 

Diese Erfahrung hat auch Olaolu Fajembola gemacht. Die 40-Jährige wuchs als schwarze Deutsche im Schwabenland auf. „Ich habe mich nie in meinen Kinderbüchern wiedererkannt. Wenn ich so hätte sein wollen, wie die blonden Protagonistinnen, dann hätte ich ein anderer Mensch werden müssen“, sagt sie heute. „Aber es ist natürlich schwierig etwas zu vermissen, was man nicht kennt.“ Erst durch die Geburt ihrer Tochter vor sechs Jahren sei ihr klar geworden: „Für mein eigenes Kind möchte ich das anders haben. Ich wollte einfach, dass sich unsere Perspektive auch in ihrem Kinderzimmer widerspiegelt.“

Olaolu Fajembola

Olaolu Fajembola

Doch es sei gar nicht so leicht gewesen, Bücher oder Spielzeug mit schwarzen Figuren zu finden. „Mir fehlte eine kuratierte Plattform, auf der ich so etwas kaufen kann.“ Kurz nach der Geburt ihrer Tochter lernte sie dann ihre heutige Geschäftspartnerin Tebogo Nimindé-Dundadengar kennen. Die beiden teilten ihre Frustration und beschlossen: „Wenn die Dinge sich nicht ändern, müssen wir etwas ändern.“ Und so gründeten die beiden Berlinerinnen ihren Online-Shop „Tebalou – Vielfalt im Spielzimmer“. Der Shop will allen Familien eine Plattform bieten.

Vielfalt natürlich abbilden

Bei Vielfalt geht es generell aber nicht nur um den Hautton. Es geht auch um Themen wie Behinderung, Religion oder Familienkonstellation. „Worum es jedoch nicht geht, ist, zwanghaft jedes Vielfaltskriterium in einem Buch abzubilden“, betont Constanze von Kitzing. Wir sollten davon weg kommen, schwarzen Kinder oder Kindern mit Behinderung nur unwichtige Nebenrollen zu geben. In von Kitzings Büchern ist die Diversität sozusagen eingebaut: Wenn von Kitzing ein Bilderbuch zum Thema Einkaufen gestaltet, haben die Kinder zufällig zwei Mütter oder einen schwarzen Vater und eine weiße Mutter. „Es geht darum, die Vielfalt nicht zum Problem zu machen, sondern sie ganz natürlich abzubilden.“

Constanze von Kitzing

Illustratorin Constanze von Kitzing bei der Arbeit

Constanze von Kitzing übrigens ist weiß, verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in einem Einfamilienhaus. „Ich bin aber mit dem Gedanken aufgewachsen, dass die Menschheit eine große Familie ist und dass jede Person gleich viel wert ist.“ Deswegen sei es für sie selbstverständlich gewesen, Diversität in ihren Illustrationen abzubilden. „Es hat mich eher überrascht, dass das für viele etwas Besonderes ist.“ Mittlerweile gebe es immer mehr diverse Kinderbücher, auch einige Verlage hätten die Themen auf der Agenda, sagt von Kitzing. „Es gibt allerdings immer noch sehr wenige Illustratoren und Autoren „of colour“. Und solange die sich nicht selbst repräsentieren können, sollten andere das übernehmen“, findet die 40-Jährige.

Einfach mal die Perspektive wechseln

Olaolu Fajembola ist besonders die Perspektive in den Büchern wichtig. „In vielen Kinderbüchern steht immer noch das weiße Kitakind im Fokus, das dann auch mal mit einem muslimischen Kind befreundet ist“, ärgert sie sich. Sie wünscht sich Bücher, in denen Kinder aus Regenbogen-Familien es nicht aufs Töpfchen schaffen. In denen das muslimische Kind die Geschichte erzählt und der Vater Baba heißt. In denen behinderte Kinder genauso Freundschaften eingehen und Streit haben können wie nicht behinderte Kinder. In denen sozial benachteiligte Kinder im Fokus stehen. In denen Mädchen rebellisch sind und Prinzessinnen eine schwarze Hautfarbe haben. „Es geht darum, alle Kinder zu stärken!“, sagt die Unternehmerin.

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Vor Corona waren Fajembola und ihre Geschäftspartnerin mit einem Verkaufsstand häufig bei Veranstaltungen und Festivals zu Gast. „Da standen dann Kinder, die ihren Eltern begeistert zugerufen haben: Guck mal, die Puppe sieht aus wie ich“, erzählt Fajembola. Auch Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher hätten ihnen bestätigt, wie wichtig diverses Spielzeug sei. Constanze von Kitzing wünscht sich, dass Schulen und Kitas vom Staat unterstützt werden, um mehr vielfältige Bücher anschaffen zu können. „Wir unterschätzen, wie prägend es für Kinder ist, sich an Vorbildern zu orientieren.“ Tauchen in Büchern schwarze Polizisten, muslimische Lehrerinnen oder männliche Erzieher auf, ermutigt das die Kinder dazu, ihren eigenen Weg zu gehen.

Bücher haben Macht

Und vor allem: Es macht sie toleranter. „Wir glauben immer, Kinderbücher seien nur ein winziges Rädchen im System“, sagt Constanze von Kitzing. „Aber in Wirklichkeit sind sie ein sehr wichtiges Rädchen. Denn Bücher haben viel Macht.“ So böten Bücher auch die Möglichkeit, niedrigschwellig über Diversität oder die Black-Lives-Matter-Bewegung zu sprechen, findet Olaolu Fajembola. Bei der gemeinsamen Lektüre könne man dann schon mal thematisieren, warum es Menschen gibt, die im Rollstuhl sitzen oder die eine andere Hautfarbe haben als man selbst. Denn dann sind die Kinder vorbereitet, wenn sie auf solche Menschen in der Realität treffen.

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Illustration aus „Ich bin anders als du – Ich bin wie du“ von Constanze von Kitzing.

Genau das ist Constanze von Kitzing schon passiert. In ihrem Buch „Ich bin anders“ hat sie einen Jungen mit Beinprothese gezeichnet. Eine Tatsache, die zu Hause mit Sohn und Tochter zu regen Diskussionen führte. Die beiden wollten wissen, was eine Prothese ist, warum manche Menschen so etwas haben und ob das weh tut. Als der Sohn einige Monate später eingeschult wurde, sah er, dass die Mutter eines Mitschülers zwei Beinprothesen hat. „Er hat mir dann zu Hause nur erzählt: „Mama, das ist wie bei dem Jungen in deinem Buch.“, erzählt von Kitzing. „Es hat mich total gefreut festzustellen, dass man Kindern Vielfalt und Toleranz tatsächlich über Bilder beibringen kann.“

So findet man gute, diverse Kinderbücher

Doch wie findet man als Eltern die Bücher, die genau das mit den Kindern machen? Die sie zu toleranten und offenen Menschen werden lassen und sie nebenbei noch gut unterhalten? Denn natürlich: „Die Bücher sollen zuallererst auch spannend und gut geschrieben sein“, sagt Olaolu Fajembola. Beim zufälligen Stöbern wird man kaum fündig werden –  zu groß ist die Auswahl an Kinderbüchern. Gute lokale Kinderbuchhandlungen können vielleicht beraten. Auch einige Blogs (zum Beispiel „Buuu.ch“ oder „Mint & Malve“) sowie das „Kimi-Siegel" zeichnen gute und diverse Kinderbücher aus. Fündig wird man natürlich auch im Online-Shop von Olaolu Fajembola.

Empfehlungen von Olaolu Fajembola

Jessica Love: „Julian feiert die Liebe“, Knesebeck, ab 4 Jahren

Haddy Nije, Lisa Aisato: „Wenn die Jahreszeiten träumen“, Atrium Verlag, ab 4 Jahren

Constanze von Kitzing: „Ich bin anders als du – Ich bin wie du“, Carlsen, ab 3 Jahren

Tobias Krejtschi: „Wie der Kiwi seine Flügel verlor“, Peter Hammer Verlag, ab 4 Jahren

Shel Silverstein: „Der Baum, der froh und glücklich war“, Atrium Verlag, ab 5 Jahren

Stephan Kalinski, Iain Botterill, Claudia Piras: „Neu erzählt: Schneewittchen und die sieben Zwerge“, Instinctively Limited, ab 4 Jahren

Ihr Tipp: „Beim Thema Geschlechtergerechtigkeit etwa haben viele Eltern sehr gute Antennen entwickelt. Ein Bilderbuch, in dem ausschließlich der Vater arbeiten geht und die Mutter nur zu Hause ist, würden wir ja auch nicht unkommentiert lassen. Die gleichen feinen Antennen sollten wir auch für andere Themen entwickeln.“ Wichtig ist ihr außerdem, dass Eltern sich mit den entsprechenden Themen auseinandersetzen. „Es reicht nicht, ein Produkt mit Vielfaltsanspruch zu kaufen und das Thema abzuhaken. Auch Eltern müssen sich zu den Themen Diskriminierung und Rassismus weiterbilden, um vorbereitet zu sein, wenn das Kind beim Lesen und Spielen einen abwertenden Kommentar macht, um dann entsprechend reagieren zu können.“

Denn nur so wird das was. Mit mehr Vater, Vater, Tochter, Sohn. Schwarzer Tochter. Behindertem Sohn. Mehrfamilienhaus, Balkon. Wassereimer.

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