Emotionaler Ausnahmezustand„Es ist okay, das Schwangersein auch mal blöd zu finden“

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Wie wird wohl alles werden? Zweifel, Ängste und Unsicherheiten gehören zum Schwangersein dazu.

Fragt man zehn Mütter, wie sie ihre Schwangerschaft erlebt haben, bekommt man wahrscheinlich zehn unterschiedliche Geschichten zu hören. Und selbst dann ist Frau keineswegs darauf vorbereitet, was sie selbst erfahren wird, wenn sie ein Baby erwartet – sogar noch beim zweiten, dritten oder sechsten Kind. Dass Schwangersein wahrlich ein Ritt der unterschiedlichsten Stimmungen, Gedanken und Emotionen sein kann, berichten Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim in ihrem neuen Buch „Wow Mom – der Mutmacher für deine Schwangerschaft“. Ein Gespräch.

Die erste Schwangerschaft ist verbunden mit so vielen Gedanken und Gefühlen. Eigentlich eine Ausnahmesituation, oder?

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Lisa Harmann (l.) und Katharina Nachtsheim schreiben seit vielen Jahren den bekannten Eltern-Blog „Stadt Land Mama“.

Lisa Harmann: Das erste Mal schwanger zu sein ist eine absolute Ausnahmesituation, ein lebensverändernder Moment. Es prasselt alles auf einen ein und man stellt sich so viele Fragen. Wie wird alles werden? Was passiert mit meinem Job? Höre ich irgendwann mal auf, mich zu übergeben? Wir geraten ja alle als Anfänger in dieses Baby-Business.

Wie war es für Sie, das erste Mal schwanger zu sein?

Ich war mit 23 noch relativ jung, als ich das erste Mal schwanger wurde. Zu dieser Zeit hat keine meiner Freundinnen beim Kinderkriegen mitgemacht, ich konnte mich also nur wenig austauschen und habe mich besonders am Anfang auch einsam gefühlt. Ich hätte mir jemanden gewünscht, der mich ein bisschen an die Hand nimmt und auch emotional begleitet. Ich kann mir vorstellen, dass es heute zu Corona-Zeiten mit den Kontaktbeschränkungen für viele werdende Mütter auch gar nicht so einfach ist, jemanden zum Austausch zu finden.

Mit Ihrem Buch wollen Sie Schwangeren Mut machen, wie genau?

Ich finde, dass Mut nicht immer aus Angst entsteht, Mut braucht es ja auch für ein erstes Date etwa. Wir holen die Schwangeren wie eine gute Freundin ab. Wir wollen kein Ratgeber sein, in dem die medizinischen Fakten und Entwicklungsschritte des Babys im Vordergrund stehen und der der Frau genau sagt, wie sie es machen muss. Sondern wir möchten ein emotionaler Begleiter sein, der zeigt, was der Weg von der Frau zur Mutter auch mental mit uns macht, wie unterschiedlich so eine Schwangerschaft laufen kann – und natürlich auch, welche verschiedenen Familienformen es gibt. Dass es vor, während und nach der Schwangerschaft keinen falschen Weg gibt, sondern viele richtige.

Und manche Wege mit Baby im Bauch sind gar nicht so leicht…

Buchtipp

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„Wow Mom – der Mutmacher für deine Schwangerschaft“, Lisa Harmann/Katharina Nachtsheim, Fischer Verlage, 2021

Bereits erschienen sind „Wow Mom – der Mama-Mutmacher fürs erste Jahr mit Kind“ (2019) und „Der Mama-Mutmacher für mehr Ich in all dem Wir“ (2020).

Absolut! In unserem Buch geht es sowohl um die positiven als auch die negativen Gefühle – und alle haben ihre Daseinsberechtigung. Wir haben die Kapitel nach Emotionen aufgebaut, die viele Schwangere kennen, mit dabei sind zum Beispiel „vorfreudig“, „unsicher“, „launisch“ oder „verletzlich“. Natürlich gibt es Schwangere, die dieses viel beschworene Leuchten haben und sich zuvor noch nie so glücklich und sexy gefühlt haben. Aber da sind eben auch noch so viele andere Erfahrungen. Wir wollen zeigen, dass es vollkommen okay ist, das Schwangersein auch mal blöd zu finden. Dass es normal ist, Schwierigkeiten zu haben mit dem Kontrollverlust, der über einem hereinbricht – weil der Körper macht, was er will und die Hormone am Rad drehen.

Ein Kapitel im Buch beginnt mit den Worten „Fuck! Fuck! Fuck!“, darin erzählt eine Frau von ihrer gar nicht schönen Schwangerschaft mit dem dritten Kind, das nicht geplant war. Sie hatte große Zweifel, ob sie es schafft. Mit diesen Geschichten aus dem echten Leben möchten wir Druck abbauen. Schwangere dürfen auch mal zweifeln und hadern mit der Situation.

Über so etwas sprechen nicht viele Mütter im Nachhinein…

Es stimmt schon, dass manche Aspekte von Schwangerschaft und Geburt in Erzählungen noch oft ein Tabu sind. Wenn der Schwangerschaft eine Fehlgeburt voranging. Wenn nach der Geburt eine postpartale Depression anrollte. Wir lassen Frauen mit diesen Erfahrungen zu Wort kommen. Und wir haben gemerkt, wenn man ehrlich über solche Erfahrungen spricht, erfährt man plötzlich sehr viel Offenheit. Dann sagen viele „das war bei mir auch so!“.

Und doch wird von werdenden Müttern geradezu erwartet, dass sie super glücklich sind. Warum eigentlich?

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Euphorie mit Babybauch: Lisa Harmann in der Schwangerschaft mit ihren Zwillingsjungs – daneben ihre damals einjährige Tochter.

Es wird ja in der Öffentlichkeit ein wahnsinnig romantisches Bild von Schwangerschaft, Geburt und dem ersten Lebensjahr mit Baby gezeichnet. Es wäre ja auch schlimm, wenn alle sagen würden: „Kinder kriegen ist einfach nur schrecklich!“. Das stimmt ja auch nicht.

Oft kommt aber nur das Positive zur Sprache, weil wir im Nachhinein ganz viel verklären. Wenn ich jetzt zurückblicke, erinnere ich mich auch vor allem daran, wie toll ich es fand, schwanger zu sein und diesen Bauch zu haben. Ich habe mich auch so unglaublich auf dieses Kind gefreut. Als ich aber neulich in meinem Schwangerschaftstagebuch nachgelesen habe, stand da, wie schlecht es mir anfangs ging, dass ich lieber sterben wollte, als mich dauernd so krass übergeben zu müssen. Im Erinnern haben wir echt eine selektive Wahrnehmung.

Das Bild der glücklichen Schwangeren wird aber auch hochgehalten, weil werdende Mütter eine kaufkräftige Zielgruppe sind. Und in der Werbung kann man ja keine müde Schwangere zeigen, die über dem Klo hängt. Stattdessen werden dann Strahlefrauen in weißen T-Shirts präsentiert. Und wenn es einem selbst nicht so geht, kommt schnell der Gedanke: Krieg nur ich das so nicht hin? Bin ich vielleicht kaputt?

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Wie mächtig sind solche Idealbilder?

Für die echten Schwangeren, die sich tatsächlich so fühlen, als wären sie vom LKW überrollt worden, werden da Erwartungen aufgebaut, die sie gar nicht erfüllen können. Der Druck, etwas falsch zu machen, ist ja ohnehin in der Schwangerschaft sehr hoch. Kein Wunder, schließlich hat man nun die Verantwortung für ein weiteres menschliches Wesen. Aus Unsicherheit kaufen viele Frauen dann plötzlich Dinge, die sie eigentlich nicht brauchen, zum Beispiel einen Nasensauger, den man am Staubsauger anschließen kann.

Warum trifft viele Frauen das Gefühl der Unsicherheit und des Kontrollverlusts in der Schwangerschaft so unvorbereitet?

Ja, das ist krass. Das liegt auch daran, dass wir Frauen bis zum Zeitpunkt einer Schwangerschaft eine große Freiheit haben und nahezu gleichberechtigt sind. Wir haben gelernt, dass wir alles machen und erreichen können. Doch in der Schwangerschaft ist das anders, hier kommen wir nicht mit Fleiß weiter. Wir müssen die unbändige Natur geschehen lassen, diesen Kontrollverlust aushalten und uns auf die eigene Intuition berufen. Meine erste Geburt war zum Beispiel auch nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Ich startete im Geburtshaus und landete schließlich im Krankenhaus, wo ein Kaiserschnitt mit Vollnarkose gemacht werden musste. Das musste ich erst einmal verarbeiten. Heute denke ich trotzdem mit einem warmen Gefühl an meine Schwangerschaft zurück.

Sich in der Schwangerschaft auf alles einzustellen und flexibel zu bleiben, das ist eine große Herausforderung. Auch weil jede Schwangerschaft und Geburt anders ist. Viele Frauen denken zum Beispiel, sie hätten es nach der ersten Schwangerschaft begriffen und werden dann bei der zweiten doch überrascht. Das geht ja mit der Elternschaft so weiter, jedes Kind ist anders und es passiert ständig etwas Neues.

Welche Dinge könnten helfen, damit besser zurecht zu kommen?

Es ist gut, Ruhe zu bewahren, Dinge auf sich zukommen zu lassen und auf seine Intuition zu hören. Wir können da aber nicht alleine durch. Genauso wichtig ist es deshalb, Leute zu finden, die einen ernst nehmen mit dem, was man in der Schwangerschaft will und sagt. Und zwar sowohl Ärzte und Hebammen, bei denen man sich gut fühlt, als auch andere Menschen im Umfeld – there ist no hood like motherhood! Schwangere sollten sich eine unterstützende Umgebung schaffen, die sie bestärkt und nicht verängstigt.

Und die sich mit ihnen freut! Diesen Aspekt haben wir ja noch gar nicht erwähnt…

Ja, klar! Ich finde, jede Schwangerschaftsetappe darf gefeiert werden. Es ist wichtig, sich auch Momente der Freude zu gönnen. Die Glückshormone kann Mama immer gut gebrauchen – sie gehen dann auch direkt über zum Kind.

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