Freier lernenWas ist dran am Hype um alternative Schulen?

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Wenn es um die Bildung ihres Kindes geht, kommt für immer mehr Eltern auch eine private Schule in Frage.

  • Fast jeder zehnte Schüler in Deutschland besucht eine private Schule.
  • Was begeistert Eltern an diesen Privatschulen? Und sind sie wirklich eine gute Alternative?
  • Bildungsforscher Heiner Barz über die Chancen und Schattenseiten alternativer Schulmodelle.

Köln – Die einen stehen Privatschulen skeptisch gegenüber, die anderen tun alles dafür, ihr Kind auf solch einer privaten Schule unterzubringen. Fest steht: Jedes Jahr entscheiden sich immer mehr Familien für eine Schule in freier Trägerschaft. In den letzten 25 Jahren gab es einen Anstieg von 81 Prozent. Inzwischen besuchen neun Prozent der Schüler in Deutschland eine private Einrichtung.

Viele verschiedene Formen privater Schulen

Dabei hat eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung vor kurzem ergeben, dass Schüler privater Schulen nicht unbedingt bessere Leistungen erzielen als jene öffentlicher Schulen. Trotzdem haben private Schulen nach wie vor eine große Anziehungskraft. Dabei kann man nur schwer von den Privatschulen sprechen. Denn die Bandbreite der Schulmodelle in freier Trägerschaft ist groß. Sowohl konfessionelle Schulen und private Gymnasien gehören dazu, als auch Montessori- oder Waldorf-Einrichtungen oder so genannte Freie Schulen. 

In der Öffentlichkeit stehen vor allem diejenigen Modelle privater Schulen in der Kritik, die ein besonders freies Lernkonzept vertreten. In Düsseldorf soll zum Beispiel bald eine Demokratische Schule eröffnen, in der es weder Unterricht noch Lehrplan geben soll.

Können solche Modelle funktionieren? Was erhoffen sich Eltern von den privaten Einrichtungen? Und sind private Schulen allgemein eine gute Alternative zur staatlichen Schule? Ein Gespräch mit Bildungsforscher Heiner Barz von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

In Düsseldorf ist eine „Demokratische Schule“ geplant, die nach eigenen Angaben ohne Unterricht, Lehrplan und Noten arbeitet. Was steckt dahinter?

Heiner Barz: Die Demokratische Schule lehnt sich an das so genannte Sudbury-Modell an, bei dem es nur Unterricht auf Wunsch der Schüler gibt. Es wird davon ausgegangen, dass Kinder lernen wollen und sich dann vor Ort Pädagogen suchen, die sie dabei unterstützen. Das ist eine sehr optimistische Sicht auf die Lernwilligkeit und Lernfähigkeit von Kindern. Nach dem Motto: Sie wollen lernen, wenn man sie nur lässt.

Das normale Schulsystem, so wird argumentiert, verhindere dieses Lernen-wollen. Weil es ein falsch zusammengestelltes Überangebot liefere und mit Zwang und Sanktionen arbeite. Dadurch werde die selbständige und spontane Lernmotivation von jungen Leuten verhindert.

Und wollen Kinder tatsächlich freiwillig lernen? Kann so etwas funktionieren?

Barz: Das ist eine gute Frage, die sich stellt, seit es derartige Konzepte gibt. Diese Demokratischen Schulen sind tatsächlich kaum erforscht. Es gibt aber Erfahrungsberichte der Schulen selbst. Und mein Eindruck ist, dass das vor allem Einrichtungen für Schüler sind, die im normalen Schulbetrieb Probleme haben. Es ist eine Art Kompensationsmodell oder Reparaturbetrieb für das staatliche Schulwesen. Wenn ihre Kinder in der staatlichen Schule nicht zurechtkommen, weichen viele Eltern auf solche Alternativkonzepte aus.

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Und Möglichkeiten, die Kinder an privaten Schulen unterzubringen, haben die Eltern ja viele…

Barz: Ja. Und wenn man über das Thema spricht, muss man zunächst klar stellen: Es gibt ganz viele verschiedene Modelle privater Schulen – oft verwendet man auch die Begriffe „Schulen in freier Trägerschaft“ oder „Ersatzschulen“. Jede dieser Schulen hat ihre ganz eigene und andersartige pädagogische Konzeption. Es gibt zum Beispiel Montessori-Schulen, die eher individuelles Lernen fördern. Waldorfschulen, bei denen das künstlerisch-kreative-soziale im Vordergrund steht. Konfessionelle Schulen, die in vielen Dingen den staatlichen Schulen ähneln. Oder auch Elite-Gymnasien. Die Demokratische Schule ist wohl das radikalste Modell.

All diese Schulen unterliegen der staatlichen Schulaufsicht. Denn auch private Schulen müssen Standards einhalten und zum Beispiel ihre Schulkonzepte offen legen und genehmigen lassen. Die vom Staat anerkannten Schulen in freier Trägerschaft haben auch Anspruch auf eine zumindest anteilige finanzielle Förderung.

Und können private Schulen eine sinnvolle Alternative zu den öffentlichen Schulen sein?

Barz: Auf jeden Fall. Ob das Demokratische Modell sich als sinnvoll erweist, ist eine andere Frage. Aber insgesamt ist der Bereich der freien Schulen ein wichtiger Faktor im Schulsystem. Weil sie als Kompensationsbetrieb dienen. Aber auch als Innovationslabor. Bei den privaten Schulen wurde zum Beispiel das Gesamtschulprinzip zuerst verwirklicht oder hier wurden zuerst Jungs und Mädchen gemeinsam unterrichtet. Auch Englisch-Unterricht ab Klasse eins war zunächst ein reformpädagogisches Experiment. Das Training überfachlicher Kompetenzen in der Projektmethode wurde inzwischen als interdisziplinäre Projektwochen von den Regelschulen übernommen. Vieles, was Ersatzschulen ausprobiert haben, ist heute auch im Regelschulsystem etabliert.

Interessieren sich auch immer mehr Familien für alternative Schulformen, weil die Frustration mit dem hiesigen öffentlichen Schulsystem so groß ist?

Barz: Das ist sicherlich oft der entscheidende Punkt. Im staatlichen Schulsystem gibt es natürlich auch tolle Schulen, Lehrer und Konzepte. Aber die Möglichkeiten, im Rahmen dieses Systems eine schülerorientierte Pädagogik zu verwirklichen, sie individuell zu fördern oder auf schwächere Schüler Rücksicht zu nehmen, sind dort meist deutlich geringer ausgeprägt als bei freien Schulen.

Aber es gibt auch viele Eltern, die sich von Anfang an für ihr Kind eine schulische Umgebung vorstellen, wo eher die Eigenaktivität, Individualität oder Persönlichkeitsentwicklung oder das angstfreie Lernen im Vordergrund steht. Und nicht das Pauken auf Prüfungen und das Abspulen von Wissen. Viele sehen es nicht gern, dass es immer mehr Tests und Lernstandserhebungen gibt und für die Kinder schon immer früher der Druck einsetzt, Leistungen punktgenau abzuliefern.

Wenn Schüler in solchen alternativen Schulen ohne Druck lernen – wie schaffen sie später einmal den Übergang ins harte Berufsleben?

Barz: Diesen Schulen wird oft vorgeworfen, dass sie einen netten Schonraum schaffen und die Schüler später in der wirklichen Welt der Leistungserwartungen Probleme haben. Mein Eindruck ist, dass diese Befürchtung meistens nicht zutrifft. Wir haben zum Beispiel Waldorf- und Montessori-Schulen untersucht und dort sind die Erfolge der Schüler später eher überdurchschnittlich – sowohl was Abitur-Durchschnitts-Noten und PISA-Untersuchungen betrifft, als auch was die Rückmeldung der Betriebe angeht. Die berichten, dass zum Beispiel Waldorfschüler viel besser zupacken können, selbständiger sind und sich mehr zutrauen.

Neun Prozent der deutschen Schüler gehen auf eine Schule in privater Trägerschaft. Von den Akademiker-Familien sind es laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) um die 23 Prozent. Sind private Schulen nur was für Gebildete?

Barz: Eigentlich nicht. Aber es ist tatsächlich so, dass bildungsnahe Eltern eher auf die Idee kommen, ihr Kind nicht an der nächstgelegenen Schule sondern auf einer Schule mit gutem Ruf oder besonderem Konzept anzumelden. Man braucht also eine besondere Bildungsaffinität.

Und einen großen Geldbeutel, oder? Es wird oft kritisiert, dass diese alternativen Schulen soziale Ungleichheit begünstigen würden, weil dort vor allem Kinder gut verdienender Eltern sind…

Barz: Der Elite-Vorwurf gilt sicherlich für manche Schulen. Zum Beispiel für internationale Gymnasien. Da kann man zurecht von Elite sprechen. Das ist aber eine Ausnahmeerscheinung. Das Standard-Modell von Ersatzschulen ist eher das katholische Gymnasium, die Waldorfschule oder die Montessori-Grundschule, die versuchen, eine anders konzipierte Pädagogik zu realisieren. Diese Schulen haben nichts mit Elite zu tun. Und doch muss man sagen, dass in all diesen Schulen Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen auch eher unterrepräsentiert sind.

Wobei ich an dieser Stelle gerne anmerken würde, dass auch das staatliche Schulsystem in sich keine Chancengleichheit gewährleistet. Es ist leider eine Tatsache, dass auch die staatlichen Schulen massive Selektionsmechanismen reproduzieren. Wenn Sie ein Gymnasium in einem schickeren Stadtteil nehmen und mit einer Gesamtschule in einem Stadtteil im sozialen Brennpunkt vergleichen, dann finden Sie auch keine sozial ausgewogene Schülerschaft.

Wie könnte man bei den privaten Schulen die Hürde kleiner machen, damit sich dort mehr Familien aus allen Schichten anmelden können?

Barz: Da spielen die Gebühren eine Rolle. Die privaten Schulen müssen ja jeden Monat Geld von den Eltern nehmen, weil sie vom Staat zu wenig Geld bekommen, um den Schulbetrieb aufrecht zu erhalten. Damit die Barriere Geldbeutel fällt, wäre eine mögliche Strategie, private Schulen genauso zu finanzieren wie staatliche Schulen. Viele Bildungsforscher plädieren dafür, Bildungsgutscheine auszugeben: Dass Eltern für jedes Kind ein Budget zur Verfügung gestellt bekommen und dann selbst entscheiden, ob sie dieses Budget der staatlichen Schule oder einer privaten Schule übergeben. Wenn das so wäre, bräuchten diese Schulen kein Geld von den Familien zu erheben. 

Vielen Dank für das Gespräch.

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