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In Sachen LiebeSo viel Zärtlichkeit tut einer neuen Beziehung gut

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Bei Pärchen kann es unterschiedliche Vorstellungen von Nähe geben. (Symbolfoto)

  • Was passiert, wenn ein Partner am Anfang zu viel liebevolle Zuwendung vom Anderen erwartet?
  • Unser Experte verrät, warum nicht alle Menschen zärtlich in eine Partnerschaft gehen – und wie man damit umgehen kann.

Köln – Ich habe vor kurzem eine Frau kennengelernt. Wir harmonieren in eigentlich jeder Hinsicht gut, vom Kopf her stimmt alles. Was mich aber davon abhält, richtige Gefühle zu entwickeln, ist die Tatsache, dass sie sehr wenig zärtlich und romantisch ist. Ich würde mir spontane Umarmungen wünschen, verwegene Komplimente, liebevolle SMS.

Als ich sie darauf ansprach, erklärte sie, dass ihre Art in früheren Beziehungen ebenfalls zu Problemen geführt habe. Sie habe von ihren Eltern, die sich früh scheiden ließen, nie Zärtlichkeit vorgelebt bekommen. Sie sei aber dennoch aufrichtig in mich verliebt. Nun fürchte ich, dass ich das Verhalten einer 55-Jährigen nicht mehr grundlegend ändern kann, will aber auch nicht mit diesem Mangel in einer Beziehung leben. Für mich  ist dies sehr wichtig. Muss ich mich trennen? Jens, 61

Sich Raum zum Atmen lassen – wortwörtlich

Neulich in einem Café weckte ein Paar am Nebentisch meine Aufmerksamkeit. Die beiden könnten etwa in Ihrem Alter gewesen sein. Sie saßen nebeneinander. Er hatte seine Arme um sie gelegt und schaute sie lächelnd, verliebt an, während er auf sie einsprach. Es schien dennoch offensichtlich, dass sie sich noch nicht so lange kannten. Sie wirkten nicht wirklich vertraut miteinander.

Er zog sie immer wieder zu sich heran, drehte seinen Kopf zu ihr und suchte mit seinem Blick den ihren. Er kam ihr dabei sehr nah. Sie lächelte auch, etwas zurückhaltend, richtete ihren Blick immer wieder geradeaus. Was ihn wiederum dazu brachte, sein Gesicht noch mehr zu ihrem zu drehen. Ich dachte: So kann das nicht gut gehen! Er lässt ihr keinen Raum zum Atmen und bedrängt sie regelrecht.

Mit einem Idealbild funktioniert es nicht

Diese Szene kam mir bei Ihrer Frage in den Sinn. Vielleicht denken Sie jetzt: So bin ich aber doch gar nicht. Dennoch kommt es mir vor, dass auch Sie sich sehr schnell – vielleicht zu schnell – eine Vertrautheit wünschen, die nach einer so kurzen Zeit kaum möglich ist. Dabei scheinen Sie ein Idealbild im Kopf zu haben, das perfekt zu Ihren Bedürfnissen nach Zärtlichkeit und passt. Und das möchten Sie so schnell wie möglich erfüllt bekommen. Das Bedürfnis kann ich verstehen. Doch so funktioniert es selten.

Sie haben beide Erfahrungen in Beziehungen gemacht. Ihre Freundin hat Ihnen bereits anvertraut, weshalb es ihr schwerfällt, Zärtlichkeiten auszudrücken. Mit Sicherheit gibt es tief in ihr auch eine Sehnsucht danach. Vermutlich braucht sie jedoch Zeit, um mehr vertrauen zu können; um mit ihrem Wunsch nach Nähe und Zugewandtheit nicht erneut verletzt zu werden, so wie in ihrer Kindheit. Trotzdem sagt Sie Ihnen, sie sei aufrichtig in Sie verliebt. Sie zeigt ihre Gefühle, obwohl Sie ihr eine Sicherheit noch gar nicht gegeben haben. Und: Sie selber Zweifel hegen: Sie fragen sich ja, ob ihre  Freundin sich mit 55 Jahren noch ändern kann.

Sagen, was man vermisst

Warum sollte sie das nicht können? Verändern kann man sich ein Leben lang. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass Sie Ihrer Beziehung dafür zunächst eine echte Chance geben müssten.  Gleichzeitig sind Sie sehr ungeduldig und möchten, dass Ihre Bedürfnisse befriedigt werden. Das passt nicht wirklich zusammen und bietet keinen guten Rahmen für achtsames Kennenlernen, auch auf der körperlichen Ebene.

Irgendwie wirkt es so, als wollten Sie nicht „die Katze im Sack kaufen“. Weshalb sind Sie eigentlich so ungeduldig? Was sind Ihre Erfahrungen in bisherigen Beziehungen? Haben Sie  schon mal erlebt, dass Sie bei Partnerinnen an Grenzen gestoßen sind? Wie wurden Sie mit Zärtlichkeit von Ihren Eltern versorgt?

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Vielleicht gibt es in Ihnen einen ungestillten Hunger, der nach Sättigung drängt und der von der neuen Partnerin erfüllt werden soll? Häufig ist es ja so, dass Menschen sich wünschen, der Partner möge im Idealfall all das erfüllen, was man bisher nicht bekommen hat. Leider funktioniert das so gut wie nie. Folgendes hingegen könnte funktionieren: Erzählen sie Ihrer Partnerin Ihre eigene Geschichte! Sagen Sie ihr, was Sie womöglich vermisst haben. Und fragen Sie sie, was sie braucht, um Zärtlichkeit zulassen zu können.

Das scheint lohnenswert. Denn Sie schreiben selbst: „Wir harmonieren in jeder Hinsicht. Vom Kopf her stimmt alles.“ Schätzen Sie diesen Schatz, und geben Sie sich Zeit! Seien Sie einfühlsam. Umwerben Sie sie. Achtsam. Liebevoll.

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