Jung, herzkrank, gefährdet„Dari ist nun schon seit zehn Monaten zuhause isoliert“

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Dari Woldejohannes ist Risikopatient und seit Monaten mit seiner Mutter zuhause. Sie versuchen das Beste aus der Situation zu machen.

Köln – Von einem Tag auf den anderen war Daris Schulzeit zu Ende. Einfach so. Nur wusste er das damals noch nicht. Als er im Februar, an Weiberfastnacht, nochmal zum Unterricht ging, um sich danach in Isolation zu begeben, ahnte er nicht, dass es das letzte Mal gewesen sein würde.

Denn Dari ist Hochrisikopatient. Er hat einen schweren Herzfehler und chronische Probleme mit der Lunge und ist daher besonders durch eine Ansteckung mit dem Corona-Virus gefährdet. Um sich zu schützen, musste er die Welt aussperren und seine Kontakte fast vollständig reduzieren.

Die Schulabschieds-Zeremonie fand auf dem Parkplatz statt

Jetzt, zehn Monate später, ist Dari immer noch isoliert. Und hat inzwischen die Förderschule beendet. Der Abschluss und sein 18. Geburtstag fielen genau in diese Zeit. „Dari war sehr traurig“, erzählt seine Mutter Birgit Höveler aus Niederkassel-Uckendorf, „es war schlimm für ihn, dass die Klasse nicht mehr zusammengekommen ist.“ Statt einer großen Abschlussfeier gab es eine Distanz-Zeremonie auf einem Parkplatz. Mit dem Auto konnten die Familien vorfahren, aber nur der einzelne Schüler durfte aussteigen und sich auf einen Stuhl vor das Auto setzen. Es wurde ein Videofilm gezeigt. Ein Abschiedsgruß aus großer Ferne.

Durch seine Krankheit ist Dari, der eigentlich Amahadari heißt, in Eritrea geboren wurde und als Baby zu Birgit Höveler kam, Einschränkungen grundsätzlich schon gewöhnt. Er darf sich nicht zu sehr anstrengen und braucht bei körperlicher Belastung zusätzlichen Sauerstoff und ab und zu einen Rollstuhl. „Doch was Aktivitäten betrifft, ist er trotzdem ein ganz normales Kind – das eben eine Sauerstoffflasche dabei hat“, sagt seine Mutter. „Er hat Power ohne Ende. Wenn man ihm lassen würde, würde er ewig laufen.“

Eine Viertelstunde Rad fahren als kleines Stückchen Freiheit

Gerade das aber ist gerade kaum möglich. Ab und zu machen sie einen kurzen Spaziergang durchs Dorf. Als die Infektionszahlen abflachten, ging er, geschützt mit FFP2-Maske, auch mal mit zum Einkaufen. Wenn es das Wetter zulässt, darf er immer mal wieder für eine Viertelstunde alleine auf dem Feldweg Fahrrad fahren. Ein kleines Stückchen Freiheit. Doch andere junge Menschen treffen, das geht nicht. Auch seine beiden erwachsenen Brüder, die in anderen Städten Deutschlands leben und zu deren Familien er sehr engen Kontakt hat, kann er leider nicht sehen.

Wie Dari geht es gerade vielen Kindern und Jugendlichen, die durch eine Krankheit oder Behinderung beeinträchtigt sind und dadurch zur Risikogruppe gehören. Bei ihnen ist die Gefahr besonders groß, wenn sie sich mit Corona infizieren oder auch im oft belüfteten Klassenraum einen Infekt holen, der für sie schlimme Folgen haben könnte. Viele von ihnen sind daher seit Beginn der Pandemie mehr oder weniger isoliert. Für die Kinder – und auch für die Eltern und Geschwister, die sich meist freiwillig mit in Selbstquarantäne begeben – eine große Herausforderung.

Viele Kinder können Monate lang nicht am sozialen Leben teilhaben

„Je beeinträchtigter ein Kind ist, desto weniger ist es im Augenblick möglich, ein soziales Leben zu führen“, sagt Dr. Annette Mund vom Kindernetzwerk. „Die Kinder treffen dann über lange Zeit wirklich niemanden mehr außerhalb ihrer Familie, sie können kaum mehr am Leben teilhaben. Und das schränkt sie oft in ihrer sozialen Entwicklung ein.“ Wenn die Schule wegfällt, sähen viele Kinder auch ihre gleichaltrigen Freunde nicht mehr. Denn private Treffen seien nicht nur für sie gerade zu riskant, sondern ohnehin oft logistisch schwierig zu realisieren, etwa bei Kindern, die einen Rollstuhl oder andere Hilfsmittel bräuchten. Die Schule sei eben der wichtigste soziale Ort, an dem sie sich sonst begegnen können. „Die älteren Kinder, die vorher guten Kontakt hatten, versuchen natürlich auch jetzt, über soziale Medien in Verbindung zu bleiben“, sagt Mund, „aber das ist für jüngere oder schwerer beeinträchtigte Kinder natürlich schwierig.“

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Kontakte im Netz helfen, aber ersetzen nicht den Klassenverband

Auch Dari, für den sich der neue Alltag nun komplett zuhause abspielt, pflegt seine sozialen Kontakte aktiv über das Internet. „Er chattet mit seinen Freunden oder spielt Computerspiele in einer Community, eigentlich wie die meisten Teenager“, erzählt seine Mutter. „Dari ist wirklich ein kommunikativer Mensch und hat es tatsächlich aus eigener Kraft geschafft, sich dieses soziale Netzwerk aufzubauen.“ Höveler ist froh, dass ihr Sohn das Beste aus der Situation macht. „Oft hört man, dass isolierte Jugendliche wütend werden, aber das gibt’s bei ihm nicht – und das, obwohl er auch noch ADHS hat“, erzählt sie. „Es ist erstaunlich, wie gut er die Isolation meistert und mit dieser Krise zurechtkommt.“

Und doch fehlt ihm der Anschluss an einen Klassenverband. Noch im Sommer, als das Infektionsgeschehen beherrschbarer schien, hat ihn seine Mutter daher bei einem Berufskolleg angemeldet. „Sie haben ihn sofort angenommen und sich für ihn eingesetzt. Er war ganz stolz“, erzählt Birgit Höveler. Ihr zuständiger Kinderkardiologe aber hat davon dringend abgeraten, solange es keine Corona-Impfung gibt. „So mussten wir das Berufskolleg, das so wichtig für ihn war, wieder absagen. Das hat ihm eine Weile zu schaffen gemacht.“

Weil er wissbegierig ist und trotzdem so gerne lernt, druckt ihm seine Mutter nun regelmäßig Arbeitsblätter aus dem Internet aus, mit denen er sich beschäftigt. Oder er hilft ihr bei der Vorstandsarbeit für einen Verein – in dem er sich seit kurzem auch als Beirat einsetzt. „Er möchte sich mehr engagieren. Und schon jetzt unterstützt er mich täglich“, sagt Höveler.

Lernbegleitungen und Therapieangebote fallen oft weg

Dari hat ohnehin Glück, auch jetzt wird er von einem sozialen Netzwerk getragen. Jedes Wochenende ist sein Onkel da, sie reden, spielen Gesellschaftsspiele oder lassen vor dem Haus ferngesteuerte Autos fahren. Mehrere Stunden die Woche kommt zudem eine Freizeitassistenz vorbei, die sich zuhause mit ihm beschäftigt. Viele Kinder mit Beeinträchtigung haben eine solche Lernbegleitung, die sie sonst in der Schule unterstützt. Nicht immer wird diese aber auch für einen Einsatz zuhause finanziert.

Auch Therapieangebote können im Augenblick nur teilweise umgesetzt werden. „Es wird versucht, die medizinisch notwendigen Therapien aufrecht zu erhalten, das klappt an sich ganz gut“, sagt Annette Mund, „manchmal ist es aber schwierig, weil viele Kinder vor allem in den Schulen ihre Therapien bekommen haben.“ In Daris Fall mussten notwendige Physio- und Ergotherapien teilweise ganz ausfallen, nur zeitweise konnten und können die bei ihm zuhause stattfinden.

Familien beeinträchtigter Kinder müssen alles auffangen

Einiges fällt weg für diese Familien, was sie nun zusätzlich selbst leisten müssen. „In Studien zeigt sich jetzt schon ganz klar, dass die Eltern doch massiv beeinträchtigt sind, weil sie alles alleine machen müssen“, sagt Annette Mund. Insbesondere seien sie nun verantwortlich dafür, dass ihre Kinder weiter Zugang zu Bildung haben und müssten über einen langen Zeitraum oft mehrere Kinder beim Homeschooling anleiten, mit teils mangelnder Unterstützung der Schulen oder fehlendem digitalen Equipment. 

Gerade zu Beginn der Pandemie mussten Familien plötzlich schauen, wie sie es überhaupt hinkriegen. „Alles, was sie sich aufgebaut hatten rund um die Beeinträchtigung des Kindes war erst einmal wieder hinfällig und musste neu organisiert werden“, sagt Mund. „Die meisten haben sich meiner Ansicht nach im Laufe der Zeit sehr gut selbst organsiert. Sie sind in gewisser Weise schon Krisen geprüft. Aber es ist natürlich trotzdem eine wahnsinnige Belastung.“

„Pflegende Angehörige werden einfach vergessen“

Auch für Daris Mutter Birgit Höveler ist der Alltag durch die Dauerbetreuung ein anderer geworden. Zwar ist sie nicht mehr berufstätig, dafür pflegt sie nebenher noch ihre 85-jährige Mutter und ist ehrenamtlich als Pflegegutachterin tätig. „Wir haben zudem Glück gehabt, dass wir vorher ein soziales Netzwerk aufgebaut haben, das uns jetzt auch in dieser Krise noch unterstützt“, sagt sie. „Viele Eltern schwer kranker Kinder müssen aber ganz alleine weiter funktionieren und haben, wenn sie berufstätig sind, teils schwere Einbußen. Oft gehen Existenzen kaputt.“

Von der Politik fühlt Höveler sich und andere Eltern beeinträchtigter Kinder in dieser Corona-Zeit viel zu wenig gesehen und finanziell unterstützt. „Pflegende Angehörige, ob man nun junge oder alte Menschen betreut, werden einfach vergessen“, sagt sie. Auch Annette Mund sieht das ähnlich: „Die Situation von Familien mit betroffenen Kindern wird auch schon im normalen Leben selten gesehen – und jetzt in dieser Krise noch seltener“. Sie würde sich wünschen, dass Eltern insbesondere beim Lernen daheim besser unterstützt werden.

Dari freut sich indes darauf, wenn er endlich wieder raus darf und im realen Leben Menschen treffen kann, erzählt Birgit Höveler. „Er liebt es auch, eine Shoppingmeile zu besuchen oder mal ins Kino zu gehen. Ich wünsche mir sehr, dass er das alles bald wieder tun kann.“

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