Kaffee, Koks, KriegMit euren Kindern nach Kolumbien reisen – seid ihr verrückt?

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Ein Mann, eine Machete! Nach der luftfeuchten Führung über die Kakao-Plantage - "laaangweilig" - durften hier endlich alle Familienmitglieder aktiv werden.

  • Unsere Autorin ist mit ihrer Familie nach Kolumbien gereist – zum Entsetzen ihrer Freunde.
  • „Der schlimmste Urlaub ever, ever, ever.” Auch ihre Teenager-Kinder waren anfangs nicht begeistert von der Reise.
  • Warum es sich dann doch gelohnt hat, dass sich doch alle aus der Familie auf dieses Abenteuer eingelassen haben.

Köln/Bogotá – „Das ist doch kein Urlaub hier“, motzt der Elfjährige morgens im Hotelzimmer. „Und wenn das Urlaub sein soll, dann ist es jawohl der schlimmste ever, ever, ever“. Wir sind mit drei Teenie-Kindern im Alter zwischen 10 und 13 auf dem Weg durch Kolumbien, das Land, das hierzulande vor allem für drei Dinge steht: für Kaffee, Koks und Krieg.

„Ja, seid ihr denn verrückt geworden?“, „Passt auf euch auf!“, „Ist da nicht noch Krieg?“, „Lasst euch nicht entführen!“, „Oh, braucht ihr neue Drogen?“ So waren die Reaktionen auf unsere Reisepläne im Vorfeld. Die Liste der Vorurteile ist lang – und wir profitieren davon, denn das Land ist touristisch erst sehr dürftig erschlossen.

Kolumbien hat schwere Zeiten hinter sich

Als 15-Jährige hatte mich ein Schüleraustausch Mitte der 90er Jahre in dieses faszinierende, lateinamerikanische Land geführt – nun wollte ich meiner Familie zeigen, wie wundervoll vielfältig es sich zwischen Anden und Karibik lebt. Wie herzlich und lebensfroh die Menschen sind, trotz oder gerade weil ihr Land so krisengeschüttelt ist.

Kolumbien hat schwere Zeiten hinter sich, das sieht man in den modernen Einkaufszentren Bogotás nicht, die wir notgedrungen besuchen, weil unsere Koffer es leider nicht mit uns bis ans andere Ende der Welt geschafft haben… „Super Urlaub“, mault die Große. „Und dann auch noch früh aufstehen morgen?“

Wir fahren über das Kolonial-Dörfchen Villa de Leyva, das so lange „laaangweilig“ ist, bis Kolibris um unseren Frühstückstisch fliegen und die Stadtführung aus unserem Programm zu einer Quadtour umfunktioniert wird. Frei nach dem Motto: Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt ein neues Highlight daher. Hm, ist ja vielleicht doch gar nicht so schlecht hier…

Mit 13 das erste Kind bekommen

Doch auch abgesehen von der Natur dieses Landes verstummt das anfängliche Gemotze der Kinder angesichts der Lebensgeschichten, die wir zu Ohren bekommen. In Medellín, in der Stadt Pablo Escobars, dem damaligen Schauplatz des Drogenkrieges, lernen wir etwa Isabel kennen.

Isabel hat mit 13 Jahren ihr erstes Kind bekommen. Das erzählt sie beiläufig in einem kleinen Bus mit lauter Musik, der uns in ein ehemaliges Armenviertel, die Comuna 13, bringen soll. Die Kinder sind jetzt aufmerksam. Ein Kind mit 13? „Nicht freiwillig“, sagt sie, die heute Vierfachmutter ist. Ihren Bruder verlor sie in einer Drogenfehde, auch ihre Mutter lebt nicht mehr.

„Ich habe mir ein dickes Fell zugelegt“, sagt sie. Angst habe sie vor nichts mehr. Es wundert also nicht, dass sie dem Mann, der am Straßenrand die Wiese mäht, ein böses „Respeto“ ins Gesicht schleudert, als er einem Mädchen in Schuluniform hinterherstarrt. „Ich hasse dieses Macho-Gehabe“, sagt sie. Die Kinder sind beeindruckt. Mit ihr schauen sie sich sorgenlos die Breakdancer der Comuna 13 an. Diesen Stadtteil am Berg, an dem sich die Häuser stapeln wie Pappkartons. Vorhin noch hatten sie überlegt, einfach im Hotelzimmer zu bleiben. Nicht schon wieder Sightseeing! Nun sind sie froh, das nicht verpasst zu haben. 

Solarbetriebene Rolltreppe ins Stadtviertel gebaut 

Um die Bewohner zu entlasten, haben sie hier eine solarbetriebene Rolltreppe ins Viertel gebaut, wie im Kaufhaus, nur open air – zwischen Graffitis und Bretterbuden. Die Bewohner hegen sie wie einen Schatz. „Niemand darf darauf essen, sie soll sauber bleiben“, erzählt Isabel. Selbst unsere Kinder halten sich an die Regel.

Es ist diese Stadt Medellín, die uns auf faszinierende Weise die alte und die neue Zeit Kolumbiens präsentiert. Auf der einen Seite die kiffenden Jugendlichen am Grab von Escobar, auf der anderen eine moderne Seilbahn, die als öffentlicher Nahverkehr die Menschen von A nach B bringt. Mobilität gegen Armut, hier scheint das Konzept aufzugehen.

Klar, das ist kein Strand-Urlaub, kein Erholungswochenende, aber selbst die Kinder saugen diese Stadt auf wie wir. Nicht ohne überall und dauernd nach dem WLAN zu fragen, aber selbst das ist hier in den Restaurants der Stadt verfügbar. Als kurze Flucht nach zu Hause, zu den Freunden.

„Bäääh, mit echtem Pipi?“

Von der Stadt ruckeln wir schließlich in einem alten Bus aufs Land, nach San Vicente del Chucurí. Wir pflücken Kaffee mit Carlos, erfahren, wie die Bio-Pflanzen gedüngt werden („Bäääh, mit echtem Pipi?“) und werden auf der Plantage danach zu Arepas (Maisfladen) und Patacón Pisao (zerquetschte Bratbanane) eingeladen.

Wir bringen den Kindern bei, nicht bei allem Fremden sofort „Baah“ und „Iiih“ zu schreien und das Gesicht zu verziehen. Nein, für solche Fälle entwickeln wir eine Strategie. Wenn sie etwas nicht mögen, lächeln sie freundlich und sagen „Oh, wie widerlich“.

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Der Plan geht auf. Nur die „Hormigas“, diese gerösteten Riesen-Ameisen aus der Region Baricharas will auch ich nicht für sie übernehmen. „Nein, danke, wir sind schon satt.“ Dafür freuen wir uns über die frischen Säfte überall, Mango, Papaya, Guanabana – die gibt es sogar im Regenwald.

„Bis auf die Riesenspinne, war das der beste Tag des Urlaubs"

Die Palmen-Wanderung machen wir zum Glück mit anderen Kindern, so dass sie gepusht werden, wir sehen Äffchen und dürfen am Ziel in die Karibik hüpfen. Das ist mal wieder einer dieser Tage, auf den die Kinder keinen Bock hatten und über den die Große am Abend sagt: „Mama, bis auf die Riesenspinne, war das der beste Tag des Urlaubs“. Ach was. Und das ganz ohne WLAN?

Wir stellen fest: Das hier ist wirklich kein Urlaub. Es ist eine Reise… Eine, die nachhallt. Uns ist nichts Gefährliches passiert. Wir haben gelernt, eine Woche ohne Gepäck auszukommen (Man braucht gar nicht so viel!), wir haben ein Faultier im Stadtpark von Cartagena über unseren Köpfen hängen sehen.

Wir haben unendlich viele Menschen getroffen, die dankbar waren, dass wir zu Besuch kamen. Dass wir den alten Gerüchten trotzen und uns für ihr wundervolles Land interessieren. Und wir haben unseren Teenies zeigen können, dass Urlaub nicht immer nur Entspannung heißt – und trotzdem wundervoll sein kann. Für sie übrigens genauso wie für uns. 

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