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Kölner Stalking-Opfer„Ich verstehe nicht, wie er mich so manipulieren konnte“

Lesezeit 8 Minuten
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Stalking kann jeden und jede treffen.

  • Stalker: Das sind doch die, die nachts vor dem Fenster stehen und immerzu anrufen? Die haben doch nur berühmte Menschen? Mitnichten.
  • Stalking kann auch bedeuten, von der großen Liebe manipuliert zu werden, nicht ernst genommen zu werden und von den eigenen Kindern entfremdet zu werden.
  • Ralf Scharrer hat in Köln die Selbsthilfegruppe „Aktiv gegen Stalking“ gegründet. Zwei Frauen berichten hier von ihren Erfahrungen.

Köln – Stalker, das sind doch die, die nachts vor dem Fenster herumstehen, dem oder der Geliebten mit dem Auto hinterher fahren und immerzu anrufen, ohne dass jemand rangeht? Das passiert doch nur berühmten Schauspielern und Sängern, denen die Fans nachreisen und dauernd Briefe schreiben, die nicht beantwortet werden? Keineswegs. Es kann jedem passieren. Stalking hat viele Gesichter. Es kann zum Beispiel bedeuten, dass der Partner einem in der eigenen Wohnung den Schlüssel fürs Badezimmer abnimmt. Dass im Freundeskreis herum erzählt wird, man sei fremdgegangen oder habe ein Alkoholproblem. Dass Sexvideos an die Verwandten verschickt werden. Dass einem die eigenen Kinder entfremdet werden und dass tote Hasen im Flur liegen. Und vor allem auch, dass einem so lange eingeredet wird, man selbst verstehe dauernd alles falsch, bis man es schließlich glaubt.

Viele fühlen sich in der Selbsthilfegruppe zum ersten Mal verstanden

Vieles davon haben die Mitglieder der Kölner Selbsthilfegruppe „Aktiv gegen Stalking“ erlebt. Die Gruppe gibt es seit Ende 2018, gegründet hat sie der Schauspieler Ralf Scharrer. Die Gruppe trifft sich jeden ersten und dritten Dienstag im Monat um 20 Uhr in der Kölner Innenstadt.  „Am Anfang waren wir nur zu zweit, jetzt kommen zwischen acht und zwölf Leuten. Alles, was hier gesprochen wird, bleibt hier“, erklärt Scharrer. Informationen zur Selbsthilfegruppe erteilt die Selbsthilfe-Kontaktstelle Köln

Für die Teilnehmer ist der Austausch in der Gruppe eine große Erleichterung. „Wir sprechen die gleiche Sprache, jeder weiß, was der andere meint und fühlt“, sagt Eva (Name geändert). Alle kennen das Gefühl, von anderen mit ihrem Problem nicht richtig ernst genommen zu werden. Petra, deren Name ebenfalls geändert wurde, bringt es auf den Punkt: „Von außen glaubt einem ja meist keiner. Man kann im normalen Umfeld mit niemandem darüber sprechen.“ Auch Scharrer hat die Erfahrung gemacht: „Betroffene werden auch bei der Polizei nicht ernst genommen, wenn noch nichts passiert ist. Man fühlt sich einfach hilflos.“

Zurückweisung ist das häufigste Motiv für Stalking

Das liegt wohl auch daran, dass Stalking eben nicht nur bedeutet, dass jemand vor dem Fenster steht, dauernd anruft oder einen verfolgt, sondern dass es sehr viel subtiler ablaufen kann. Für Scharrer beginnt Stalking, wenn eine Grenze übertreten wird, zum Beispiel wenn der eine keinen Kontakt möchte und der andere sich trotzdem immer wieder meldet.

Stalking in Deutschland

Im Jahr 2019 wurden laut Bundeskriminalamt 18.905 Fälle von Stalking in Deutschland polizeilich erfasst. Frauen sind häufiger betroffen. Abgebildet werden die polizeilich erfassten Fälle von Stalking gemäß Paragraph 238 StGB, der im März 2007 in Kraft getreten ist. Demnach ist ein Stalker eine Person, die einem anderen Menschen gegen dessen Willen nachstellt und ihm Gewalt androht. Auch Cyber-Mobbing zählt dazu. Wie viele Stalking-Anzeigen es seit Einführung des sogenannten Nachstellungsparagraphen gegeben hat, können Sie hier nachlesen.

Stalking findet manchmal auch mitten in einer Beziehung statt, wenn ein Partner den anderen immer wieder manipuliert. Stalking gibt es aber auch am Arbeitsplatz oder unter Nachbarn, wenn sich jemand zurückgewiesen fühlt oder Macht ausüben will. Wohl das häufigste Motiv ist nicht erwiderte Liebe. Motto: Wenn ich dich nicht haben kann, werde ich dafür sorgen, dass du nicht glücklich bist.

Scharrer selbst darf seine Geschichte nicht mehr erzählen

So ergeht es auch Scharrer, der über Jahre von einem Mann belästigt wurde. Was alles passiert ist, darf er aber nicht mehr erzählen. „Ich bin im Januar 2018 vom Landgericht Köln dazu verurteilt worden, meine Version der Wahrheit mein Leben lang zu verschweigen – unter Androhung von bis zu 250.000 Euro Strafe oder sechs Monaten Gefängnis“, sagt er. Grund ist die erste Version seines Romans „Dem Wahnsinn entkommen“, in dem er über seine Erfahrungen mit dem Stalker schreibt.

Obwohl Namen und Orte verändert wurden, habe sich sein Stalker darin erkennbar und damit in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt gefühlt und sei gegen das Buch vorgegangen. Scharrer hat das Buch daraufhin in einen fiktiven Roman umgeschrieben und viele verschiedene Stalking-Erlebnisse zu einer Geschichte verschmolzen. Mit dem Buch will er zeigen, wie unterschiedlich Stalking aussehen kann. 

Petras Mann hat ihr die drei Kinder entzogen und entfremdet

Petra zum Beispiel war 23 Jahre lang mit dem Mann zusammen, der sie jetzt terrorisiert. Die beiden haben drei gemeinsame Kinder. „Im Grunde hat er mich die ganzen 23 Jahre lang manipuliert, aber ich habe vieles davon verdrängt oder sogar vergessen“, erzählt sie. Als die gemeinsamen Kinder 9, 10 und 12 Jahre alt sind, trennt ihr Mann sich von ihr. Das kommt für Petra zwar überraschend, aber sie findet sie sich ziemlich schnell mit der neuen Situation zurecht, weil sie selbst auch öfter daran gedacht hat, zu gehen. Dass sie nicht leidet, passt ihrem Ex nicht: „Er wollte, dass ich ihm nachlaufe und er dann mit mir spielen kann. In dem Moment, in dem ich mit dem Thema durch war, ging der Terror los.“

Was kann ich als Stalking-Betroffener unternehmen?

Kontaktabbruch

Miteinander reden ist im Stalking-Fall immer falsch. Am besten dem Täter einmal schriftlich und unter Zeugen mitteilen, dass kein Kontakt erwünscht ist und danach auf nichts mehr reagieren.

Stalking-Tagebuch

Ein Stalking-Tagebuch führen und keine Nachrichten löschen, alles könnte einmal als Beweis vor Gericht dienen. Mit der No stalk-App lässt sich vor Gericht verwendbares Bildmaterial erzeugen. Die App ist auch unter Stress leicht zu bedienen, das Material ist unlöschbar. Hier finden Sie weitere Informationen.

Umfeld einweihen

Das gesamte Umfeld einweihen. Täter suchen über jeden verfügbaren Kanal Zugang. Es ist herausfordernd, bei Freunden, auf der Arbeit, im Sportverein und sogar im Kindergarten von der Situation zu erzählen, aber so schützen Sie sich am besten vor Verleumdungen und unliebsamen Annäherungen.

Telefonnummer wechseln

... und den Anrufbeantworter von einer Person des anderen Geschlechts besprechen lassen

Unterlagen sicher entsorgen

Private Unterlagen sicher entsorgen und nicht ungeschreddert in den Müll werfen.

Auskunftssperre

Auskunftssperre beim Einwohnermeldeamt beantragen.

Soziale Netzwerke meiden

Auf soziale Netzwerke wenn möglich verzichten. Wenn das nicht geht, alle Daten schützen und Fremden unzugänglich machen. Bei Freundschaftsanzeigen ganz genau hinsehen. Vermeintliche Fake-Profile blockieren und nur wenig posten.

Keine letzte Aussprache

Keine letzte Aussprache vereinbaren. Sie ist immer nur ein Vorwand, um sich zu treffen.

Hilfe suchen

Fachliche Hilfe und Unterstützung bei Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen suchen.

Nicht verstecken

Nicht verstecken.

Keine Fehler bei sich suchen

Sich nicht fragen, was man vielleicht selbst falsch gemacht hat und nicht denken, dass man den Tätern helfen kann. (twe)

Er zieht aus und ruft sie jeden Abend an, um ihr zu sagen, was er ihr alles antun will. „Geld war ein großes Thema, er wollte die Kinder zu sich holen, damit sie Unterhalt zahlen muss. Mir war klar, dass er das alles in die Tat umsetzen würde.“ Sie behält Recht. Mittlerweile sieht sie ihre drei Kinder so gut wie gar nicht mehr. Wenn doch, hat sie das Gefühl, dass er die Kinder benutzt, um herauszufinden, wie es ihr geht. „Immer, wenn es mir etwas besser geht, kommt wieder ein Schlag. Er weiß ganz genau, wann der richtige Moment dafür ist“, sagt sie. 

Evas Freund redet ihr ein, dass mit ihrer Wahrnehmung etwas nicht stimmt

„Wissen ist das wichtigste für einen Stalker“, bestätigt Eva, die den Mann, vor dem sie jetzt Angst hat für ihre große Liebe gehalten hat. Obwohl sich bereits nach einem Jahr Beziehung die Vorfälle häuten, bemerkt sie lange Zeit nicht, wie geschickt er sie manipuliert. Immer öfter erwischt sie ihn beim Lügen. Wenn sie ihn zur Rede stellt, wird er wütend und gibt ihr die Schuld: Sie habe ihn falsch verstanden, alles sei ganz anders. Er gibt ihr das Gefühl, unselbstständig und dumm zu sein. Sie glaubt ihm irgendwann. „Ich verstehe nicht, wie er mich so manipulieren konnte. Ich bin eine selbstbewusste und starke Frau. Wie geht das?“, fragt sie sich heute. Die Antwort findet sie in der Psychologie. Dort wird dieses Phänomen Gaslighting genannt. Dabei geht es darum, jemanden so lange zu manipulieren und zu verunsichern, bis er selbst nicht mehr weiß, was real ist und bis sein Selbstbewusstsein zerstört ist.

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Wie sehr er sie manipuliert hat, bemerkt Eva erst, als sie wegen eines Reha-Aufenthaltes ein paar Wochen von ihm getrennt ist. Dass sie sich innerlich distanziert, merkt er sofort. Es gibt Stress, als sie wieder zuhause ist: Am ersten Abend tritt er die Schlafzimmertür ein, die Eva abgeschlossen hat. In den Tagen danach versteckt er die Schlüssel zu Badezimmer und Schlafzimmer, so dass sie nie ungestört sein kann. Er tauscht immer wieder das Schloss zur Wohnungstür aus und entfernt ihre Lieblingsklamotten und Schuhe. Eva sagt dazu: „Er wollte, dass ich ihn um die Sachen anbettele und dass ich abhängig von ihm bin.“

GPS-Sender am Auto und Sex-Filme, die an Nachbarn verschickt werden

Als sie sich in einen anderen Mann verliebt, wird es noch bedrohlicher. Ihr Ex baut einen GPS-Sender in ihr Auto ein, damit er immer weiß, wo sie ist. Er verschickt ein Video, das er ohne ihr Wissen beim gemeinsamen Sex gemacht hat, an Freunde, Nachbarn und Verwandte. Als Eva auszieht, folgt er ihr überall hin. Sie traut sich deshalb sechs Monate lang nicht aus ihrer Wohnung. Da ist immer die Angst, ihm begegnen zu können.

Ohne ihren neuen Freund hätte sie das alles nicht geschafft, sagt sie: „Man kann einfach irgendwann nicht mehr. Ich muss mich verstecken und er lebt sein Leben einfach weiter.“ Die ständige Angst sei das schlimmste, bestätigt auch Scharrer: „Wenn ich einkaufen gehe und es keine Überwachungskameras gibt, gehe ich wieder aus dem Laden, weil ich denke: ‚Wenn er auch da ist und mir jetzt etwas passiert, habe ich keine Beweise‘. Wenn es so weit ist, merkst du, es ist etwas mit dir passiert. Das auszuhalten ist das Schlimmste an der ganzen Situation.“

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