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Kölnerin erzählt von Abtreibung„Sie wissen, dass Sie einen Mord begehen, oder?“

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Janine Wieser wurde mit 27 ungewollt schwanger. 

Köln – „Es wird fast immer nur über die Frauen geredet, die abgetrieben haben. Nur selten lässt man die Frauen selbst sprechen“, findet Janine Wieser, Trauerbegleiterin und Studentin der Pädagogik und Ethnologie aus Köln. Die 37-Jährige wurde vor zehn Jahren ungewollt schwanger und trieb ab. Der Arzt bezeichnete sie vor dem Eingriff als „Mörderin“. Janine Wieser möchte Abtreibungen entkriminalisieren und findet, dass Schweigen das Thema zum Tabu macht. Hier erzählt sie ihre Geschichte.

Mit 27 Jahren bin ich ungewollt schwanger geworden. Ich wusste schon immer, dass ich kein Kind bekommen werde, falls ich schwanger würde. Deshalb musste ich keine Entscheidung mehr treffen, als der Test positiv war. Erschreckt habe ich mich natürlich trotzdem, wir hatten ja mit Kondom verhütet. Das fragen übrigens auch immer alle, ob und wie wir verhütet haben. Das finde ich ziemlich übergriffig, weil da so eine latente Schuldzuweisung mitschwingt. Dabei ist keine Verhütungsmethode zu 100 Prozent sicher. Schwangerschaften passieren. Abtreibungen auch.

Unter der Hand Zettel mit Namen eines Arztes zugeschoben

Einen Tag nach dem Test bin ich zur Gynäkologin gegangen, um einen Bluttest machen zu lassen. Ich habe direkt zu der Frauenärztin gesagt, dass ich das Kind nicht bekommen möchte. Ich wusste schon, was auf mich zukommt: Dass ich mich beraten lassen muss und dass die Kosten für den Abbruch von der Krankenkasse übernommen werden können – sofern ich eine finanzielle Bedürftigkeit nachweisen kann. Bei mir war es damals der BAföG-Bescheid und meine Immatrikulation. Sie hat mich gefragt, ob ich einen medikamentösen oder operativen Abbruch bevorzuge. Ich wollte einen medikamentösen und sie hat mir dann mit den Worten „der macht das“ einen Zettel mit dem Namen eines anderen Gynäkologen über den Tisch geschoben. Das war so richtig unter der Hand, als wäre das komplett illegal. Ohne diesen Zettel wäre ich verloren gewesen. Weil Ärzte aufgrund des Paragrafen 219a nicht offiziell damit werben dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten und mit welcher Methode, weiß man das nicht und ist darauf angewiesen, dass man unter der Hand was gesagt bekommt. 

Vor dem Termin musste ich noch die verpflichtende Beratung machen. Ich bin dafür zu „Donum Vitae“ gegangen, das ist eine Beratungsstelle für Schwangere. Freitags war ich da, sie wollten mir erst für die nächste Woche einen Termin geben. Das habe ich nicht akzeptiert, weil ich nicht eingesehen habe, warum ich weiter schwanger sein soll. So ein Embryo entwickelt sich ja rasend schnell und ich wollte keine Zeit mehr verschwenden. Für mich war ja die Entscheidung schon klar. Am Ende haben wir dann die Beratung direkt gemacht und ich habe den Schein bekommen.

Trotzdem muss man dann bis zum eigentlichen Abbruch noch drei Tage warten. Nicht wegen des Wochenendes, sondern weil man den Frauen nicht zutraut, eine eigenständige Entscheidung zu treffen. Man vermittelt den Schwangeren damit: „Du kannst das nicht wissen, wir bestimmen, dass du noch einmal darüber nachdenken musst. Wir müssen den Embryo vor deinem Egoismus schützen.“ 

„Sie wissen, dass Sie jetzt einen Mord begehen, oder?“

Am schlimmsten war aber der Arzt, der den Abbruch schließlich durchgeführt hat. Ich habe mir von ihm direkt für Montag einen Termin geben lassen. Er hat nochmal einen Ultraschall gemacht und mich immerhin gefragt, ob ich das Bild sehen will. Ich wollte. Dann sind wir in einen anderen Raum gegangen und er sagte zu mir: „Sie wissen, dass Sie jetzt einen Mord begehen, oder?“ Dazu hat er mir einen kleinen rosafarbenen Plastik-Fötus auf den Tisch gelegt. Ich konnte es nicht fassen und habe protestiert. Aber ich war ja von ihm abhängig, er war der einzige in der Umgebung, bei dem ein medikamentöser Abbruch möglich war. Für Schwangere, die Ambivalenzen bezüglich ihres Abbruchs haben, muss es noch schlimmer sein, diesen Fötus zu sehen. Das war glaube ich auch der Sinn dahinter: moralisieren. Schuldgefühle säen, wo vielleicht noch keine sind. Ich verstand nicht, was diese Manipulation soll – schließlich hat dieser Gynäkologe freiwillig eine Fortbildung absolviert, um medikamentöse Abbrüche anbieten zu können.

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Für mich war ja glasklar, dass ich den Abbruch will. Ich habe mich doppelt ausgeliefert gefühlt, weil ich als ungewollt Schwangere ja ohnehin schon von der Gesetzgebung abhängig war. Ich wollte aber nicht den Mund zu weit aufmachen, weil ich Sorge hatte, dass er mich dann wieder weg schickt. Dann hätte ich da gestanden: ungewollt schwanger und hilflos. Aus irgendeiner Schublade hat er dann die Tabletten rausgekramt und mir mit den Worten: „Na, dann machen Sie mal“ hingeworfen. Die erste Tablette muss man in Anwesenheit des Arztes einnehmen. Der konnte gar nicht so schnell gucken, wie ich die Tablette geschluckt habe. Die restlichen Tabletten habe ich dann mitgenommen und war zur Nachkontrolle noch einmal bei meiner Gynäkologin.

Ich habe mich die ganze Zeit wie eine Kriminelle gefühlt

Von Anfang an bin ich ganz offen mit dem Thema umgegangen. Natürlich war es keine angenehme Situation und ich war traurig, dass ich das machen musste. Aber ich habe mich dafür nicht geschämt. Ich bin auch zu meiner Krankenkasse gegangen und habe gesagt, dass ich einen Abbruch brauche. Da fing man sofort an zu flüstern: „Da braucht jemand einen Abbruch.“ Alle waren peinlich berührt. Ich habe mich die ganze Zeit wie eine Kriminelle gefühlt. Per Gesetz bin ich das sogar auch, Schwangerschaftsabbrüche sind nur unter ganz bestimmten Umständen erlaubt.

Abtreibung: Rechtliche Lage in Deutschland

„Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland gemäß § 218 Strafgesetzbuch (StGB) grundsätzlich für alle Beteiligten strafbar“ heißt es auf der Internetseite des Bundesfamilienministeriums. Gleich darunter werden aber folgende Ausnahmen aufgeführt: Ein Abbruch ist demnach nicht strafbar, wenn die Frau sich drei Tage vor dem Termin von einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten lässt und anschließend einen Beratungsschein erhält, den sie dem Arzt vorlegen muss, der den Eingriff durchführt. Zudem muss der Abbruch innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis gemacht werden.

Straflos bleibt der Schwangerschaftsabbruch auch, wenn medizinische oder kriminologische Indikationen vorliegen. Eine medizinische Indikation liegt vor, wenn für die Schwangere Lebensgefahr oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes besteht. Eine kriminologische Indikation ist gegeben, wenn die Schwangerschaft auf einem Sexualdelikt, also zum Beispiel einer Vergewaltigung, beruht. Auch in diesem Fall muss die Schwangere sich beraten lassen. Der Abbruch muss spätestens 22 Wochen nah Empfängnis durchgeführt werden.

Auch die Werbung für einen Abbruch der Schwangerschaft ist in Deutschland nach § 219a StGB nicht erlaubt. Bis vor zwei Jahren durften Ärzte nicht darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Seit Anfang 2019 dürfen Ärzte den Eingriff öffentlich benennen, aber nicht über Details und Methoden aufklären. Der Satz „Ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch in geschützter Atmosphäre gehört zu unseren Leistungen“ ist in Deutschland nicht erlaubt. 

Die aktuelle Gesetzgebung ist meiner Meinung nach eine Form der patriarchalen Bemächtigung des weiblichen Körpers. Viele Menschen sehen das anders und finden, dass der Embryo geschützt werden muss. Mir kann jederzeit ein Lebensschützer gegenübertreten und brüllen, dass Abtreibung Mord wäre, das juckt mich nicht. Meine Antwort ist: „Wenn ein Schwangerschaftsabbruch für dich Mord ist, dann hab' halt keinen.“ End of Story. Für mich ist es keiner.

Abbrüche hat es schon immer gegeben und es wird sie auch immer geben. Illegalisierung und Kriminalisierung verhindern keine Abtreibungen. Sie werden dadurch nur gefährlich für die Frauen, die illegal abtreiben müssen. Abzutreiben ist kein Hobby, kein Spaziergang. Es ist keine schöne Sache, aber für mich war sie auch in keiner Weise traumatisch. Gelitten habe ich – wie gesagt – viel mehr unter den restriktiven Gesetzen und dem Arzt mit seiner ganzen symbolischen Macht, der ich in meiner verletzlichen Situation ausgeliefert war. 

Für viele Frauen ist eine Abtreibung das Geheimnis ihres Lebens

Was meiner Meinung nach helfen kann, ist Offenheit. Ich habe immer ganz selbstverständlich von meiner Abtreibung erzählt. Ich spreche das Wort nie leiser aus. Es ist ein normaler Bestandteil meiner Gesprächsthemen. In der Uni zum Beispiel, als eine Kommilitonin zu mir meinte, dass ich ganz blass aussehe. Meine Antwort war: „Ja, ich habe gerade abgetrieben, mein Eisenlevel ist was niedrig.“ Für mich war das Thema nie schambesetzt, die Menschen, denen ich davon erzähle sind tendenziell die, die peinlich berührt sind. Man spricht darüber einfach nicht.

Dadurch, dass ich immer so selbstverständlich darüber geredet habe, haben mir viele andere Frauen plötzlich erzählt, dass sie auch einen Abbruch hatten. Sogar eine Freundin von mir, die dann sagte, dass sie das noch nie jemandem erzählt habe. Viele Frauen sagten mir, dass ihre Abtreibung das Geheimnis ihres Lebens sei. Normalisierung öffnet Türen. Viele trauen sich nicht und haben Angst, dass sie von anderen verurteilt werden. Und diese Angst ist leider gerechtfertigt.

Von außen wird das Thema totgeschwiegen und abgestraft. Da hat sich auch in den vergangenen zehn Jahren nicht viel verändert. Obwohl es durch Social Media und Organisationen wie „Pro Choice“ heute mehr Möglichkeiten gibt, darüber zu sprechen. Das Thema ist sichtbarer als früher, aber an dem Tabu hat sich nichts geändert. 

Ich wünsche mir, dass Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert und normalisiert werden und jeder schwangeren Person frei zugänglich sind. Gynäkologische Praxen sollten öffentlich informieren können, dass sie Abbrüche anbieten. Sonst sind die Schwangeren verloren. Wir brauchen eine flächendeckende Versorgung von Schwangeren, denen alle Optionen offen stehen, ob sie das Kind bekommen oder nicht, ganz ohne restriktive Gesetze.

Eine ungewollte Schwangerschaft ist immer schrecklich, egal, unter welchen Umständen sie entstanden ist. Abbrüche akzeptieren die meisten Menschen aber nur nach einer Vergewaltigung, und viele nicht einmal dann. Bist du schwanger und willst nicht schwanger sein, solltest du das Recht haben, zu sagen: „Ich treibe ab, ich werde adäquat versorgt und informiert und die Gründe für meinen Abbruch sind komplett irrelevant und gehen niemanden etwas an.“

Ab und zu denke ich heute noch an meinen Abbruch und phantasiere darüber, wie mein Leben heute aussehen würde, hätte ich das Kind bekommen. Jedes Mal graut es mir bei der Vorstellung und jedes mal bin ich heilfroh, dass ich abgetrieben habe. Ich mag mein Leben ohne eigenes Kind.

Die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs ist Handlungsmacht und Selbstbestimmung. Den Zugang zu verhindern oder zu erschweren, ist Gewalt und ein patriarchales Gesetz des Staates, das über gebärfähige Körper bestimmt. Ich will selbst über meinen Körper entscheiden. Meine Abtreibung war eine Befreiung. No shame.

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