Mütter vor dem Burnout„Es ist ok, einfach mal loszuheulen, weil alles zu viel wird!“

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Gerade im Stress sollten Mütter sich immer wieder sagen, wie unglaublich stark sie sind und wie viel sie jeden einzelnen Tag leisten.

Köln – Familie bedeutet gerade in diesen Zeiten, dass sich alles vermischt, dass alle aufeinander hocken und viel mehr Zeit miteinander verbringen als sonst. Aber auch ohne Corona gehen vor allem Mütter im täglichen Chaos mit ihren eigenen Bedürfnissen schnell unter. Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim, die Autorinnen des Blogs „Stadt Land Mama“ und selbst Mütter von jeweils drei Kindern, fragen sich in ihrem neuen Buch „Wow Mom. Der Mama-Mutmacher für mehr Ich in all dem Wir“: „Wo bin ich eigentlich geblieben in all dem Familientrubel? Wer will ich sein, was tut mir gut? Wie können alle und wie kann ich wieder auf meine Kosten kommen, ganz ohne schlechtes Gewissen?“

Sie sagen: „Frauen dürfen nicht untergehen in all der Liebe und Fürsorge“ und haben es gewagt, mitten in der Corona-Zeit zu mehr Freiheit aufzufordern. Ihr Buch richtet sich an alle, die die fordernde alles umfassenden Baby- und Kleinkindphase hinter sich gelassen haben, jetzt ihre alten Leidenschaften wieder entdecken und mit ihrem neuen Ich verknüpfen wollen. Zu Wort kommen auch Gastautorinnen wie Laura Karasek, Teresa Bücker und Ildikó von Kürthy. 

„Andere können das viel besser als ich“

Es geht zum Beispiel um Selbstzweifel. „Eigentlich sollten wir vor Selbstbewusstsein nur so strotzen. Wir haben Leben geschenkt und jeden Abend liegt es satt und ruhig atmend vor uns im Bett. Das allein ist eine solche Meisterleistung, dass wir uns täglich auf die Schulter klopfen sollten. Aber auf der anderen Schulter sitzt halt leider manchmal noch so eine Stimme, die flüstert, dass wir das jawohl alles nicht ganz so toll draufhaben. Dass andere das doch viel besser machen. Dass wir es halt einfach nicht können“, schreibt zum Beispiel Katharina. Und diese Selbstzweifel haben Frauen nicht nur in ihrer Rolle als Mutter. Auch im Job gibt es viele Frauen, die befürchten, dass eines Tages auffliegen wird, dass sie eigentlich gar nichts können. Warum ist das bloß so?

Das Buch

Foto: Kera Till, Fischer Verlag GmbH

„Wow Mom. Der Mama-Muntermachen für mehr Ich in all dem Wir“, Krüger Verlag, 304 Seiten, 16,99 Euro

Selbstkritik an sich ist nicht verkehrt, es macht auch Sinn, ab und zu zu hinterfragen, ob man noch zufrieden ist. Aber Frauen sollten sich viel öfter sagen, dass sie gut sind. „Ich kann was. Das so zu sagen, fällt den meisten Frauen schwer. Das ist so ungewohnt. Weil wir nicht eingebildet und arrogant wirken wollen. Aber es ist einfach so: Ich kann was. Wir können alle was. Wenn wir uns mehr zutrauen, mehr an uns glauben und uns auch mehr loben für das, was wir können, bringt uns das ein riesiges Stück weiter“, ist Katharina überzeugt.

„Bei Euch sieht alles immer so leicht aus“

Warum denken wir eigentlich immer, dass andere das Familienleben besser hinkriegen als wir selbst? Katharina weiß die Antwort: „Von außen kann man die Kopfschmerzen nicht sehen, nicht das Genervtsein, nicht das Tausendmal-alles-sagen müssen. Außenstehende sehen die Wäscheberge nicht, die Unzufriedenheit mit der eigenen Unzulänglichkeit in der Auseinandersetzung mit den Kindern, die Augenringe nach einer kurzen Nacht. Sie wissen nicht, dass es schon wieder nur Nudeln mit Butter gab, dass die Betten eigentlich alle frisch bezogen werden müssten und dass es schon wieder Streit wegen der Hausaufgaben gab.“ Es gibt Tage, da sind wir so überfordert, dass wir alles hinwerfen möchten. Wir sollten nicht vergessen, dass bei keinem die Kinder immer friedlich sind, Geschwister sich gut verstehen und alle geduldig und liebevoll miteinander umgehen. „Genau an solchen Tagen müssen wir besonders gut auf uns achten“, sagt Katharina.

„Für eine Mutter siehst du echt noch ganz gut aus“

Das Hauptproblem vieler Mütter ist, dass sie auf eine Rolle reduziert werden. Erstmal können sie nichts richtig machen und werden ständig kritisiert: Teilzeit oder Vollzeit arbeiten? Gar nicht arbeiten? Ein eigenes Zimmer haben? Mal nur an sich denken, nicht an die Familie? Ausgehen und flirten? Die Wohnung so einrichten, wie es einem selbst gefällt und nicht nur an den Kindern ausrichten? Alles nicht so gern gesehen. Viele Frauen zerbrechen an den Erwartungen, die ihnen aufgezwungen werden, wenn sie Mutter werden.

Dabei wäre alles so viel einfacher, wenn wir die Frauen einfach in Ruhe ließen und zwischen ihren unterschiedlichen Rollen und Interessen wechseln lassen würden, weil nur alle Steinchen zusammen das Gesamtbild ausmachen. Laura Karasek ist Schriftstellerin, Moderatorin, Mutter und die Tochter von Literaturpapst Hellmuth Karasek. In ihrem Gastbeitrag schreibt sie: „Frauen müssen sich häufig rechtfertigen. Für ihre Karriere – trotz Kindern. Für ihre Kinder – ohne Karriere. Für ihre Lautstärke. Ihre Optik. Ihr Alter. Ihren Durst. Ihre Lust. Es ist immer so, als ob wir uns entscheiden müssten, was wir denn nun eigentlich sein wollen: Powerfrau, Mädchen von nebenan, Partygirl, Tussi, Schlampe, Heimchen, Rabenmutter.“

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Sie macht Frauen Mut, sich nicht so sehr an den Erwartungen von anderen zu orientieren, weil man diese sowieso nie erfüllen kann. Wenn man Mutter wird, lernt man schon in der Schwangerschaft, dass der wachsende Bauch offenbar jedem Fremden auf der Straße das Recht gibt, sich einzumischen: „Wann kommt denn das Kind?“ „In vier Monaten.“ „Oh, dafür haben Sie aber einen dicken Bauch.“ Später geht es dann munter weiter: „Braucht das Kind keine Mütze?“ „Was, Ihr Kind darf Cola trinken?“, „Ich würde ihm die Schokolade jetzt nicht kaufen, nur, weil es schreit“. Alle Leute wissen es immer besser, Mütter stehen immerzu in der Kritik.

Laura Karasek schreibt: „Früher begannen die Sätze häufig mit: 'Für eine Frau…'. Heute sagen die Leute: 'Für eine Mutter siehst du echt noch ganz gut aus!' Eine kleine süße Beleidigung, getarnt als Kompliment. 'Für eine Mutter ist dein Outfit aber ganz schön gewagt! Ach so, danke für den Hinweis! Ich wusste nicht, dass man als Mutter das Recht auf kurze Röcke, hohe Schuhe, Weißwein und Geschäftsreisen verwirkt hat! Nur, um bloß nicht als Rabenmutter geoutet zu werden.“

„Alle Familienmitglieder sind wichtig: auch du!“

Katharina schreibt einen rührenden Brief an die ausgelaugte Mutter, die sie im Supermarkt gesehen und angelächelt hat. Der es so schwer fiel, mit dem Kind an der Hand alle Einkäufe aufs Band zu legen. Die sich einfach nur wünschte, dass Abend ist. Was sie schreibt, sollten wir uns alle zu Herzen nehmen: „Du hast dich verändert in den letzten Jahren, du justierst jetzt alles neu. Schau' ganz genau hin, was du jetzt brauchst. Und dann: Let’s do ist. Hau Unwichtiges aus deinem Leben raus und fokussier‘ dich auf Dinge, die du willst. Die dir guttun. Mit einer gesunden Portion Egoismus, weil du es dir wert bist. Weil alle Familienmitglieder wichtig sind: auch du.“ Diese Worte sind schön und liebevoll. Weil sie Verständnis zeigen und der Mutter die Erlaubnis geben, auch mal an sich zu denken und nicht dauernd ihre Bedürfnisse hinten an zu stellen. Irgendwann geht dann nämlich gar nichts mehr.

Aber wie schafft man es zwischen all den Anforderungen, überhaupt noch zu wissen, was man eigentlich selbst will? Und auch mal Nein zu sagen zu all den unterschiedlichen Ansprüchen, die Familie, Job und Freunde an uns heran tragen? Lisas Antwort: „Wir müssen unseren ganz eigenen Weg der Prioritären finden. Denn das Problem ist: Wenn wir uns zerreißen, sind wir kaputt. Und damit ist am Ende niemandem geholfen. Wenn man Kinder hat, muss auch mal aktiv die Notbremse gezogen werden, was sich zunächst sehr ungewohnt anfühlt, denn vor den Kindern klappte doch alles.“

Eine Mama, die einfach manchmal nicht mehr kann

Und es ist ok, einfach mal loszuheulen, weil alles zu viel wird. Weil man sich so angestrengt hat, aber trotzdem alles doof ist. Weil die eigene Mühe nicht gewertschätzt wird. Von Lisa gibt es im Buch ein Foto mit verweintem Gesicht. Sie weiß nicht mehr genau, was das Fass am Ende zum Überlaufen gebracht hat: „Ich habe immer wieder solche Momente, und meine Kinder wissen das. Sie haben eine Mama, die auch mal Wutanfälle hat – und die manchmal einfach nicht mehr kann und ein bisschen Liebe braucht. Es steht meinen Kindern zu, solche Momente zu haben, mir steht es auch zu, alle wissen das. Das führt zu Momenten, in denen der Jüngste dann plötzlich vor mir steht, mich voller Mitgefühl anschaut und fragt, ob ich gerade einfach mal einen Drücker brauche.“ 

„Man bekommt ja so viel zurück“

Gerade im Stress sollten Mütter sich immer wieder sagen, wie unglaublich stark sie sind und wie viel sie jeden einzelnen Tag leisten. „Man bekommt ja so viel zurück“, sagen manche Leute oft im Scherz, wenn einem die Sorgen um die Kinder mal über den Kopf wachsen. Und ja, man bekommt wirklich viel zurück. Ein paar Dinge davon zählt Lisa im Buch auf: jeden Tag viele kluge Fragen, die Welt durch die Augen der Kinder neu entdecken, so viel Stolz auf die eigenen Kinder, ihr volles Vertrauen – und nachts nackte kleine Füße unter der Bettdecke. 

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