Mutter erzähltSo lebe ich mit meinen drei Kindern zuckerfrei

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Kinder lieben Süßes wie Eis oder Schokolade. Aber auch Himbeeren schmecken süß, ganz ohne weißen Zucker (Symbolbild).

  • Nicola Herrmann erklärt, wie sie es geschafft hat, die Gier nach Süßem zu überwinden.
  • Die Ernährungsberaterin lebt seit drei Jahren zuckerfrei und auch ihre drei Töchter essen fast keinen Zucker.
  • Warum die Umstellung keinen Verzicht bedeutet und was Eltern beachten sollten, damit die Kinder mitziehen.

Velbert – Ein Leben ganz ohne Zucker ist schwer vorstellbar. Selbst, wer auf den offensichtlichen Zucker in Kuchen und Schokolade verzichtet, begegnet ihm trotzdem noch in vielen Saucen oder Fertigprodukten. Für Kinder scheint es sogar noch schwieriger zu sein, ohne Zucker auszukommen. Wie es trotzdem gelingen kann, erklärt die Ernährungsberaterin Nicola Herrmann. 

Frau Herrmann, was ist das Schwierigste an der Umstellung auf ein zuckerfreies Leben? Nicola Herrmann: Unseren Kopf zu überlisten. Denn ohne Zucker fällt erstmal unser Belohnungssystem weg. Wir sind es gewohnt, uns selbst und unsere Kinder ständig mit Süßem zu belohnen. Auch weil wir Kuchen oder Eis mit tollen Erinnerungen verbinden. Ohne Zucker habe ich das alles erstmal nicht mehr. Es geht darum zu erkennen und zu fühlen, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat. Diese Verknüpfungen aufzulösen dauert.

Sie selbst ernähren sich seit Jahren zuckerfrei. Wie ist es dazu gekommen? Nicola Herrmann: Vor knapp drei Jahren wollte ich in der Fastenzeit einfach mal den Zucker weglassen. Dabei habe ich gemerkt: Das hat für mich in diesen sechs Wochen einen gravierenden Unterschied gemacht. Ich habe mich deutlich fitter und leistungsfähiger gefühlt. Diese Gier nach Süßem, ich nenne es „das Kramen durch die Schränke nach dem Essen“ war plötzlich komplett weg. Insgesamt habe ich deutlich besser geschlafen und mich viel besser konzentrieren können. Deswegen bin ich dabei geblieben.

Sie haben drei Teenager-Töchter. Leben die ebenfalls zuckerfrei? Nicola Herrmann: Meine Töchter unterstützen mich, sie leben zuckerarm, nicht zuckerfrei. Allein schon deswegen, weil meine Töchter in der Schule Mittag essen. Und vor anderen Teenagern kann es extrem uncool sein, wenn man nie etwas mitisst und immer sein eigenes Essen dabei hat.

Was raten Sie Eltern, die ihre Kinder zuckerfrei ernähren wollen? Nicola Herrmann: Immer bei sich selber anfangen. Das ist ganz wichtig. Es sei denn, die Kinder sind noch sehr klein. Bis sie drei Jahre werden, müssen es die Kinder ja so machen wie man es ihnen vorlebt. Generell kann man Kindern nicht alles verbieten. Je nach Alter der Kinder ist es unterschiedlich. Manche finden die zuckerfreie Ernährung cool, denn den gekauften Krempel hat jeder. Für andere ist das uncool. In der Grundschule schlägt es dann aber oft wieder um. Meine Töchter wollten zu ihren Geburtstagen in die Schule immer unbedingt die Gurkenlutscher mitnehmen, und die kamen auch super an. Das sind Lutscher aus Gurke und Möhre.

Was ist die Herausforderung an der zuckerfreien Ernährung? Nicola Herrmann: Das Interesse ist bei vielen sehr hoch. Doch bis es dann tatsächlich zur Umsetzung kommt, ist es meist ein langer Weg. Denn beim Thema Ernährung ist es schwierig, eine nachhaltige Veränderung auch dauerhaft durchzuhalten. Doch die Erwachsenen merken, wenn sie einmal angefangen haben, dass es gar nicht so schwierig ist.

Entscheidend für den Erfolg ist, ob diese Form der Ernährung gut im Alltag umsetzbar ist. Nicola Herrmann: Genau. Auch bei mir zuhause muss alles schnell gehen. Meistens bereite ich Gerichte zu, die zwischen fünf und 15 Minuten dauern. Mein Anspruch ist, dass es gut aussehen und gut schmecken muss. Ich arbeite generell nicht mit Verboten. Besonders beliebt ist mein Rezept für eine Schokocreme ohne Zucker. Für viele Eltern ist es ein Aha-Erlebnis, dass man das wirklich hinkriegen kann.

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Wie lässt sich die zuckerfreie Ernährung im Alltag mit Kindern umsetzen? Nicola Herrmann: Entscheidend ist: Wie alt sind die Kinder und wer kauft ein? Denn wer einkauft, hat das Thema Ernährung in der Hand. Wenn die Kinder mit eingebunden werden, finden sie es super und sind in der Regel sehr stolz, wenn sie mitkochen können. Es ist zum Beispiel ganz leicht, Plätzchen mit weniger Zucker zu backen. Oder mit einem alternativen Süßungsmittel.

Wie backen Sie denn Ihre Plätzchen und Kuchen? Nicola Herrmann: Ich süße entweder mit Trockenfrüchten, Ahornsirup oder Kokos-Blütenzucker. Es geht darum, die Süßschwelle zu senken, vor allem am Anfang der zuckerfreien Ernährung. Und wenn ich mit guten Zutaten arbeite, brauche ich gar nicht so viel Zucker. Weil die Industrie viel mit minderwertigen Zutaten arbeitet, packt sie in ihre Produkte viel Zucker, Fett und weißes Mehl rein. Das braucht es aber alles nicht für guten Geschmack.

Am schwersten ist der Anfang in der zuckerfreien Ernährung. Wie schafft man den? Nicola Herrmann: Zunächst ist man drei Tage lang auf Entzug. Danach ist es nur noch Kopfsache. Drei Tage lang denkt man: Oh, ich könnte jetzt! Doch mit der Zeit wird das Geschmacksempfinden anders. Heute geht es mir absolut gut.

Und wenn die Kinder nicht mitziehen? Nicola Herrmann: Kinder sind offen dafür, wenn man es ernst meint als Eltern mit der zuckerfreien Ernährung. Wenn die Kinder trotzen bei den Mahlzeiten, tragen sie gerade vielleicht andere Themen über den Esstisch aus. Mein Erleben ist: Die Kinder sind nie das Problem. Die finden es super. Es sind eher die Erwachsenen, weil sie sich umstellen müssen.

Zucker ist ja auch sehr häufig in Fertigprodukten versteckt. Nicola Herrmann: Allerdings. Deswegen lassen wir Fertigsachen komplett weg in der Familie. Es gibt auch Fertigsachen ohne Zucker. Die muss man aber erstmal finden. Am Anfang ist das Schwierige, herauszufinden, wo überall Zucker drin ist. Es geht also darum, erstmal Etiketten zu lesen. Ich finde aber: Es muss anfangs nicht komplett zuckerfrei sein. Jedes Gramm Zucker das man spart, ist schon ein Gewinn.

Sie sagen: „Das Wichtigste was ich meinen Kindern mitgeben kann, ist die Gesundheit“. Nicola Herrmann: Ja, das ist für mich das Thema dahinter. Es geht mit dem Übergewicht los. Wir sehen eine riesige Diabeteswelle auf uns zurollen. Je früher der Typ 2 Diabetes entwickelt wird, desto schlechter die Lebenserwartung. Auch deswegen liegt mir das Thema so am Herzen.

Nimmt man mit der zuckerfreien Ernährung automatisch ab? Nicola Herrmann: Die meisten nehmen auch ab, ja. Vor allem, wenn sie sich vorher stark industrielastig ernährt haben. Wenn ich vorher schon gut und hochwertig gegessen habe, muss ich an mehreren Stellschrauben drehen, um abzunehmen.

Wie machen Sie es eigentlich bei Einladungen zu Kaffee und Kuchen? Nicola Herrmann: Ich esse einfach keinen Kuchen mehr. Und wenn ich in ein Café gehe, trinke ich dort einen Tee und das war es dann. Früher wäre das für mich nicht möglich gewesen. Heute gehe ich ins Café, weil es nett ist, wegen der schönen Atmosphäre. Das Stück Kuchen ist eh in fünf Minuten aufgegessen. Wenn ich eingeladen bin und ein bisschen Zucker im Essen drin ist, ist das für mich ok. Beim Nachtisch verzichte ich inzwischen generell.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie im Alltag auf vieles verzichten müssen? Nicola Herrmann: Nein, überhaupt nicht. Aber manchmal gibt es interessante Situationen. Letztens hat sich meine Tochter ein Eis an der Tankstelle geholt. Twix, mein früheres Lieblingseis. Ich habe sie gebeten, einmal reinbeißen zu dürfen. Und – es hat mir nicht mehr geschmeckt. Ich hatte nur den Geschmack von Zucker und billigem Fett auf der Zunge. Aber da muss man natürlich erstmal hinkommen. Das geht nicht nach zwei Wochen. 

Zum Weiterlesen:  Nicola Herrmann: Abenteuer Küche. Das zuckerfreie, vegetarische Familienkochbuch. Verlag Nova MD, 24,90 Euro.  

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