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Nach Missbrauchsvorwürfen„Original Play in Kitas ist eine Einladung an Pädophile“

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Rangeln und Raufen tut Kindern gut – aber nur untereinander oder mit vertrauten Personen. Beim Original Play waren in einigen Kitas fremde Erwachsene dabei. (Symbolbild)  

  • Original Play ist eine Spielmethode, bei der fremde Erwachsene mit Kindern auf Matten herumrangeln.
  • In Berlin und Hamburg sollen dabei Kinder sexuell missbraucht worden sein. In einigen Bundesländern ist die Methode mittlerweile verboten.
  • Die Organisation selbst gibt sich wenig einsichtig und propagiert weiter ihr Konzept.

Köln – Seit einem Bericht des ARD-Magazins „Kontraste“ vom 24. Oktober 2019 sorgt die Spielmethode Original Play für große Unruhe. Entwickelt hat sie der 76-jährige Amerikaner Fred Donaldson. Im Original Play soll die ursprüngliche Art, in der kleine Kinder wie Tiere miteinander rangeln, nachgeahmt werden, Erwachsene balgen mit Kindern auf Matten herum. Auf diese Weise könne man sich austoben und zugleich körperlich nahe sein sowie Angst, Stress und Aggressionen reduzieren, heißt es auf der Original-Play-Homepage. Die Methode wird auf der ganzen Welt angewendet.

Beim Original Play kommen Erwachsene mit Kindern in engen Körperkontakt

Das Problem: Erwachsene sind hier mit zum Teil sehr kleinen Kindern in engem Körperkontakt. In diesem YouTube-Video kann man wunderbar sehen, wie nah Erwachsene und Kinder sich dabei kommen. Genau das wurde jetzt zum Problem in zwei Kindergärten in Berlin und Hamburg, wie der „Kontraste“-Beitrag beschreibt. Besonders erschreckend: Es waren nicht etwa die Erzieher, die mit den Kindern rangelten. Es kamen fremde Erwachsene in den Kindergarten, um das zu tun.

„Unser Sohn hat uns im Kontext mit Original Play sehr ausdrücklich sexuelle und auch gewalttätige Dinge berichtet und auch vorgespielt. Wir sprechen auch über Gewalt, Demütigung und Sadismus.“, erzählt ein Vater anonym im „Kontraste“-Beitrag. Sein Kind geht in eine evangelische Kita in Berlin-Kreuzberg. „Für uns erschien es relativ schnell so, als wenn das Ganze ein System hat.“ Auch andere Kinder reagierten mit Verhaltensauffälligkeiten wie Angst, Alpträumen und Wutausbrüchen.

Original Play sei als pädagogisches Konzept verkauft worden. Die Eltern hätten erst später erfahren, was wirklich dahinter steckte. Sie hätten gewusst, dass der Begründer Fred Donaldson in die Kita kommen sollte, um einen Vortrag zu halten. „Was wir aber nicht wussten: Es kamen dann mindestens neun fremde Erwachsene, die wir nie zuvor gesehen hatten“, berichtet der Vater weiter. Niemand habe sie dafür um Erlaubnis gebeten.

Jeder kann sich für rund 200 Euro für die Workshops anmelden

Auf der Homepage von Original Play kann sich jeder für rund 200 Euro für zweitägige Workshops mit Donaldson anmelden. Für Deutschland gibt es derzeit keine Angebote, aber in Österreich und Polen beispielsweise sind die nächsten Termine für Ende November, Anfang Dezember geplant.  Nach den Workshops organisieren die von Donaldson ausgebildeten und ermächtigten Lehrlinge Mattenspiele in Kindereinrichtungen. Zur Ausbildung der Lehrlinge gehören laut Homepage unter anderem insgesamt 300 Spielstunden mit Kindern, darunter 100 Stunden mit besonders bedürftigen Kindern. In Deutschland wurde Original Play vor allem in Hamburg, Berlin, Dresden, Regensburg und München praktiziert. In zwei Kitas in Hamburg und Berlin haben Eltern Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs gegen die Erzieher erstattet, in beiden Fällen wurden die Anzeigen wegen mangelnder Beweise wieder eingestellt. 

„Gesund entwickelte Kinder suchen keinen Körperkontakt mit Fremden“

Für Fabienne Becker-Stoll ist Original-Play eine Einladung an Pädophile. Sie ist Pädagogik-Professorin und Direktorin des Bayerischen Staatsinstituts für Frühpädagogik. In der Wochenzeitung „Die Zeit“ warnt sie vor dem Programm. Original Play sei wissenschaftlich und entwicklungsbiologisch nicht fundiert und laufe allen seelischen und physischen Grundbedürfnissen von Kindern zuwider.

„Gesund entwickelte Kinder suchen keinen Körperkontakt mit Fremden“, sagt Becker-Stoll. Kinder regulierten ihre Emotionen innerhalb vertrauter Bindungsbeziehungen. Nur so könnten sie Sicherheit tanken. Grundsätzlich müssten Kitas sehr verantwortlich prüfen, welche Angebote sie überhaupt in ihre Arbeit aufnehmen. In diesem Fall hätten sie „fahrlässig und naiv gehandelt“. Man müsse sicherstellen, dass nur qualifizierte pädagogische Kräfte mit den Kindern in Kontakt kommen und „dass niemand ohne Führungszeugnis in der Einrichtung arbeitet“, wird Becker-Stoll in einer Pressemitteilung der Zeitung zitiert.

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"Original Play öffnet Missbrauch Tor und Tür"

In Berlin, Brandenburg und Bayern ist die Methode mittlerweile verboten. „Das sogenannte Original Play hat in Kindertageseinrichtungen nichts zu suchen, weil es dem Missbrauch Tür und Tor öffnet“, heißt es beispielsweise beim Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales.

Der Deutsche Kinderschutzbund fordert nun ein bundesweites Verbot der Methode.  Zur Begründung heißt es unter anderem: Die Grenzen zwischen Kindern und Erwachsenen würden verwischt, die formulierten Ziele seien weder für Kinder noch für Fachkräfte und Eltern überprüfbar. Die Reaktion von Gründer Fred Donaldson auf den Vorwurf sexualisierter Übergriffe in der Sendung „Kontraste“ signalisiere einen Mangel an Sensibilität und präventiver Herangehensweise und die Beschreibung der Auswahl und „Schulung“ der „Lehrlinge“ sei nicht transparent.

Die Organisation bedankt sich bei denen, die den Wert ihrer Arbeit schätzten 

Auf der Homepage von Original Play gibt es nur eine kurze Stellungnahme zu den Vorwürfen, hier hält man am Konzept fest: „Wir haben Kenntnis von zwei Einrichtungen in Deutschland, in denen Eltern Verdacht auf Missbrauch geäußert haben. Diese Fälle wurden von der Polizei geprüft mit dem Ergebnis, dass kein Grund für eine Anklage bestanden hat. [...] Nach den Berichten der Fernsehsender ARD und ORF über 'Original Play' gab es viel Hass und Aggression gegen uns. Gleichzeitig erhielten wir herzliche Unterstützung und Wertschätzung unserer Arbeit. Wir danken allen Menschen und Institutionen, die uns unterstützen und den Wert unserer Arbeit schätzen!“ 

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