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Ohne Arzt und HebammeWas bringt eine Frau dazu, alleine zu gebären?

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Sarah Schmid mit ihrer Familie. Fünf ihrer sechs Kinder hat sie ohne fremde Hilfe geboren. 

Köln – Sarah Schmid, 36, war nicht glücklich mit ihrer ersten Geburt. Sie hatte zu Hause entbunden, fühlte sich jedoch gestört, von der Vertretungshebamme. Erst, als ihre eigentliche Hebamme gekommen sei, habe sie loslassen und ihr Kind bekommen können. Das wollte sie so nicht noch einmal erleben. Also entschied sie sich, ihre weiteren Kinder allein zu bekommen. Ganz allein.

Wer möchte allein im Wald gebären?

„Eine Frau in den Wehen gibt sich der Situation hin, gerät in eine Art Geburts-Trance“, sagt Schmid. Wie beim Sex könne in dieser intimen Situation jede kleinste Unterbrechung diesen Trance-Zustand stören. Also zog sie sich beim zweiten Kind in den Wald zurück. Für den Notfall hatte sie ein Handy dabei. Das brauchte sie allerdings nur, um ihrem Mann später zu sagen, dass das Kind geboren ist. Heute haben sie sechs Kinder im Alter zwischen eins und elf Jahren.

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Was bringt Frauen wie Sarah dazu, auf die Fortschritte der Medizintechnik zu verzichten und allein zu gebären? Bei ihr selbst waren es verschiedene Gründe. Sie ist Ärztin und hat in ihrem Studium im Kreißsaal zu viele unschöne Situationen miterlebt. Ihr ging es auch darum, ihrem Körper und seiner Gebärfähigkeit zu vertrauen. Vor allem aber kritisiert sie das Gesundheitssystem, das „immer nur nach den Defiziten“ sucht und viel zu schnell eingreift.

Viele Interventionen in deutschen Kreißsälen

Tatsächlich gibt es in Deutschland viele geburtshilfliche Interventionen und eine wachsende Kaiserschnittrate. Dr. Birgit Arabin aus der Klinik für Geburtshilfe und Perinatalmedizin an der Philipps-Universität Marburg sieht dies auch kritisch. „Das beruht auf defensivem und kommerziellem Denken und reflektiert die defizitäre technisch-handwerkliche und wissenschaftliche Ausbildung“, sagt die Medizinerin. Trotzdem hält sie den Weg der Alleingeburt für den falschen. „Das ist gefährlich für Mutter und Kind.“

Längst gibt es Alternativen zur reinen Klinikgeburt. Zum Beispiel Krankenhäuser, die hebammengeleitete Kreißsäle anbieten, um Frauen eine selbstbestimmte Geburt zu ermöglichen und trotzdem in der Nähe von Medizinern zu sein, die im Notfall eingreifen könnten. Warum also gleich allein gebären? Im Wald?

Alleingeburten: Verantwortungsvoll oder verantwortungslos?

Sarahs Kritiker werfen ihr Verantwortungslosigkeit vor. „Dabei bin ich ja genau das Gegenteil“, sagt Sarah. Gerade als Alleingebärende übernehme sie doch sogar die komplette Verantwortung für sich und ihr Kind. „Ich bin vorbereitet. Ich weiß, was passieren kann. Verantwortungslos ist das nicht“, findet sie. „Eine Geburt gehört zum Leben dazu und ist nichts, was überwacht werden muss!“ Und so sehen das auch andere Alleingebärende. Denn Sarah ist kein Einzelfall.

Laut der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe  (QUAG) kommen in Deutschland jedes Jahr mehr als 10.000 Kinder im vertrauten Umfeld zu Hause oder in der gemütlichen Atmosphäre eines Geburtshauses zur Welt. Wie viele davon allein gebären, kann nur geschätzt werden.

Das Interesse am Thema Alleingeburt wächst

Als Sarah vor zehn Jahren begann, sich auf die erste Alleingeburt vorzubereiten, musste sie sich hauptsächlich auf englischen Seiten informieren. Heute gibt es auch in Deutschland etliche Gruppen im Social Web, die sich zum Thema austauschen. Das Interesse ist groß, das zeigt auch, dass es zum Thema Alleingeburt allein bei Youtube über 2500 Beiträge gibt. Darunter finden sich auch Sarahs Geburten. Eine davon wurde bereits über 2,8 Millionen Mal angeschaut (hier geht es zum Geburtsvideo von Sarah Schmid: Achtung, hier wird eine echte Geburt gezeigt!)

Es gibt verschiedene Bücher zum Thema. Auch Sarah hat ein Buch geschrieben: „Alleingeburt – Schwangerschaft und Geburt in Eigenregie“. Sie bloggt außerdem unter Geburt in Eigenregie und hat dort bereits viele Erfahrungsberichte zu Alleingeburten veröffentlicht.

Zwei Gruppen von Frauen ziehen Alleingeburten in Erwägung

Sarah macht vor allem zwei Gruppen unter den Alleingebärenden aus. Da seien zum einen die Frauen um die 30, die einen eher alternativen Lebensstil hätten und oft auch Schulmedizin ablehnten. Und zum anderen gut gebildete Frauen, die von der letzten Geburt traumatisiert seien oder die unter der Fremdbestimmtheit bei der Geburt gelitten  hätten.

Sie wolle nicht berühmt werden mit ihrem Engagement, sagt Sarah. Sie wolle einfach nur Alternativen aufzeigen. „Ich will guter Hoffnung sein“, sagt sie. In den meisten Fällen ginge schließlich alles gut. Und wenn nicht? Dann könnte man ihr Naivität vorwerfen. Oder vom Glück reden. Denn ihre sechs Kinder sind gesund.

Sarah Schmid: Alleingeburt – Schwangerschaft und Geburt in Eigenregie, edition riedenburg

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