Plötzlich Imker?Woran Sie merken, dass Sie mitten in der „Alterspubertät“ stecken

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Die Journalisten Jochen Gutsch (links) und Maxim Leo haben über die Auswüchse der Alterspubertät geschrieben. Luftgitarre zu spielen, gehört auch dazu. 

  • Seltsame Hobby beginnen oder gleich das ganze Leben umkrempeln: Ab 45 werden viele Menschen seltsam.
  • Was früher die Midlife-Crisis war, wird jetzt Alterspubertät genannt.
  • Maxim Leo und Jochen Gutsch haben für ihr Buch „Du bleibst mein Sieger, Tiger“ Anekdoten aus ihrem Bekanntenkreis gesammelt. Im Interview verraten sie die witzigsten.

Köln – Was früher „Midlife Crisis“ hieß, wird jetzt „Alterspubertät“ genannt. Menschen ab 45 werden dann plötzlich seltsam, fangen ein neues Hobby an oder werfen ihr ganzes Leben um. Diese Phase sollte man mit Humor betrachten. Die Journalisten Maxim Leo und Jochen Gutsch haben in ihrem Buch „Du bleibst mein Sieger, Tiger“ die lustigsten Geschichten aus ihrem Umfeld aufgeschrieben. Im Interview sprechen sie über Yogalehrerinnen, Grillexperten und den Wunsch nach Bestätigung, der hinter allem steckt.

Herr Leo, Herr Gutsch, in Ihrem Buch „Du bleibst mein Sieger, Tiger!“ beschäftigen Sie sich mit der sogenannten Alterspubertät. Was genau haben wir darunter zu verstehen? 

Maxim Leo: Das ist eine Lebensphase, die etwa um das 45. Lebensjahr herum beginnt und in der man zum ersten Mal wirklich begreift, dass man alt wird. Alterspubertiere erkennt man daran, dass sie sich verzweifelt gegen diese Erkenntnis wehren. Viele Männer machen auf einmal wie besessen Sport, trainieren für einen Marathon, obwohl sie die letzten zehn Jahre gar nichts gemacht haben. Weibliche Alterspubertiere hingegen begeben sich oft auf eine große Sinnsuche, sie wollen sich noch mal ganz neu entdecken, werden Yogalehrerin, belegen Töpferkurse oder interessieren sich plötzlich für Heilfasten oder das Einkochen von Marmelade.  Jochen Gutsch: Das ist das Lustige an dieser Lebensphase, diese totale Übertreibung. Man kann nicht einfach nur ein bisschen Sport machen oder ein bisschen über das Leben nachdenken. Man braucht das teuerste Fahrrad, das beste Kite-Surf-Equipment, man interessiert sich nicht ein bisschen für Yoga, sondern wird gleich Yogalehrerin oder Imker oder Veganer – und tut so, als hätte man nie etwas anderes sein wollen.

Hieß das früher nicht Midlife-Crisis? Maxim Leo: Ja, aber wir finden, das klingt sehr negativ. Alterspubertät klingt ein bisschen netter, verspielter. Und vor allem ist sie wie die Pubertät auch irgendwann wieder vorbei. Jochen Gutsch: Das hoffen wir zumindest.

Sie schreiben, die Pubertät sei schlimm, aber die Alterspubertät sei noch schlimmer. Jochen Gutsch: Klar, in der Pubertät wird ja alles mehr. Man hat auf einmal mehr Muskeln, mehr Sex, mehr Leben, mehr Abenteuer! In der Alterspubertät hingegen wird alles weniger. Bis auf das Gewicht. Maxim Leo: Und der Harndrang.

Wir dachten, Ihr Buch sei ein Trostbuch. Maxim Leo: Ja, das stimmt. Weil wir diese Lebensphase eben von ihrer komischen Seite zeigen. Und alles, worüber man lachen kann, ist auf einmal gar nicht mehr so furchtbar und schwer. Jochen Gutsch: Außerdem merken unsere Leser, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine sind, dass es den anderen ganz genauso geht. Statistisch gesehen sind Alterspubertiere ja die größte Bevölkerungsgruppe Europas.

Das neue Buch ist der Nachfolger von Ihrem Bestseller „Es ist nur eine Phase, Hase“, in dem Sie schon einmal Anekdoten aus der Lebensmitte festgehalten haben. Liefert das Leben jenseits der 45 so viel Stoff zum Erzählen? Maxim Leo: Es passieren immer wieder Sachen, die so wahnsinnig sind, dass es schade wäre, sie nicht aufzuschreiben. Unsere Geschichten entstehen ja daraus, dass wir uns selbst, aber auch unsere Freunde beobachten. Und wir haben schnell gemerkt: Das ist noch jede Menge Stoff für Geschichten.

Sie schreiben, Sie seien mittlerweile in der fortgeschrittenen Alterspubertät. Wir das eher schlimmer oder subtiler? Zumindest kommen im Buch weder Motorräder, Inline-Skates noch gelbe Porsche vor. Jochen Gutsch: Die fortgeschrittene Alterspubertät ist noch unangenehmer, weil irgendwie klar wird: Das dauert jetzt noch eine ganze Weile. Also, ja, es ist eine Phase, aber eine recht lange. Maxim Leo: Wobei man als fortgeschrittenes Alterspubertier auch große Vorteile hat. Man ist nicht mehr so überrascht wie am Anfang, man kann mit dem eigenen Wahnsinn besser umgehen. Vor allem weiß man mittlerweile , dass man um Himmels Willen weder sich noch die anderen zu ernst nehmen darf.

Die 18-jährige Tochter, die abends aus dem Haus geht und auf die Frage nach ihrer Rückkehr „mal sehen“ antwortet, hat in Ihnen großen Wehmut ausgelöst. „Mal sehen, was ich noch mache und wann ich wiederkomme“ ist das genaue Gegenteil des durchgeplanten Erwachsenenlebens voller Pflichten. Wie schafft man es, als Erwachsener, spontan zu bleiben und Spaß zu haben, ohne peinlich zu werden?

Jochen Gutsch: Ich glaube, am wichtigsten ist es, locker zu bleiben und nicht zu große Erwartungen an sich selbst zu haben. Am lässigsten sind vermutlich die Leute, die nicht ständig daran denken, wie lässig sie gerne wären. Ich finde, das hat ja auch etwas sehr Entlastendes im Vergleich zur Jugend: Man muss nicht mehr cool sein. Coole Alterspubertiere sind mir sehr suspekt.

Muss man auf die Jugend neidisch sein? Maxim Leo: Leider ja. Dieses komplett realitätsverachtende Selbstbewusstsein, dieses bedingungslose Genießen, dieses völlig selbstverständliche Leben im Moment... Jochen Gutsch: Und dass man ständig etwas zum ersten Mal erleben darf! Das vermisse ich sehr. Ich weiß noch, wie glücklich ich war, als ich zum ersten Mal nach New York kam und diese Stadt sehen durfte. Damals war ich 21 Jahre alt. Wenn ich heute dort hin reise, ist es immer noch toll, keine Frage. Aber den Zauber des ersten Mals, dieses Staunen, habe ich nie wieder erlebt.

Im Buch steht: „Als ich im Radio hörte, Billy Idol käme für ein Konzert in unsere Stadt, war ich erstaunt, weil ich dachte, Billy Idol sei längst tot. Gleichzeitig verspürte ich ein drängendes Bedürfnis, mir sofort eine Karte zu kaufen, zum einen aus Freude darüber, dass Billy Idol noch lebte. Zum anderen, weil ich in einer schwierigen Lebensphase bin, in der ich mich, musikalisch gesehen, wieder rückwärts entwickle. Sozusagen: zum Ursprung hin.“ Wie kommt das? Jochen Gutsch: Nun ja, es ist wahrscheinlich einfach so, dass die Musik, die man in seiner Jugend gehört hat, für immer mit den Gefühlen dieser Zeit verbunden ist. Diese Musik schmeckt nach ersten Küssen, nach Herzklopfen, nach unbändiger Freude und großem Schmerz. Und deshalb wird sie uns vermutlich immer stärker berühren als jede Musik, die später dazu kommt.

Wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt, dass Sie Ihren eigenen Eltern ähnlich werden? Maxim Leo: Das begann vor ein paar Jahren. Und mit jedem Jahr wird es schlimmer. Manchmal höre ich mir beim Reden zu und denke: Das hätte jetzt auch genauso mein Vater sagen können. Oder eine bestimmte Art zu gehen oder zu schauen oder den Kopf zu bewegen. Es ist gespenstisch.

Sie haben auch festgestellt: „Alle Männer mittleren Alters fangen an zu grillen wie die Profis, Würstchen sind nicht mehr gut genug, es muss ein Steak vom galizischen Weiderind sein. Vor ein paar Jahren konnten dieselben Männer, meine Freunde, gerade mal Jagdwurst von Teewurst unterscheiden. Jetzt wollten sie plötzlich wissen, wie lange die galizischen Ochsensteaks 'gedryaged' waren.“ Männer kaufen sich dazu auch immer aufwändigere Geräte. Warum ist das so? Jochen Gutsch: Weil man ja irgendwas machen muss. Beim Grillen kommen verschiedene Dinge zusammen: Das Essen, das ja von vielen auch als „Sex des Alters“ bezeichnet wird. Die Freude an der Technik und neuem Equipment. Und einem anderen Phänomen, das man oft bei Alterspubertieren beobachtet: dem Spezialistentum. Alterspubertiere trinken nicht einfach irgendwelchen Wein, nein, sie fahren gerne selbst zum Weingut, lernen den Winzer kennen, helfen am liebsten noch bei der Ernte mit und nerven später alle mit ihren Geschichten. Und genauso ist es eben auch beim Grillen. Niemand wagt es mehr, einfach ein paar Tankstellen-Würste auf den Rost zu legen. Nein, man wird selbst ein bisschen zum Fleisch-Spezialisten, zum Connaisseur.

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Im Buch kommt auch eine Frau vor, die sich zum ersten Mal darüber freut, dass ihr die Bauarbeiter hinterher pfeifen. Auf die Frage „Ist das nicht sexuelle Belästigung oder so?“ antwortet sie: „Früher, ja. Ab 45 ist es sexuelle Bestätigung. Dieses Pfeifen sagt mir: Ich bin noch da.“ Kommt daher die plötzliche Suche nach Sinn in Yoga- und Meditationskursen, von der Sie berichten? Maxim Leo: Jeder Mensch hat, glaube ich, das Bedürfnis, sich zu spüren, begehrt zu werden, zu wissen, warum man überhaupt auf der Welt ist. Wenn man jünger ist, sind die Antworten oft leichter. Man verliebt sich, hat seinen ersten Job, bekommt Kinder. Eins ergibt sich scheinbar logisch aus dem anderen. Und irgendwann sind die Kinder aus dem Haus und der Job ist Routine und der Ehepartner nervt. Und man fragt sich: Oh Gott, was ist das nächste Ziel? Wo geht es jetzt hin?

In der Alterspubertät würden als Teil der großen Sinnsuche gern Kurse besucht oder neue Hobbys begonnen. Was ist der absurdeste Zeitvertreib, von dem Sie gehört haben? Maxim Leo: Eine Bekannte von uns ist neulich mit ihrem Mann zu einem Guru nach Amerika gefahren. Dieser Guru steht angeblich als Medium mit einem Mann in Kontakt, der 300 Jahre in der Zukunft lebt. Dieser Besuch beim Guru war sehr zeitaufwändig und teuer. Und selbst ich, der ja nun schon von vielem gehört hat, was Leute in unserem Alter so machen, war sprachlos, als mir diese Bekannte davon erzählte.

Am Ende des Buchs wird es ernst. Sie schreiben: „Anscheinend ist die Alterspubertät eine Art Todeszone für langjährige Beziehungen. Plötzlich ist da dieses Last-Exit-Gefühl: Wenn ich noch einmal etwas ändern will, noch einmal ausbrechen – dann jetzt. Bevor es zu spät ist! Oft gingen die Frauen. Und dann saß ich mit frisch verlassenen, schockierten Ehemännern in der Kneipe. Wir tranken zu viel, und sie erzählten von ihren Beziehungen, die ihnen total stabil erschienen waren.“ Wie hält man eine langjährige Beziehung mit Kindern und Krediten am Laufen? Jochen Gutsch: Reden, möglichst viel lachen. Am besten über sich selbst. Und ganz wichtig: Verzeihen. Gemeinsame Interessen und Projekte sind sicher auch hilfreich. Und sei es, dass man zu einem Guru nach Amerika fährt.

Und nun eine letzte Frage: Sind Sie selbst auch von der Alterspubertät betroffen? Maxim Leo: Ich persönlich nicht, aber Jochen Gutsch dafür um so mehr. Jochen Gutsch: Ein ziemlich untrügliches Zeichen von Alterspubertät ist es, dass man glaubt, nicht betroffen zu sein. Nur ältere Menschen weisen ja ständig darauf hin, wie jung sie noch sind. Wirklich junge Menschen tun das nie. Sie SIND einfach jung.

Das Buch: „Du bleibst mein Sieger, Tiger. Noch mehr Trost für Alterspubertierende.“ Ullstein Verlag, 144 Seiten, 12 Euro

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