Schule im Ausland„Ein Austauschjahr muss nicht teurer sein als ein Familienurlaub“

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Der Kölner Johann (rechts) mit seinem Gastbruder in Kanada.  

Köln – Eigentlich sollte es schon im Sommer 2020 losgehen. Lange Monate des Organisierens lagen hinter Johann. Ein Jahr lang wollte der Jugendliche in Kanada zur Schule gehen. Doch dann kam Corona. Und aus dem Auslandsjahr wurde nichts. Erstmal. Denn glücklicherweise konnte Johann (15) seinen Aufenthalt um ein Jahr verschieben und lebt jetzt bei einer Gastfamilie in Kanada.

Wie dem Kölner ist es vielen Schülerinnen und Schülern im vergangenen Jahr ergangen. Und doch: Der Wunsch, ein Jahr im Ausland zur Schule zu gehen, ist ungebrochen. „Ich bin selber überrascht, wie groß die Nachfrage trotz Corona immer noch ist“, sagt Thomas Eickel, der die Informations-Homepage „MyStudyChoice“ betreibt. Doch was gibt es bei der Planung eines solchen Aufenthaltes zu beachten? Vor allem in Pandemie-Zeiten? Und wie bekommen Familien das teure Auslandsjahr finanziell gut gestemmt? Dazu haben wir mit zwei Experten aus der Branche gesprochen.

Wie fängt man an?

„Als erstes sollten Schülerinnen und Schüler sich darüber klar werden: Wann will ich weg? Wie lange will ich bleiben? Und wo will ich hin? Wer nach den Sommerferien 2022 los will, sollte sich spätestens jetzt mit diesen Fragen beschäftigen“, sagt Michael Eckstein, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Völkerverständigung. Die Stiftung unterstützt Jugendliche mit Informationen und Stipendien bei ihrem Austausch und organisiert deutschlandweit Messen zu dem Thema. Die meisten Gymnasiastinnen gehen bei zwölf Schuljahren in der 10. Klasse, bei 13 in der elften Klasse. Realschüler gehen meist nach der mittleren Reife.

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Costa Rica ist eines der sichersten und beliebtesten Ziele in Mittelamerika.

Vorab sollte der Jugendliche aber mit der Schule klären, ob das entsprechende Schuljahr aus Prüfungssicht überhaupt in Frage kommt. Von der Schule brauchen die Jugendlichen nämlich eine Beurlaubung. Eckstein persönlich plädiert dafür, ein ganzes Jahr zu bleiben: „Das Ziel ist es ja, Land, Leute, Kultur und Sprache kennenzulernen. Und meiner Erfahrung nach braucht es ein halbes Jahr, bis die Jugendlichen richtig integriert sind. Dann ist es doch schade, wenn man dann wieder wegfährt.“

Wo soll es hingehen?

„Mindestens 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler wollen ins englischsprachige Ausland, also USA, Kanada, Neuseeland oder Australien“, sagt Eckstein. „Großbritannien steht durch den Brexit nicht mehr so hoch im Kurs, dafür ist Irland in den vergangenen Jahren sehr populär geworden.“ Thomas Eickel von „MyStudyChoice“ sieht zurzeit vor allem Kanada als Top-Destination. „Da sind die Plätze ganz schnell voll.“ Er empfiehlt, jetzt mit den konkreten Planungen zu beginnen. Im Unterschied zu den USA kümmern sich in Kanada die einzelnen Schulbezirke selbst um die Vergabe ihrer Austauschplätze, deswegen können die Schülerinnen und Schüler sich hier leichter ihren Wunschort aussuchen. Schulen und Gastfamilien werden bezahlt. Kostenpunkt laut unserer Experten für ein Jahr: Ab 15.000 Euro.

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Kanada ist vor allem während Corona eines der beliebtesten Ziele.

Ganz anders in den USA, dem Austausch-Klassiker: Hier regeln große, landesweite Organisationen den Austausch. Im staatlichen High-School-Programm hat der Schüler keinen Einfluss darauf, ob er im hippen New York oder in der Pampa im mittleren Westen landet. Dafür fallen weder Schulgebühren noch Kosten für die Gastfamilien an – diese nehmen die Schüler umsonst bei sich auf. Dafür belaufen sich die Kosten für ein Jahr auf rund 10.000 Euro. „Wollen Schüler eine Privatschule oder ein Internat besuchen, haben sie natürlich mehr Mitspracherecht – dafür verdoppeln sich die Kosten aber auch“, so Eckstein.

Wer organisiert das Ganze?

Johann hat sein Austauschjahr komplett selbst organisiert – seine Gastmutter in Kanada ist die Cousine eines Familienfreundes hier in Deutschland. Damit gehört der Kölner Jugendliche zu den großen Ausnahmen, die allermeisten Schülerinnen und Schüler gehen mit Hilfe einer Austauschorganisation ins Ausland. In den USA beispielsweise funktioniere es auch kaum anders, sagt Michael Eckstein. „Der Schüler braucht einen Bürgen vor Ort, einen sogenannten sponsor, auch darum kümmert sich die Austauschorganisation.“ Er vergleicht das organisierte Austauschjahr mit dem Buchen einer Pauschalreise: „Die Kinder werden quasi von Haustür zu Haustür begleitet.“ Vor Ort sind Ansprechpartner in der Nähe, die bei Missverständnissen in der Gastfamilie helfen oder im Notfall sogar einen Wechsel organisieren. Gerade in Corona-Zeiten sei so eine Organisation viel wert, findet er: „Wenn die Reise wegen Corona nicht möglich ist, dann hat man nach deutschem Reiserecht die Möglichkeit, kostenfrei zurückzutreten – vorausgesetzt, man hat bei einer deutschen Agentur gebucht.“ Wer aus anderen, persönlichen Gründen zurücktreten will, brauche eine Reiserücktrittsversicherung.

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Typische Szene: Schulbusse in den USA 

Zudem haben die Organisationen in den letzten anderthalb Jahren auch viele Reisen umgebucht. Thomas Eickel aus Bonn hat etwa für Schüler, die eigentlich nach Australien oder Neuseeland wollten, coronabedingt aber nicht einreisen konnten, Alternativen in Kanada organisiert. Sein Fazit aus der Coronazeit: „Es ist ganz wichtig, dass die Schüler und Familien Flexibilität mitbringen und sich nicht zu sehr auf ein Ziel versteifen.“ Er geht davon aus, dass die Einreise nach Australien und Neuseeland frühestens ab Sommer 2022 wieder möglich sein wird. Kostenpunkt für die beiden Länder für ein Jahr: Neuseeland ab 17.000 Euro, Australien ab 20.000 Euro.

Wie findet man denn eine gute Organisation?

Den besten Überblick bieten spezielle Messen, auf denen sich verschiedene Austauschunternehmen vorstellen. Diese finden mittlerweile auch wieder statt. Ist man einmal mit einem Anbieter in Kontakt, „ist ein gutes Beratungsgespräch das Allerwichtigste“, findet Michael Eckstein. Er empfiehlt darauf zu achten, ob der Berater fundiertes Fachwissen hat oder nur aus dem Katalog zititert.

Wenn’s nicht der Klassiker sein soll: Einige Austauschländer im Überblick

Irland

Englisch kann man nicht nur in den USA, Australien oder Kanada trainieren. Durch Brexit und Corona boomt die Insel Irland. Vorteile: Das Land ist Teil der EU, die Einreise dürfte also nicht gefährdet sein, das Schulsystem ist gut. Nachteil: Nur zwei Flugstunden von Mama und Papa entfernt.

Südafrika

Auch hier wird Englisch gesprochen, das Land ist exotisch, das Wetter gut. Die Region rund um das Kap ist sehr westlich geprägt und sicher, in vielen anderen Gegenden ist die Kriminalitätsrate hoch. Deswegen entscheiden sich bisher nicht so viele Schüler für ihren Aufenthalt hier. Die Einreise ist möglich, sofern die aktuelle Corona-Situation das zulässt – es gibt also keine generell Schließung wie in Neuseeland oder Australien.

Costa Rica

Wen es nach Mittel- oder Südamerika zieht, der ist zurzeit wohl am besten in Costa Rica aufgehoben. Das spanischsprachige Land in der Karibik kann nicht nur mit tollen Sandstränden aufwarten, sondern auch mit Demokratie und einem funktionierenden Gesundheitssystem. Die Einreise ist zurzeit unproblematisch, die Impf-Kampagne vor Ort läuft wohl gut.

Spanien

Zum Spanisch üben muss man aber gar nicht um die halbe Welt fliegen, nicht mal die EU verlassen. In Spanien wird die Sprache am klarsten gesprochen, das Bildungssystem ist gut und wenn man sich von der Küste und den Mittelmeerinseln fernhält, lernt man auch die ursprüngliche spanische Kultur kennen.

Südkorea

Das Land im Osten Asiens ist der Geheimtipp für Exoten. Hier ist alles ganz anders – und doch sehr westlich, sehr technisch und vor allem: im Gegensatz zum großen Nachbarn China sehr demokratisch. Wer sich für einen Aufenthalt in Südkorea interessiert, sollte vorab aber unbedingt einen Koreanisch-Kurs belegen. Allerdings: Coronabedingt ist noch nicht klar, wann eine Einreise wieder möglich ist.

Wichtig sei auch, dass es vor dem Aufenthalt Vorbereitungskurse gebe, bei denen landestypische Umgangsformen trainiert würden. Und letztlich sollte man auch abfragen, wie die Partner-Organisation vor Ort arbeite. Danach habe man einen guten Eindruck und könne – je nach Bauchgefühl – entscheiden, ob man lieber bei einem großen Unternehmen, oder einer kleinen, familiären Firma Hilfe suche. „Auf jeden Fall sollte man die Preise der Anbieter vergleichen“, rät Michael Eckstein. „Vor allem bei einem Programm wie in den USA, das ja eigentlich gleich ist, unterscheiden sich die Kosten teils deutlich.“

Wie können Familien die Kosten stemmen?

Überhaupt hat Eckstein noch einige Tipps zum Thema Finanzen parat. Ein klassischer USA-Aufenthalt müsse eine Familie nicht mehr kosten als ein Familienurlaub, ist Eckstein überzeugt. Und rechnet vor: Das Kindergeld in Höhe von 219 Euro werde weiterhin gezahlt. Dafür fielen Kosten für die Verpflegung des Kindes, für Sportverein und Musikschule weg. Für viele Familien komme auch ein Auslandsbafög in Frage, allerdings müsse man das mindestens ein halbes Jahr vorher beantragen.

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Zudem gibt es eine Vielzahl an Stipendien, die zumindest Teile der Kosten übernehmen. Eine Übersicht finden Sie bei der Deutschen Stiftung Völkerverständigung. Doch auch hier gilt: Die Bewerbungen sind teils umfassend und müssen natürlich rechtzeitig abgeschickt werden. „Wer wirklich ins Ausland will, der bekommt das auch hin“, ist Eckstein überzeugt. „Man muss sich nur kümmern.“

So wie Johann das getan hat. Der 15-Jährige ist überglücklich in Kanada und freut sich auf viele weitere tolle Monate.

Thomas Eickel von „MyStudyChoice“ bietet vom 29. September bis 2. Oktober verschiedene digitale Infoveranstaltungen zum Auslandsjahr in Kanada, Australien und Neuseeland an. Die Veranstaltungen sind kostenlos, eine Anmeldung ist erforderlich.

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