Typisch Mann?An diesen Verhaltensweisen zeigt sich „toxische Männlichkeit“

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Wenn das traditionelle Bild des starken Mannes der Gesellschaft schadet.

Köln – Männer schaden mit ihren anerzogenen und von der Gesellschaft vorgegebenen Verhaltensweisen und Denkmustern vor allem Frauen. Sie schaden aber auch dem Zusammenleben. Der Gesellschaft. Und sich selbst. „Toxische Männlichkeit“ heißt das giftige Phänomen. Der Pädagoge Sebastian Tippe hat jetzt ein Buch darüber geschrieben. Wir haben mit ihm über schädliches männliches Verhalten gesprochen, wo es sich zeigt, was es bewirkt und welches Gegengift es gibt.

Definition: Toxische Männlichkeit ist keine Krankheit

Toxische Männlichkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und meint nicht, dass männliches Verhalten per se toxisch ist. „Enorm giftig ist vielmehr die gesellschaftliche Vorstellung davon, was männlich ist, das Bild des starken Mannes, das dazu führt, dass männliche Einstellungen und Verhaltensmuster schädlich sind“, sagt Sebastian Tippe. Und zwar schädlich für Frauen, andere marginalisierte Menschen wie Wohnungslose, körperlich Beeinträchtige oder Zugewanderte. Schädlich für das Zusammenleben. Schädlich aber auch für Männer selbst.

Die vielen Hass-Nachrichten, die Männer an Tippe adressieren, beweisen, dass „sie meinen, es gebe keine toxische Männlichkeit oder dass, wenn überhaupt, nur die anderen gemeint sind, sie selber ja kein Vergewaltiger sind. Dabei sind Vergewaltigungen und andere Gewalt gegen Frauen nur das extremste Ausmaß toxischer Männlichkeit“, sagt Tippe. Die beginne aber bei alltäglichen Handlungen, Einstellungen, Verhaltensweisen und Präsentationen von Jungen und Männern, die sich negativ auf Frauen auswirken, weil sie damit diskriminiert, ausgegrenzt, benachteiligt oder unterdrückt werden und Belästigungen und Gewalt durch Männer erleben.

Toxische Verhaltensweisen: Wo und wie sie sich zeigen

„Sie machen sich in allen Lebensbereichen bemerkbar, das beginnt bei alltäglichem Verhalten wie dem permanenten Unterbrechen von Frauen und endet bei Femiziden, also Tötungen von Frauen und Mädchen durch ihre (Ex-)Partner aufgrund ihres Geschlechts“, sagt Tippe und zählt nur einige von unendlich vielen Beispielen auf, bei denen sich toxische Männlichkeit zeige: Im öffentlichen Raum, wenn Männer breitbeinig in der U-Bahn sitzen, Raum einnehmen, der ihnen nicht gehört oder Frauen auf der Straße hinterherpfeifen; am Arbeitsplatz, wenn Männer die Ideen von Frauen als die eigenen ausgeben und Chefs Frauen benachteiligen, weil sie Kinder haben oder welche bekommen können; in der Partnerschaft, wenn Männer mit Abwesenheit glänzen oder die Care-Arbeit ihren Frauen überlassen und ihnen damit die Karrierechancen nehmen; in der Sexualität, wenn Männer nur auf sich und ihre Bedürfnisse fokussiert sind und glauben einzig die Penetration sei guter Sex; im Alltag, wenn Männer Frauen die Welt erklären, sie ständig unterbrechen und sich Männer grundsätzlich angegriffen fühlen, wenn man sie kritisiert; strukturell, wenn ein System es zulässt, dass Frauen im Schnitt 21 Prozent weniger verdienen, Männer 73 Prozent mehr Rente kriegen und Frauen in der Sprache unsichtbar gemacht werden, weil beispielsweise von Kindergärtnern die Rede ist, obwohl nur sieben Prozent von ihnen männlich ist; in Form von Gewalt, die sich in der Pornoindustrie, der Prostitution, beim Stalking, bei häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen, Amokläufen oder im Krieg zeigt.

Zur Person, Online-Vortrag und Buchtipp

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Sebastian Tippe

Foto: Studioline Fotostudio Hannover

Sebastian Tippe ist Diplom-Pädagoge mit Schwerpunkt feministische Jungenarbeit. Er ist Autor pädagogischer und und psychologischer Fachbeiträge. 2020 war er Mitbegründer des Vereins „Shespect“, der Frauen gegen Hate Speech und Sexismus unterstützt.

Bei seinem Online-Vortrag zeigt er auf, wie sich toxische Männlichkeit individuell und strukturell auswirkt. Jungen und Männer definieren sich über Leistung, ignorieren Grenzen, werten Frauen ab oder üben Gewalt aus – ein gesamtgesellschaftliches Problem, das schon bei alltäglichem Verhalten beginnt.

Termin: Montag, 26. April, 19 Uhr, online: forumblau.de/akademie Dauer: 1,5 Stunden Teilnahme: 12 Euro (Forum-Blau-Abonnenten: 10 Euro) Anmeldung: forumblau.de/tickets oder telefonisch 0221/280344

Lesetipp Sebastian Tippe: „Toxische Männlichkeit. Erkennen, reflektieren, verändern“, edigo-Verlag, 2021, 316 Seiten

Auswirkungen: Wohin toxische Männlichkeit führt

„Männer schaden damit nicht nur Frauen und andere marginalisierte Menschen, sie schaden auch sich selbst“, findet Tippe. Denn gesellschaftlich zugeschriebene, typisch männliche Eigenschaften wie Dominanz, Aggression, Konkurrenz- und Leistungsdenken würden Männer häufiger hinter Gitter, ins Krankenhaus oder in den Tod treiben. Tippe: „Und das Stereotyp des verschlossenen Mannes, der weder Gefühle zulassen noch Schwäche zeigen darf, führt auf Dauer zu Depressionen und chronischem Stress.“

Statistiken und Studien beweisen: Es sind überwiegend Männer, die Amok laufen, Randale anzetteln, Kriege führen und im Gefängnis landen (94 Prozent der Insassen sind männlich). Männer begehen drei Mal häufiger Suizid und sterben im Durchschnitt fünf Jahre früher als Frauen. „Weil sie sich riskanter verhalten, etwa bei lebensbedrohlichen Mutproben oder im Extremsport. Weil sie die Gesundheitsvorsorge vernachlässigen, keine Therapie oder sonstige Hilfe bei Problemen in Anspruch nehmen. Und weil sie sich schlechter ernähren als Frauen“, sagt Tippe.

Die Crux: Dahinter verbergen sich nicht nur individuelle Schicksale sondern Milliarden von Euro, die die Gesamtgesellschaft mittragen muss für Inhaftierungs- und Gerichtskosten, fehlende steuerliche Einnahmen, Polizei, Opferentschädigung, Unterhaltsvorschüsse oder Therapien.

Ursachen: Wer Schuld ist an dem giftigen Verhalten

Um es vorweg und knapp zu sagen: Schuld ist nicht der Mann an sich, sondern die gesellschaftliche Erwartung daran, wie Männer und Frauen zu sein haben, was sie dürfen oder nicht nicht. Tippe: „Das traditionelle Männerbild beruht auf sozialen und kulturellen Normen und nicht auf der Tatsache, dass bestimmte Attribute und Fähigkeiten naturgegeben an Männer oder Frauen gekoppelt und damit unveränderlich sind.“

So hat sich als männlich durchgesetzt, was Dominanz, die Abwertung von Frauen und Gewaltbereitschaft fördert und auf dem Wunsch nach Stärke, Macht, sexueller Potenz und Unabhängigkeit basiert. Für Gefühle und Emotionalität ist da kein Platz, beziehungsweise werden sie als schwach und weiblich eingeordnet. „Verkörpert ein Junge oder Mann diese vermeintlich männlichen Eigenschaften nicht, gilt er als nicht richtiger Mann, wird gemobbt und ausgegrenzt“, sagt Tippe.

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Der Pädagoge kennt das aus seiner jahrelangen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen: Schon im Kindheitsalter erlernen Jungen dieses gefährliche Verständnis von Männlichkeit und wachsen mit der Annahme auf, stark sein zu müssen und keine Schwäche zeigen zu dürfen. „Jungen lernen sehr früh, ihre als unmännlich geltenden Unsicherheiten und Emotionen, also etwa Fürsorge, Empathie und einen gesunden Zugang zu den eigenen Gefühlen, zu verdrängen und zu ignorieren“,so Tippe. Die daraus resultierenden Ambivalenzen seien schließlich ein perfekter Nährboden für Gewalt, Wut und Aggressionen.

Gegengift: Lösungsansätze und Strategien 

„Toxische Männlichkeit erkennen, reflektieren, verändern“ - Schon der der Titel von Sebastian Tippes Buch verrät, dass der Pädagoge einen ganzen Katalog praktischer Tipps und Lösungsansätze bereithält. Der erste, wichtigste Schritt sei getan, „wenn Männer anerkennen, dass sie in einer patriarchalen Welt leben, in der sie bevorzugt und Frauen benachteiligt und diskriminiert werden“, meint der Autor. Schritt zwei wäre, einzugestehen, dass Männer selbst dazu beitragen und jeder von ihnen sich schon einmal übergriffig und toxisch verhalten hat. „Es ist und bleibt die Verantwortung der Männer, sich aktiv mit den eigenen Anteilen auseinanderzusetzen und tägliche Situationen zu reflektieren: Habe ich heute Frauen zugehört, sie ausreden lassen, die Meinungen von Frauen angenommen, sie unterstützt? Habe ich nicht aggressiv auf Kritik reagiert? Wie habe ich mich präsentiert? Bedrohlich mit herausgestreckter Brust, Händen in den Hüften? Habe ich die Meinung einer Frau angenommen? Den Fokus nicht nur auf mich gerichtet?“ Familienvätern rät Tippe, Elternzeit zu nehmen, beim Sohn Nähe zuzulassen, ihm nicht mehr Taschengeld zu geben als der Tochter, Gleichberechtigung vorzuleben, sich mit gesunder Ernährung zu beschäftigen.

Von der Politik fordert Tippe gleiche Bezahlung für Männer und Frauen, Parität in Parlament und Justiz, die Frauenquote, dass das Wissen um toxische Männlichkeit Lehr- und Ausbildungsinhalt aller schulischen und sozialen Berufe ist und feministische Projekte stärker unterstützt werden. Schließlich müsse das Steuersystem gerechter gestaltet und das Rechtssystem, das zulässt, dass nur weniger als ein Prozent der Gewalttaten gegen Frauen bestraft werden, verschärft werde. Tippes Herzensangelegenheit: Männer an Bord zu holen, um Frauen zu unterstützen. „Wir werden Gleichberechtigung nur erreichen, wenn Männer bereit sind, ihre Privilegien abzugeben.“

Was heißt eigentlich Mansplaining? Kleines Wörterbuch toxischer Verhaltensweisen

Manspreading 

Mit dem Begriff (zusammengesetzt aus dem Englischen „man“ = Mann und „spreading“ = spreizen) wird das Verhalten von Männern bezeichnet, vor allem an öffentlichen Orten, mit weit gespreizter Beinhaltung zu sitzen - im Gegensatz zu Frauen, die die meist versuchen, wenig Raum einzunehmen, indem sie etwa in Bus und Bahn die Beine eng aneinander. Die Debatte um die breitbeinige, ausladende Körperhaltung von Männern begann im Jahr 2013 mit einer Kampagne auf Tumblr, woraufhin Verkehrsunternehmen in New York, San Francisco, in Istanbul, Wien, Madrid männliche Fahrgäste mit Plakat-Aktionen ermahnten, ihre Beine nicht zu weit zu spreizen, da sie dadurch viel mehr Platz in Anspruch zu nehmen, als ihnen zusteht, andere damit stören und belästigen. Sebastian Tippe: „Manspreading ist nicht das einzige raumaneignende Verhalten von Männern, das sie auch an den Tag legen, wenn sie auf die Straße spucken, im öffentlichen Raum laut schreien oder (spielerisch) kämpfen und damit ihre Mitmenschen belästigen oder gar beängstigen.“

Mansplaining

Tippe: „Mansplaining steht für das Verhalten von Männern, Frauen die Welt zu erklären, weil sie fälschlicherweise davon ausgehen, dass sie per se mehr wüssten als ihre Gesprächspartnerinnen.“ Es geht also um herablassende Erklärungen von Männern, die die Macht-Symmetrien in der Kommunikation zwischen Männern und Frauen verdeutlichen.

Whataboutism und Derailing

Whataboutism (zusammengesetzt aus dem Englischen„What about? = „Was ist mit?“ und dem Suffix -ism = „-ismus“) bezeichnet ein rhetorisches Ablenkungsmanöver, bei dem Männer auf vermeintlich andere Missstände verweisen, um ein unliebsames Thema zu umgehen, es zu negieren und klein zu reden. Dadurch werden, so Tippe, vor allem Frauen diskreditiert, ihre Argumente jedoch nicht widerlegt. Derailing („entgleisen“) zielt darauf ab, das Gespräch aus dem Ruder laufen zu lassen – „Im Netz etwa durch die Verwendung von Fake-Profilen, die sich gegenseitig unterstützen, um eine Mehrheit vorzutäuschen und Totschlagargumente einsetzen, mit denen sie bewusst eine Eskalation provozieren“, sagt Tippe.

Hepeating 

Mit dem Begriff (Wortmix aus dem Englischen „he“ = er und „repeating“ = wiederholen) ist das Phänomen gemeint, bei dem Männer Ideen von Frauen, die sie vorher ignoriert haben, aufgreifen, um sie dann als die eigenen auszugeben und dafür Lob und Anerkennung kassieren. „Das ist besonders perfide, wenn man bedenkt, dass die Ideen von Frauen sowieso ständig belächelt und nicht ernst genommen werden“, mahnt Tippe.

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