Schikane am Arbeitsplatz„Bossing” – wenn der Chef Mitarbeiter mobbt

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Wenn der eigene Chef zum Mobber wird, fühlen sich Arbeitnehmer oft hilflos.

Herne/München – Eineinhalb Jahre Terror. So beschreibt Holger Wyrwa die Zeit, in der er von seiner neuen Chefin gemobbt wurde. Sie wollte, dass er eine Kollegin ausbootet. Er weigerte sich. Dann gingen die Schikanen los. Unter anderem durfte er plötzlich keine Briefe mehr selbstständig unterschreiben, musste immer mehr Aufgaben weit unter seinen Fähigkeiten erledigen. Mal musste er 200 Adressen von Hand übertragen - absurd angesichts der Tatsache, dass so etwas bislang eine Schreibkraft erledigt hatte.

Mobbing durch den Chef heißt „Bossing"

„Sie wollte mich platt machen“, sagt der Erziehungswissenschaftler und Psychotherapeut rückblickend. „Ich hatte keine Überlebenschance in der Behörde, in der ich damals gearbeitet habe.“ Zunächst versuchte er, im direkten Gespräch mit der mobbenden Chefin eine Lösung zu finden - vergeblich. Auch das Personalbüro konnte nicht helfen. Kollegen duckten sich aus Angst um ihre Position weg.

Wyrwa ist kein Einzelfall. Je nach Studie haben bis zu einem Viertel aller Arbeitnehmer bereits erlebt, wie es ist, am Arbeitsplatz fortlaufend schikaniert, übergangen oder ignoriert zu werden. Schon 2002 veröffentlichte die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin einen Mobbing-Report. Diesem Bericht zufolge geht in etwas mehr als der Hälfte der Fälle die Schikane vom Boss aus oder wird zumindest von ihm toleriert - oft ist daher von Bossing die Rede, wenn es speziell um Mobbing durch den Chef geht.

Es geht dabei nicht um einmalige Ereignisse wie einen Rüffel in einer Konferenz, sondern um immer wieder neue seelische Verletzungen. Laut klassischer Definition ereignen sich die Kränkungen mindestens einmal in der Woche und mindestens ein halbes Jahr lang, erläutert die Diplom-Psychologin Bärbel Wardetzki aus München.

Depressionen und Angststörungen als Folgen

Anfangs fühlt der Mitarbeiter sich vielleicht nur in die Ecke gedrängt. Dann verliert er sein Selbstwertgefühl, Arbeitsqualität und -motivation leiden. Im Laufe der Zeit kommen dazu womöglich Kopf- und Nackenschmerzen, Schlafstörungen und schlimmstenfalls Depressionen oder Angststörungen. „Wichtig ist, dass der Betroffene registriert: Hier läuft etwas Entwertendes“, sagt Wardetzki, die sich wie Holger Wyrwa in einem Buch mit dem Thema beschäftigt hat.

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Bärbel Wardetzki 

Geht es um Hilfe, sind der Betriebsrat oder das Personalbüro aus Sicht der Experten nicht immer hilfreiche Adressen. Betroffene sollten es lieber außerhalb des Unternehmens versuchen: bei einer Mobbingopfer-Hotline, bei einem Coach, bei einer Gewerkschaft, einem Arzt, Psychotherapeuten oder einer Selbsthilfegruppe. Das ändert unterm Strich zwar nicht die berufliche Situation. Aber es trage dazu bei, nicht im passiven Leid zu bleiben, sagt die Psychologin.

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„Oft halten die Leute zu lange aus, sie versuchen, sich anzupassen, und haben kein Mut, wegzugehen“, sagt sie. Wyrwa rät zudem, dem mobbenden Chef gegenüber keinerlei Emotionen zu zeigen, weil dieser sich sonst als Gewinner fühle. Besser lässt man sich krankschreiben, erholt sich, gewinnt Abstand und denkt in Ruhe nach. Ist eine Versetzung möglich? Oder bietet sich doch ein Jobwechsel an?

Rechtlich ist die Lage unklar

Wyrwa berät heute in seinem eigenen Institut in Herne unter anderem Mobbing-Betroffene. Viele Bossing-Opfer wenden sich in ihrer Not auch an Anwälte. Rechtlich ist das Thema allerdings kaum greifbar. „Es ist eine Vorgehensweise, die gezielt einen Menschen treffen, kränken, in seiner Persönlichkeit herabwürdigen soll“, sagt Nathalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeitsrecht in Köln. Es gebe unterschiedliche Wahrnehmungen, was als Kränkung empfunden wird. Darum sei es vor Gericht extrem schwierig bis unmöglich nachzuweisen, dass psychische Beeinträchtigungen tatsächlich auf dem Verhalten des Chefs beruhen.

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Nathalie Oberthür

Oberthür rät daher in der Regel von einer Klage vor dem Arbeitsgericht ab. Sie bespricht mit ihren Mandanten vielmehr, ob das Arbeitsverhältnis noch zu retten ist oder ob sich die Situation mit einem Aufhebungsvertrag oder einer Abfindung klären lässt.

Holger Wyrwa war psychisch robust genug, um sich von der damaligen Vorgesetzten nicht in Angststarre versetzen zu lassen. Am Ende ist er mit einer Abfindung gegangen und hat sich selbstständig gemacht. (dpa/tmn)

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