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Ärztin und Bestseller-Autorin„Zeitmangel ist keine Ausrede für fehlendes Mitgefühl”

Lesezeit 8 Minuten
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Dermatologin Yael Adler ist auch als Buchautorin erfolgreich.

  • Nicht gesehen, nicht gehört oder mit einer schlimmen Diagnose alleine gelassen – viele Patienten haben extrem negative Erfahrungen mit Ärzten gemacht.
  • Das hat auch Dr. Yael Adler bei der Recherche zu ihrem aktuellen Buch erfahren.
  • Sie habe eigentlich darüber schreiben wollen, wie lustig und spleenig manche Ärzte sind, stattdessen sei sie auf schockierende Fälle gestoßen, erzählt die Medizinerin.

Köln – Lange im Wartezimmer sitzen und dann nach drei Minuten schon aus dem Sprechzimmer geschickt werden, Ärzte und Ärztinnen, die nicht richtig zuhören – die Liste, was sich Patienten nicht von einem Mediziner wünschen, ist lang. Mit der Frage, wie eine gute Beziehung zwischen Arzt und Patient aussieht, beschäftigt sich die Ärztin und Autorin Yael Adler. Sie erzählt im Interview auch, was Patienten besser machen könnten. „Arzt und Patient – eine Beziehung in der Krise” schreiben Sie in Ihrem Buch. Warum denken Sie, dass es so ist? Yael Adler: Eigentlich wollte ich in meinem Buch darüber schreiben wie Ärzte sind – dass es lustige, spleenige oder chaotische Kollegen gibt. Und wie sie sich mit Patienten verstehen. Als ich dann Menschen bat über ihre Erlebnisse als Patienten zu erzählen, war ich geschockt, dass ich extrem viele negative Erlebnisse geschildert bekam. Die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist oft gestört, weil es an der Kommunikation hapert. Patienten fühlen sich traumatisiert, schockiert, wütend, alleine gelassen, ausgeliefert, unsicher, verängstigt, nicht gesehen oder nicht gehört. Eine Beziehung in der Krise.

Können Sie einen Fall schildern, der Sie besonders schockiert hat?

Ein Arzt, der durch Prostatakrebs selbst zum Patient geworden ist, bekam einen bösartigen Tumor, der innerhalb von vier Monaten explosionsartig gewachsen ist. Innerhalb kürzester Zeit wurde es zu einer kritischen Diagnose. Der Familienvater wendete sich an eine bekannte Onkologie an einer Universitätsklinik, die ihn mit der Botschaft „Wir haben keine Therapie für Sie, Sie haben noch ein Jahr!“ vor den Kopf gestoßen hat. Seine Frau, die auch Ärztin ist, hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um eine Behandlung für ihn zu finden und hat dies auch geschafft. Die Uniklinik hatte ihm die Therapie verweigert, „weil er nicht in die Leitlinien passe“, durch die Hilfe anderer Ärzte lebt er und gilt nun auch noch nach zwei Jahren als tumorfrei. Auf dem Weg dahin hat er viel erlebt: wie viele Missverständnisse es zwischen Arzt und Patient gibt, dass ihm nicht alles erklärt wird, wie ihm Befunde vorenthalten werden und dadurch wertvolle Zeit vergeht. Diese Geschichte ist sehr bedrückend und zeigt einen Apparat, der nicht auf die Ängste und Bedürfnisse des Patienten eingeht.

Zur Person

Yael Adler ist Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Venenheilkunde und Ernährungsmedizin. Seit 2007 leitet sie eine eigene Praxis in Berlin. 

2016 landete die Medizinerin mit ihrem Buch „Haut nah!” auf Platz 1 der Spiegel-Bestseller-Liste und auch mit ihrem zweiten Ratgeber „Darüber spricht man nicht” erreicht sie als Autorin viele Leserinnen und Leser.

Wer ist schuld an solchen Negativbeispielen? Liegt es nur an einzelnen Ärztinnen und Ärzten? Oder auch am Gesundheitssystem?

Es gibt Typen an Ärzten und Patienten, die nicht zusammenpassen. Die Beziehung funktioniert nicht, wenn die Charaktere nicht harmonieren. Das Gesundheitssystem spielt aber auch eine Rolle. In einem System, in dem Zeit für Gespräche nicht ausreichend honoriert wird, kommen sie zu kurz. Ohne Kommunikation fehlt aber die Grundlage für eine vertrauensvolle Beziehung, die unerlässlich für die Heilung ist. Denn Vertrauen baut Stress ab, stärkt das Immunsystem und hilft dem Patienten, die Therapie durchzuziehen. Gerätemedizin hingegen wird gut bezahlt, weshalb Ärzte aus wirtschaftlicher Sicht dann oft ein Gerät nutzen, statt ein Gespräch zu führen. Ein weiterer Punkt ist, dass die Menschen in Deutschland sehr häufig zum Arzt gehen, oft auch nur für eine Krankschreibung oder ein Rezept. Sinnvoller wäre es in der Sprechstunde, dem Patienten zu erklären, was er selber tun kann, um einem Rückfall vorzubeugen – statt ihm für sein Ekzem nur eine Kortisonsalbe zu verschreiben. Dieses mündig Machen und seelische Aspekte kommen zu kurz. Doch ein längerer, umfassender Termin könnte viele kurze, oberflächliche Termine ersetzen. Man müsste nicht so oft zum Arzt.

Was macht die Beziehung zwischen Arzt und Patient dann eigentlich aus?

Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient, wie ich es jeden Tag erlebe, ähnelt einer Partnerschaft. Ich habe mich gefragt, was dieses Verhältnis ausmacht und welche Vorwürfe es gibt. Diese gleichen oft einer scheiternden Liebesbeziehung: Du verstehst mich nicht, du hast keine Zeit für mich, ich vertraue dir nicht mehr, ich will die Trennung! Ich sehe die Arzt-Patienten-Beziehung wirklich als ein Team, in der beide Parteien eine Verantwortung tragen und respektvoll miteinander umgehen sollten. Menschlich muss es immer möglich sein, auf Augenhöhe miteinander zu kommunizieren. In einer Partnerschaft hat ja auch jeder seine Stärken und Schwächen.

Was sollten Ärztinnen und Ärzte besser machen?

Viele Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, begründen ihren Mangel an Empathie oft mit zu wenig Zeit, Personalmangel oder einer schlechten Bezahlung. Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Auch mit zu wenig Zeit kann ich zum Beispiel in der Notaufnahme emphatisch mit Patienten umgehen und etwa im Vorbeigehen sagen, dass man den Patienten gesehen hat und sich gleich um ihn kümmern wird, anstatt ihn zu ignorieren.

Wir Ärzte sollten sehr viel Wert auf Kommunikation legen. Man muss sich über die Regeln der Kommunikation bewusst werden, diese Kunst üben und nicht denken, dass sie uns in die Wiege fällt. Gelungene Kommunikation und die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist die halbe Miete, wenn sie fehlschlägt ist das wie ein Behandlungsfehler.

Ärzte sollten sich Zeit nehmen und Patienten nicht nach 20 bis 30 Sekunden unterbrechen, sondern sie reden lassen. Untersuchungen zeigen, dass Patienten nach rund 90 Sekunden fertig wären. Würden Ärzte sich die Zeit nehmen zuzuhören, würden sich Patienten nicht respektlos behandelt fühlen und gleichzeitig kann man als Arzt in dieser Zeit den Patienten beobachten, zusätzliche Informationen gewinnen, auf Mimik und Körpersprache achten. Ihn besser kennenlernen und seine Bedürfnisse verstehen.

Was können Patientinnen und Patienten besser machen?

Ärzte finden auf den Termin vorbereitete und pünktliche Patienten gut, die Fragen stellen und Verantwortung für ihre Heilung mit übernehmen wollen, also nicht alles an den Arzt abgeben wollen. Nach dem Motto „Jetzt mach mal!“. Patienten sollten dem Arzt gegenüber ehrlich seien und ihn nicht anflunkern. Damit kommt der Arzt als Profi klar und wertet nicht. Allerdings kann man dann besprechen, wo Vorbehalte sind. Patienten sollten mit dem Arzt auch mal nachsichtig sein, wenn sie zum Beispiel durch einen Notfall länger warten müssen. Sie sollten einerseits selber reden, aber andererseits auch dem Arzt zuhören und darüber nachdenken, ob sie den Rat des Arztes annehmen können. Schwierig ist, wenn Patienten jeden Vorschlag ablehnen und nicht zuhören wollen. Ich finde es auch gut, wenn beide Seiten ansprechen, wenn etwas die Kommunikation stört, etwas im Raum steht. Nur so kann man Probleme gemeinsam angehen.

Zum Weiterlesen

Yael Adler: „Wir müssen reden, Frau Doktor! Wie Ärzte ticken und was Patienten brauchen.”, Droemer Knaur, 18 Euro.

Foto: Droemer Knaur

Was ist mit Google – ist Google immer ein schlechter Arzt?

Es gibt sehr gute Webseiten. Ich fände es gut, wenn Gesundheitsinformationen zertifiziert wären, damit Patienten die Qualität besser erkennen können. Denn bei Gesundheitsinformationen ist es sehr wichtig, dass es eine seriöse Quelle ist. Viele Informationen sind veraltet, werblich oder im schlimmsten Falle falsch. Gute Informationen findet man bei Krankenkassen, der Verbraucherzentrale, Bundesministerien oder gut recherchiertem Artikeln seriöser Zeitungen. Wer es wissenschaftlicher mag, kann bei „PubMed-NCBI“ Studien einsehen. Man muss wachsam und kritisch googeln. Problematisch ist, wenn man als Hypochonder ein Symptom googelt – jede Seite muss, um sich abzusichern, auch die potenziell schlimmste Diagnose erwähnen, etwa dass auch ein bösartiger Tumor hinter dem Symptom stecken könnte. Ängstliche Menschen werden dann zum „Cyberchonder“ und sollten also besser nicht im Internet nach Hilfe suchen. Gute Informationen kann man auch beim Hausarzt erfragen.

Wie finde ich einen guten Arzt?

Ärzte sind natürlich auch nur Menschen und haben einen bestimmten Charakter. Ein chaotischer, aber sympathischer Arzt ist vielleicht ein guter Mediziner, passt aber nicht zu einem Patienten, der sehr korrekt ist und gerne verlässliche Regeln vorfindet. Ich finde es immer gut, wenn man sich bei der Arztsuche im Freundeskreis nach Empfehlungen umhört. Freunde haben meist ähnliche Wertvorstellungen und wenn sie sich bei einem Mediziner wohlfühlen, ist die Chance hoch, dass ich mich dort auch gut behandelt fühle. Arztbewertungsportale halte ich für keinen guten Ratgeber, denn sie sind nicht durchweg ehrlich. Man kann sich Bewertungen erbitten oder erkaufen und unfaire Kritik kommt eher von vielleicht grundsätzlich frustrierten Persönlichkeiten. Der Hausarzt ist immer eine gute Adresse – wenn er einen Kollegen oder eine Kollegin empfehlen kann, gibt es schon einen Vertrauensvorschuss. Deshalb sollte man sich schon in guten Zeiten einen Hausarzt suchen, um das in schlechten Zeiten zu nutzen.

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Was, wenn ich wirklich schwer krank bin und schnell medizinische Hilfe brauche?

Hier zahlt sich wiederum aus, wenn man ein gutes Verhältnis zu seinem Hausarzt hat. Er kennt sicherlich Fachärzte und kann bei einer schweren Krankheit Kollegen empfehlen. Bei Krebserkrankungen gibt es eine Patientenhotline des Deutschen Krebsforschungszentrums. Dort kann man erfragen wer eine gute Expertise hat. Auch die Krankenkassen können helfen.  Über die Nummer 116117 sollte man unkompliziert einen Termin beim Facharzt organisiert bekommen – das klappt jedoch leider nicht immer. In Notfällen hilft die Notaufnahme.

Sollte ich bei schweren Krankheiten eine Begleitung mit zum Arzt nehmen?

Eine dritte Person im Bunde kann sehr hilfreich sein. Ist jemand schwer erkrankt, hat er Angst und kann die Informationen nicht so gut oder schnell erfassen. Dann ist es sinnvoll, wenn ein Freund oder Verwandter dabei ist, der mithört und Fragen stellen kann. Auch im Krankenhaus ist es gut, wenn immer auch Familienangehörige vorbeikommen und zeigen, dass noch jemand da ist, der für die Interessen einsteht und jemand, der den Kranken auch emotional stärkt. 

Frau Adler, vielen Dank für das Gespräch.    

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