Das richtige MaßWarum es viele Männer im mittleren Alter mit dem Laufen übertreiben

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Marathon-Läufer Getty Images

Das Ziel sollte eher kein Marathon sein. Auch zu großer Ehrgeiz beim Joggen kann gefährlich werden. 

  • Die meisten von uns bewegen sich zu wenig. Dabei ist Sport wichtig für die Gesundheit, das weiß eigentlich jeder.
  • Viele Menschen, vor allem im mittleren Alter, beginnen deshalb mit dem Joggen. Und das ist auch erstmal gut. Nicht wenige übertreiben es jedoch schnell.
  • Bis zu zwei Drittel der Jogger laufen mit zu hoher Belastung. Und das kann gefährlich werden. Wie man das richtige Maß findet.

Dass Joggen gesund ist, wissen die meisten – und verzichten trotzdem auf Bewegung. Doch das ist nicht der einzige Fehler, den viele beim Thema Laufen machen. Denn so überraschend es auch klingen mag: Auch zu großer Ehrgeiz beim Joggen kann gefährlich werden. Das ist besonders bei älteren Läufern problematisch. Und Joggen ist ein Sport, den Menschen vor allem ab dem  mittleren Alter betreiben. Das belegen etwa auch die Zahlen vom Kölner Marathon: Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag dort in den letzten Jahren zwischen 42 und 44 Jahren.

Es gibt viele alarmierende Studien, die sich mit den Risiken übermäßigen Laufens auseinandersetzen. Zum Beispiel eine Erhebung der AOK, die zu dem Ergebnis kommt, dass zwei Drittel aller Jogger in einer Intensität laufen, die ihre Gesundheit gefährdet oder zumindest beeinträchtigt. Im Umkehrschluss bedeutet das: Lediglich ein Drittel steuert die Belastung so, dass damit der Gesundheit ein guter Dienst erwiesen wird. In einer anderen Studie wurde die Sterblichkeitsrate unter Joggern getestet. Der erschreckende Befund: die Zahlen unterschieden sich kaum zwischen der Gruppe der Nicht-Jogger und der Gruppe der „exzessiven“ Jogger.

Joggen ist das Paleo unter den Sportarten

Dabei ist Joggen Trend. Extrem viele Menschen tun es, auch weil es so wenig dazu braucht. Die größte Hürde ist die Türschwelle, die mit Laufschuhen an den Füßen überschritten werden muss. Es braucht keine Anmeldung im Sportverein oder Fitnessstudio, keine komplizierten Regeln. Dazu ist das Biotop des Joggens der Sehnsuchtsort der Deutschen schlechthin: der Wald. Und wer kein Wald vor der Tür hat, dem reicht auch ein Feldweg oder ein Park. Viel natürlicher geht es kaum. Joggen ist das Paleo unter den Sportarten.

Doch die Gefahren sind groß, wenn man es falsch angeht – besonders für Menschen jenseits der 50. Bei einem hohen Pensum (ab 50 Kilometern in der Woche) werden die Gelenke extrem beansprucht, vor allem die Knie- und Hüftgelenke. Dazu legen Forschungen nahe, dass gerade bei Männern, die es mit dem Training übertreiben,  die Gefahr von Vorhofflimmern um das Fünffache ansteigt. Das kann zum Schlaganfall führen.

„Menschen verlieren den Respekt vor einem Marathon"

Tatsächlich sehen einige Männer im Joggen mehr als nur eine körperliche Ertüchtigung und Krankheitsprävention. Joggen ist auch eine Möglichkeit seine öffentliche Reputation zu pflegen – im Wettkampf. Und das machen Männer offenkundig besonders gerne. Nur 25 Prozent der Teilnehmer an Volksläufen sind Frauen.

„Es liegt die Vermutung nahe, dass ein für Zuschauer offener Marathon auch der Versuch ist, sein Sozialkapital zu steigern“, sagt Sportphilosoph Tobias Arenz. Aus gesundheitlicher Sicht bestehen nämlich große Bedenken. „Ich empfehle auf einen Marathon zu trainieren, aber nur einen Halbmarathon zu laufen“, sagt der Kölner Sportmediziner Hans-Georg Predel. Im Jahr 2015 zählte der Deutsche Leichtathletik-Verband immerhin 3500 Laufveranstaltungen mit über zwei Millionen Teilnehmern – die Zahl steigt stetig. Im Jahr 1997 gab es gerade einmal 2885 Läufe. „Immer mehr Menschen verlieren den Respekt vor einem Marathon. Die 42,195 Kilometer zu schaffen ist eigentlich eine außergewöhnliche Leistung“, sagt Predel. Doch sehr viele Menschen wollen genau das – etwas schaffen, was eigentlich nicht geht. „Das Messen körperlicher Kräfte ist tief in uns verwurzelt“, sagt der Sportmediziner. Die Gefahren für den Körper steigen besonders ab dem 20. Kilometer, also dann, wenn noch nicht mal die Hälfte eines Marathons absolviert ist.

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Einen Marathon sollten laut Predel nur Menschen laufen, die ihre Tauglichkeit ärztlich abgesichert haben und sich mit einem Trainingsplan systematisch vorbereiten. „Gesundheit und Sport sind zwei eigenständige Systeme“, sagt Sportphilosoph Arenz. „Moderner Wettkampfsport lebt von der Gesundheit als Voraussetzung. Er war noch nie darauf ausgelegt, die Gesundheit zu verbessern.“

Bis zu zweieinhalb Stunden Joggen pro Woche sind gesund

Bei allem Alarmismus gilt aber, dass Joggen in einem moderatem Tempo und wohl dosiertem Maß (bis zu zweieinhalb Stunden in der Woche, verteilt auf zwei bis drei Einheiten) eine sehr gute Möglichkeit ist, seinem Körper etwas Gutes zu tun. Eine aktuelle Studie aus Australien, die im „British Journal of Sports Medicine“ erschienen ist, sollte jedem Mut machen. Rund 230.000 Erwachsene beobachteten die Forscher bis zu 35 Jahre lang. Der Befund: Auch chronische Bewegungsmuffel profitieren unmittelbar, wenn sie mit dem Joggen anfangen. Das Risiko eines vorzeitigen Todes sinkt. „Jedes Mal joggen gehen, auch wenn es nur einmal die Woche ist, ist besser als nicht zu joggen“, sagen die Autoren. Aber auch sie sind überzeugt: „Eine höhere Dosis führt in unserer Studie nicht zu einer stärkeren Senkung der Sterblichkeit und ist deshalb nicht zwangsläufig besser für die Gesundheit.“

Joggen als Wettkampf ist kein gesundes Ausdauertraining

Vielleicht ist die Erklärung auch wesentlich profaner, warum Jogger es bisweilen übertreiben mit ihrem Ehrgeiz. Es liegt am Outfit. Funktionshose, Schweißbänder, mobile Trinkflasche – damit assoziieren die meisten wohl eher Auspowern, Zähne zusammenbeißen und sich mit letzter Kraft über die Ziellinie schleppen – im Prinzip Wettkampf pur, kein gesundes Ausdauertraining. Doch das kann sich jeder zunutze machen. Wanderklamotten sind des Rivalisierens gänzlich unverdächtig. Wer sie anzieht, lässt es automatisch etwas gemütlicher angehen – und trainiert trotzdem Herz und Kreislauf, schont Knochen, Gelenke, Sehnen und Bänder und baut Stresshormone ab. Das gilt im Übrigen für alle Generationen und Geschlechter.

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