Depressionen, Reizdarm, SerotoninWie der Darm unsere Psyche beeinflusst

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Darm und Hirn sind eng verknüpft.

  • In unserer Serie „Gesund durchs Jahr” widmen wir uns in jedem Monat einem anderen Themenbereich.
  • Im Monat September dreht sich alles um unseren Darm.
  • In dieser Folge erklären wir, wieso der Darm eng mit unserer psychischen Gesundheit zusammehängt.

Köln – Erst in den letzten Jahren haben Forscherinnen und Forscher verstanden, wie eng Gehirn und Darm wirklich miteinander verknüpft sind. Über den Nervus Vagus, einen Strang zwischen Bauch und Gehirn, tauschen sie Signale und Informationen aus. Der Darm ist unsere „Glücksstation“: 95 Prozent des Botenstoffs Serotonin im Körper sind im Darm verortet und dort aktiv. Auch Dopamin gibt es nicht nur im Gehirn, sondern auch im Darm.

Dass wir „Schmetterlinge im Bauch haben", auf „unser Bauchgefühl hören" oder uns „flau im Magen" ist, hängt mit dieser ständigen Interaktion zusammen. Das enterische Nervensystem – so nennt man das Nervensystem im Bauch – beeinflusst unsere Stimmung. Bauch und Kopf sind sich anatomisch enorm ähnlich: Die Rezeptoren und Nerven im Darm finden sich in unserem Körper nur im Gehirn wieder. Etwa 200 Millionen Nervenzellen durchlaufen den Darm, die zweithäufigste Ansammlung in unserem Körper. Signale die zwischen Bauch und Hirn gesendet werden – oder eben ausbleiben – können dazu führen, dass wir unsere Umwelt anders wahrnehmen und z. B. die Fähigkeit beeinflussen positiv zu denken.

Ärztin warnt vor zu einfachen Schlüssen

Die neuen Erkenntnisse verleiten Medien und Wissenschaft dazu, im Darm den Schlüssel für Depressionen und andere psychische Erkrankungen zu suchen. Dr. Viola Andresen, Internistin am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg, warnt davor, zu schnelle und einfache Schlüsse zu ziehen: „Vor allem zu den Bakterien in unserem Darm wird aktuell viel geforscht. Aber Zusammenhänge und eindeutige Ursachen für Erkrankungen sind meist nicht eindeutig belegt.“ Sicher sei aber, dass der Darm viele Funktionen erfüllt, die grundlegend für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden sind.

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Mit unserer Serie „Gesund durchs Jahr“ legen wir den Schwerpunkt ganz auf Ihre Gesundheit. Jeden Monat gibt es dazu ein Schwerpunktthema, zu dem jede Woche ein neuer Artikel erscheint. Im  September dreht sich alles um das Thema Darm.

Viola Andresen ist Spezialistin für das Reizdarmsyndrom. Patientinnen und Patienten mit dieser Erkrankung behandelt sie nach einem multimodalen Therapieansatz. Das heißt, dass neben Medikamenten oder Ernährungstherapien auch psychotherapeutische Ansätze Teil der Behandlung sein können. „Ich bin doch nicht depressiv, sondern habe etwas mit dem Darm“, sei oftmals die erste Reaktion von Patienten auf den Vorschlag, auch psychotherapeutisch zu behandeln, so Andresen. Doch die Verbindung zwischen Psyche und Darm könne beim Reizdarmsyndrom eine Rolle spielen. Beispielsweise neigen Menschen mit einer Somatisierungstendenz, die also sehr sensibel und aufmerksam für körperliche Beschwerden sind, stärker zu chronischen Krankheiten. Bei Reizdarmpatienten kann eine Psychotherapie besser wirken als ein Magen-Darm-Medikament.

Reizdarmpatienten oft von psychischen Erkrankungen betroffen

Dass es eine Verbindung zwischen Darm und Hirn gibt, kann jeder nachvollziehen, der vor Prüfungen schon einmal unter Durchfall und flauem Magen gelitten hat. Bei Studien an Mäusen stellte man fest, dass die Immunzellen im Hirn nur funktionieren, wenn der Darm bestimmte Stoffe für sie produziert. Man entnahm den Tieren die Darmbakterien – mit fatalen Folgen für das Immunsystem im Hirn: Gehirn und Darm scheinen aufeinander angewiesen zu sein.

Die Produktion von „Glücksbotenstoffen" wie Serotonin und Dopamin findet zum größten Teil in unserem Darm statt. Ist diese Produktion gestört, kann sich das auf unser Wohlbefinden niederschlagen. Nach Studienlage sind etwa 20 bis 30 Prozent der Reizdarmpatienten von Depressionen und Angststörungen betroffen. „Das sind komplexe Zusammenhänge. Kausalketten sind nur schwer herzuleiten", so die Ärztin. Was zuerst da war – das Reizdarmsyndrom oder beispielsweise eine Angststörung – lasse sich nur schwer nachvollziehen.

Therapieansätze für Alzheimer und Parkinson im Mikrobiom?

Auch bei Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer und Adipositas vermutet man inzwischen einen Zusammenhang mit dem Darm. Im Mikrobiom – der riesigen Ansammlung von Bakterien, Pilzen und Viren in unserem Darm – soll der Schlüssel zu neuen Behandlungsansätzen liegen. Die Forschung zum Mikrobiom nennt Andresen einen „wahnsinnigen Hype". Man stehe noch ganz am Anfang des Versuchs, das Mikrobiom zu verstehen. „Weil das heute technisch möglich ist, untersuchen plötzlich alle gewaltige Datenmengen. Auf einmal macht jeder Untersuchungen am Mikrobiom. Das ist gerade schick. Aber da ist noch viel Kaffeesatzleserei dabei", so Andresen.

Was man weiß, ist, dass Menschen bereits vor der Geburt von den Darmbakterien der Mutter beeinflusst werden. Das haben Studien Ende vergangenen Jahres ergeben. Über die Plazenta werden Botenstoffe von den Darmbakterien auf das Kind übertragen. Das beeinflusst die Reifung des Immunsystems. Auch die Ernährung ist in den ersten Lebensjahren enorm wichtig, da sie Einfluss auf das Mikrobiom nimmt, welches sich in den ersten ein bis drei Lebensjahren ausbildet.

Belegt ist auch, dass Menschen davon profitieren, wenn sie möglichst viele verschiedene Arten von Bakterien im Darm haben. Die Forschung dazu, ob mit Hilfe von Stoffen aus dem Darm auch Krankheiten wie Morbus Crohn geheilt werden können, läuft. Untersuchungen zeigen, dass beispielsweise Menschen mit Multiple Sklerose eine geringere Vielfalt an Darmbakterien haben als gesunde Menschen. „Eine große Diversität im Darm ist gut. Ein eng gefasstes Mikrobiom dagegen weniger", so Andresen.

Darmforschung ist extrem teuer und langwierig 

Der Grund: Jede Art an Bakterien – es soll bis zu 1000 verschiedene geben – übernimmt andere Aufgaben. Unsere nützlichen Darmbakterien wehren Krankheiten ab, entgiften unseren Körper, sorgen dafür, dass bestimmte Medikamente wirken und sind an der Bildung von Botenstoffen beteiligt. Sie produzieren kurzkettige Fettsäuren, die im Körper entzündungshemmend wirken. Sie filtern Nährstoffe aus der Nahrung und den Flüssigkeiten, die wir zu uns nehmen, die über die Darmschleimhaut in unseren Blutkreislauf zurückgeführt werden.

In der Darmforschung habe man eine Datenmenge von Millionen von Keimen vor sich, erklärt Andresen. Dies zu erforschen, sei extrem teuer und langwierig. Von den Pilzen in unserem Darm seien bislang die wenigsten bekannt. „Darmbakterien werden meist nicht direkt vor Ort im Darm untersucht, sondern über den Stuhl. Das Mikrobiom, das direkt an der Darmwand anhaftet oder das am Anfang des Dickdarms sitzt, ist aber mindestens ebenso relevant wie das im Stuhl. Bisher ist dieses aber kaum untersucht, was die Ergebnisse von Studien verfälscht", so Andresen. Der Artenreichtum und die genetische Vielfalt in unserem Darm sei noch lange nicht erfasst.

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