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Expertin zu Fakten und Vorurteilen„Linkshänder denken anders als Rechtshänder“

Lesezeit 5 Minuten
Linkshänder schreibt mit links

Linkshänder werden nicht mehr umerzogen.

Köln/ München – Michelangelo malte mit links, und auch Isaac Newton zog seine linke Hand der rechten vor. Ebenso Johann Wolfgang von Goethe, Marie Curie, Barack Obama: alle Linkshänder. Und die Liste ließe sich problemlos fortsetzen. Dabei ist nur rund jeder zehnte Mensch Linkshänder. Neun von zehn Menschen präferieren die rechte Hand, wenn es um handschriftliches Schreiben und andere feinmotorische Prozesse geht. 

Lange galten Linkshänder daher als Exoten. Musisch begabt und außerordentlich kreativ sollen sie sein, diese Linkshänder – dafür aber im Alltag ungeschickt und tollpatschig. Heute weiß man: alles nur Klischees. Und auch, dass die sogenannte „Händigkeit“, also welche Hand bevorzugt wird, von der Natur vorgegeben ist. In der Regel zeigt sich das im Kindergartenalter.

Linkshänder sollen besonders kreativ sein

Oft werden Linkshändern bestimmte Eigenschaften – positive wie schlechte – zugeschrieben. Zum Beispiel sollen Linkshänder besonders kreativ sein. Stimmt das? Dr. Barbara Sattler, Gründerin und Leiterin der „Ersten deutschen Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder“ sieht solche Verallgemeinerungen kritisch. „Erst einmal muss definiert werden, was Kreativität bedeutet. Ich würde es so ausdrücken: Linkshänder denken sicherlich anders als Rechtshänder – in manchen Nuancen, die sehr schwer zu fassen sind.“

Was Links- und Rechtshänder im Denken unterscheidet: „Linkshänder gehen ganzheitliche Wege, beziehen viel mehr Dinge mit ein und kommen auch an anderen Gedanken vorbei – stärker als Rechtshänder.“ Sattler warnt aber auch davor, der Händigkeit zu viel Einfluss zuzusprechen. „Man darf jedoch nicht vergessen, dass wir nicht nur Links-oder Rechtshänder sind, sondern uns als denkende Person viel mehr Dinge ausmachen und definieren als die Händigkeit.“ Sattler hat im Laufe ihrer Forschung, das Zentrum gründete sie in den 1980er Jahren, zahlreiche Bücher und Ratgeberschriften auf diesem Gebiet veröffentlicht und ist selbst Linkshänderin.

Linkshänder wurden als etwas Unnormales empfunden, etwas, dass man anpassen muss

Im allgemeinen Sprachgebrauch kommen Linkshänder nicht gut weg: „Link sein“, „linke Hände haben“, „gelinkt werden“ – alle Ausdrücke haben negative Konnotationen. Auf der anderen Seite „geht etwas mit rechten Dingen zu“ oder man trägt das Herz am „rechten Fleck“. Im Englischen ist das Wort „right“ zweideutig und bedeutet „rechts“ und „richtig“. 

Ein problematischer Umgang mit Sprache, der direkte Auswirkungen auf den Alltag von Linkshändern hat, findet Sattler: „Der Sprachgebrauch spiegelt wieder, wie die Gesellschaft Linkshänder sieht – nämlich als etwas Unnormales. Sie lehnte in der Vergangenheit den Linkshänder als problematisch ab, als etwas, was man umschulen, anpassen muss. Auch wenn es davon wenig Zeugnisse gibt, wissen wir, dass Linkshänder immer als etwas anderes empfunden wurden und oft mit negativen Assoziationen verbunden sind.“

Christliche Liturgie prägt unsere Gesellschaft bis heute

Den Ursprung dieser negativen Konnotation sieht Sattler unter Anderem in der christlichen Liturgie, die unsere Gesellschaft auch heute noch prägt – ohne dass wir uns darüber bewusst sind. „Schon die linke und die rechte Seite sind in der christlichen Liturgie sehr unterschiedlich behandelt worden. Die linke Seite ist die negative, abgewertete. Dort sind Teufel, Unglaube und im Kirchengebäude oftmals der Norden. Außerdem sitzen traditionell dort die Frauen.“ Auf der anderen Seite, im Süden des Kirchengebäudes, also auf der rechten Seite, sitzen die Männer. „Mit der rechten Seite wird der Heilige Geist, das ewig kontemplative Leben verbunden.“ Diese alten liturgischen Vorurteile seien bis in die Kunst und in unser alltägliches Leben übergegangen, so Sattler.

Umerziehung von Linkshändern hat den Betroffenen immensen Schaden zugefügt

Früher hat man Linkshänder umgeschult, sie lernten, mit der rechten, der „schönen Hand“ zu schreiben. Doch heute weiß man: Umschulen sollte man Linkshänder auf keinen Fall. Sonst drohten seelische und neurologische Störungen. So führen manche das Stottern des britischen Königs Georg VI. auch darauf zurück, dass der Linkshänder als Kind umgeschult wurde. „Es können verschiedene Schwierigkeiten auftreten. Manche umgeschulten Menschen haben mit Primär-Folgen wie Konzentrationsstörungen zu kämpfen. Oft ist es so, dass der umgeschulte Linkshänder mehr Einsatz bringen muss als andere – das heißt, es findet eine massive konstante Überanstrengung statt. Damit es gerade so klappt, müssen sich umgeschulte Linkshänder sehr stark einbringen und mehr leisten als andere.“

Linkshänder stoßen in einer Welt von Rechtshändern auf Probleme im Alltag

Das zeigt sich oft auch in den kleinen Dingen des Alltags: In einer Welt von Rechtshändern sind die meisten Gebrauchsgegenstände auch von vornherein auf diese ausgelegt. Linkshänder haben – oft auch unterbewusst – spezielle Techniken entwickelt, um diese Gebrauchsgegenstände trotzdem benutzen zu können und das „Manko“ der Händigkeit zu kompensieren. „Ich dachte mein Leben lang, ich sei zu doof, eine Dose zu öffnen oder eine Weinflasche zu entkorken. Bis ich schließlich lernte, dass es spezielle Öffner und Korkenzieher für Linkshänder gibt“, so eine Linkshänderin aus ihrem Alltag.

Inzwischen gibt es viele Produkte, die speziell auf Linkshänder ausgelegt sind. „Das ist sehr sinnvoll“, bestätigt Sattler. Die Produktpalette ist breit: Scheren für Linkshänder, Haushaltsprodukte wie Kartoffelschäler, Dosenöffner, Korkenzieher. Brotmesser für Linkshänder haben beispielsweise einen anderen Schliff und bei Eisportionierern wird die Kugel zur anderen Seite herausdrückt. Für Kinder gibt es Füller, Spitzer und spezielle Schreibtischauflagen, mit denen das Kind eine gute Schreibhaltung lernt. Das ist besonders bei Linkshändern wichtig, damit man das Geschriebene nicht verwischt oder beim Schreiben die richtige Blattlage einübt. 

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Eltern von Linkshändern sollten Kinder nicht direkt darauf ansprechen

Was, wenn sich ein Kind so gar nicht für eine Hand entscheiden möchte? Dann sollten Eltern ihr Kind beim Malen und Basteln beobachten und auf gar keinen Fall beeinflussen, welche Hand es bevorzugen soll. Wenn sich keine dominante Hand herauskristallisiert, sollte mit Hilfe eines Experten die Händigkeit festgestellt werden. „Dann sollten Eltern dem Kind alle Produkte bereitstellen, die es braucht. Das sollte aber indirekt und als Angebot passieren.“ Das Kind direkt darauf ansprechen, welche Hand es bevorzugt, hält Sattler für wenig zielführend, eher störend. „Dann reagieren viele Kinder genervt, fühlen sich unter Umständen stigmatisiert oder als etwas Besonderes. In jedem Fall aber werden sie beeinflusst, von dem, was die Erwachsenen sagen.“ Kinder wollten zuerst einmal nicht auffallen und wollen ganz normal behandelt werden.

Eltern, die unsicher sind, ob ihr Kind Rechts- oder Linkshänder ist, sollten diese noch vor der Einschulung einer zertifizierten Linkshänder-Beraterin vorstellen. An solchen Anlaufstellen können Experten mit einer sogenannten Händigkeitsdiagnose genau feststellen, welche Hand die dominante ist.

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