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FahrangstWas Menschen hilft, die Angst vorm Autofahren haben

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Ein traumatisches Erlebnis oder mangelnde Fahrpraxis können zu Fahrangst führen.

Köln – Irgendwann sah sich Katja Schmitz nur noch als Gefahr. Für sich selbst und für die anderen. Kaum saß sie auf dem Fahrersitz, fing sie an zu schwitzen und bekam einen hochroten Kopf. Ihr Beifahrer, dem das Auto gehörte, trommelte nervös mit den Fingern auf den Sitz und fürchtete um seinen Lack. Die heute 39-Jährige fuhr erst ungern Auto und dann gar nicht mehr. Wie mehrere zehntausend Menschen in Deutschland, die laut Schätzungen unter Fahrangst leiden.

„Die Ursachen sind unterschiedlich“, sagt Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino vom ADAC. „Es kann ein traumatisches Erlebnis wie ein Unfall sein, das Ausmalen von Worst-Case-Szenarien oder die Angst, andere zu gefährden.“ Auch Dauerstress oder fehlende Fahrpraxis können Gründe sein. Oft ist – wie bei vielen Angststörungen – eine Kombination aus mehreren Faktoren ursächlich. Und – wie bei vielen Angststörungen – spricht im Autoland Deutschland niemand gerne über diese Angst. Deshalb sind die beiden Betroffenen in diesem Text anonymisiert und heißen eigentlich anders. Sie wollen nicht, dass der Arbeitgeber und die Kollegen und Kolleginnen von ihren Schwierigkeiten erfahren.

Die Frauenfahrschule ist auf ängstliche Fahrerinnen spezialisiert

Schmitz war besonders vom Verkehrsgeschehen an sich überfordert, erzählt sie am Telefon. „Ich bin auch keine geübte Fahrradfahrerin, habe den Großstadtverkehr immer von außen bestaunt und nicht verstanden, wie daraus ein geordnetes Geschehen wird.“ Sie machte ihren Führerschein mit 18 Jahren im verkehrstechnisch beschaulichen Wuppertal, lebte danach in verschiedenen Großstädten und benutzte dort nur Bus und Bahn. Bis Schmitz vor einigen Monaten einen neuen Job beim TÜV Rheinland anfängt und klar wird: Jetzt muss sie Auto fahren. In Köln.

Hilfe bekommt sie in der Frauenfahrschule von Ursula Georg. Die Kölner Fahrlehrerin und ihr rein weibliches Team haben sich seit 30 Jahren auf Angsthasen spezialisiert, beziehungsweise Angsthäsinnen. Ihre Hauptzielgruppe: Frauen, die sich nicht trauen. Ruft man an, erreicht man Ursula Georg – natürlich – im Auto. Das Angebot der Fahrlehrerin musste wegen der Corona-Pandemie lange ruhen, nun ist die Nachfrage riesengroß. Viele hätten gerade in den letzten Monaten den Wunsch gehabt, wegen der Ansteckungsgefahr nicht mehr auf den ÖPNV angewiesen zu sein.

Gegen Fahrangst hilft nur üben

Manche ihrer Kundinnen sind 30 Jahren nicht gefahren, weil immer der Partner am Steuer saß, erzählt Georg. Manche haben den Führerschein erst vor ein paar Jahren gemacht, fühlten sich aber nie wirklich sicher. Grundsätzlich können auch Männer in ihre spezielle Fahrschule kommen. Tun sie aber kaum, sagt sie. Das Klischee besagt immer noch: Frauen können nicht einparken. Und Männer müssen am Steuer alles können.

Neben normalen Fahrstunden gibt es in der Frauenfahrschule Kleingruppen-Treffen, bei denen die Teilnehmerinnen offen über ihre Angst sprechen. Auch eine Auffrischung der Theorie bietet Ursula Georg an. Doch in ihren Augen ist die Fahrpraxis das Entscheidende. „Keine Frau kommt zu mir, weil sie Angst vor der Straßenverkehrsordnung hat“, ruft Ursula Georg in die Freisprechanlage. „Sondern vor dem Verkehr.“ Im Gespräch mit ihr wird auch klar, das gegen Fahrangst nur eins hilft: üben. Frontaltherapie mit unangenehmen Verkehrssituationen wie dichtem Verkehr, engen Baustellen oder dunklen Tunneln. Wollen die Betroffenen nicht zu einem Fahrlehrer, könne auch ein nicht aus der Ruhe zu bringender Beifahrer helfen. Jemand, der nicht zusammenzuckt oder nervös wird, wenn es mal eng aussieht.

Bei Panikattacken kann ein Psychologe oder Therapeut helfen

Katja Schmitz fuhr mit Ursula Georg stundenlang die Venloer Straße in Köln-Ehrenfeld hoch und runter. Die enge Straße mit zu kleiner Radspur, fast durchgehendem Parkstreifen am Rande und vielen Menschen war lange ihr persönlicher Albtraum. Währenddessen unterhielten sie sich über alles Mögliche, Katja Schmitz muss sich aufs Gespräch und das Gedränge auf der Straße konzentrieren.

So vermeiden Sie Stress beim Autofahren

Zeitmanagement

Autofahrten sollten gut geplant sein. Fahren Sie nicht auf den letzten Drücker los und bauen Sie einen Zeitpuffer ein. In Navigations-Apps lässt sich vor der Fahrt noch einmal checken, wo gerade Stau ist und wenn nötig, eine Alternativroute raussuchen. Bei längeren Fahrten sollten Sie immer Pausen einkalkulieren – und auch wirklich machen.

Ärgern Sie sich nicht, wenn Sie doch in einen Stau geraten. Durchatmen und gelassen bleiben! Nutzen Sie die Zeit für sich und hören ein Hörbuch oder singen die Musik im Radio mit. Oder machen Sie Entspannungsübungen. Zum Beispiel atmen nach der 4-6-8-Methode: Beim Einatmen bis 4 zählen, Luft anhalten und bis 6 zählen, beim Ausatmen bis 8 zählen.

Besseres Miteinander

Ein guter Fahrer und eine gute Fahrerin lässt sich nicht von anderen Verkehrsteilnehmern aus der Ruhe bringen. Versuchen Sie sich in die anderen hineinzuversetzen und sehen Sie Fahrrad-, Motor- oder andere Autofahrer nicht als Gegner. Suchen Sie Blickkontakt, bedanken Sie sich, wenn Sie jemand vorlässt und entschuldigen Sie sich für Fehler mit einer versöhnlichen Geste.

Auch Chiellino vom ADAC empfiehlt Ängstlichen Auffrischungskurse und Fahrsicherheitstraining. „Es ist wichtig, sich der Fahrangst bewusst zu werden und sich ihr zu stellen“, sagt der Psychologe. Angsttagebücher könnten helfen. Unterhaltungen sowie Atem- und Muskelentspannungsübungen während der Fahrt lindern die Nervosität. Bei Angststörungen, die sich in Panikattacken hinterm Steuer äußern, sei der Weg zu einem Verkehrspsychologen oder Therapeuten unverzichtbar.

Angstort Autobahn

Ein Ort, den fast alle ängstlichen Fahrerinnen und Fahrer hassen, ist die Autobahn. So war es auch bei Mark Tholen, der früher jeden Tag über die A4 von Köln nach Aachen pendelte. Die Lkw, die auf der rechten Spur entlang donnerten, machten ihm täglich mehr Sorgen. Weil sie so riesig waren, im Vergleich zum eigenen Auto, und ein guter Freund genau auf dieser Strecke einen Unfall hatte. Damals kam ein Lkw-Fahrer von der Spur ab, touchierte das Auto seines Freundes und schob es quer vor den Lkw. Der Fahrer bemerkte nichts. Erst nachdem ein anderer Verkehrsteilnehmer ihn darauf aufmerksam machte, hielt er an. „Meinem Freund ist nichts passiert, nur das Auto war ein Totalschaden“, erinnert sich Mark Tholen fast 20 Jahre später. „Er hat sich am nächsten Tag wieder hinters Steuer gesetzt – und ich habe die Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommen.“

Mark Tholen bekommt Panik auf der Strecke, fährt erst nur noch innerhalb Kölns. Dann nur noch, wenn er unbedingt muss, und genau wie Katja Schmitz dann sehr lange gar nicht mehr. „Die Angst hinterm Steuer kann sich mit der Zeit steigern und sich von bestimmten Situationen, wie einem Tunnel oder einer Brücke auf andere, unspezifische Orte übertragen“, sagt Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino dazu.

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„Gerade das Auffahren auf die Autobahn ist für zögerliche Fahrer ein Problem“, bestätigt Ursula Georg. „Sie geben viel zu wenig Gas und können sich nicht in den laufenden Verkehr einfädeln.“ Auch Katja Schmitz, die mittlerweile „sehr gerne“ die Venloer Straße hin und her fährt und sich auf jede Fahrstunde freut, hat dabei noch ein mulmiges Gefühl. Trotzdem kauft sie sich bald ein eigenes Auto. Und auch Mark Tholen, der nach einem Jobwechsel einen Dienstwagen fahren musste, hat mithilfe eines geduldigen Fahrlehrers seine Angst überwunden.

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