Frage des TagesLeben wir in einer Ellenbogengesellschaft?

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Immer mehr Deutsche leiden unter Freizeitstress. (Symbolbild)

  • Den 30- bis 59-Jährigen in Deutschland geht es nach eigenem Empfinden gut – aber ihr Blick auf die Gesellschaft ist pessimistisch.
  • Außerdem leiden immer mehr Menschen unter Freizeitstress.
  • Im Juli haben 1103 Personen an der Studie „Generation Mitte“ teilgenommen, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Ihre Antworten beunruhigen, weil viele eine wachsende Aggressivität feststellen.
  • Erleben Sie Ihre Umgebung auch als zunehmend egoistisch?

Berlin – Eine „seltsame Diskrepanz“ stellt Renate Köcher vom Allensbach-Institut fest: Die 30- bis 59-Jährigen in Deutschland beurteilen ihre eigene wirtschaftliche Lage immer besser. Sie blicken aber auch immer kritischer auf die Gesellschaft, in der sie leben. Dies zeigt die Studie „Generation Mitte“.

Wachsender Wohlstand

44 Prozent der Befragten sagen, dass es ihnen wirtschaftlich besser gehe als vor fünf Jahren. Nur 16 Prozent gehe es schlechter. Es ist das höchste Ergebnis, das in sieben Jahren der Generations-Studie gemessen wurde. Die restlichen Antworten beschreiben die Vision einer Gesellschaft Orwellschen Ausmaßes. 66 Prozent der mittleren Generation empfinden Deutschland als Ellenbogengesellschaft, im Osten sind es mehr als drei Viertel. 81 Prozent beobachten eine steigende Aggressivität. 73 Prozent einen steigenden Egoismus. 68 Prozent eine steigende Fremdenfeindlichkeit. Nur ein Prozent beschreiben den sozialen Zusammenhalt als „sehr stark“, 17 Prozent als „eher stark“.

Gespaltenes Land

Die Befragten beschreiben ein gespaltenes Land. Nach sozialer Schicht, nach Einkommen, nach Geschlecht. Auch die politische Einstellung wird hierbei immer bedeutsamer. 59 Prozent der 30- bis 59-Jährigen empfinden sie als Spaltungskriterium. In Ostdeutschland sind es sogar 67 Prozent. Folgt man der Studie, driften ganze Bevölkerungsschichten auseinander. Und die „Generation Mitte“ ist nicht irgendeine Randgruppe. Sie stellt 70 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland und erwirtschaftet 80 Prozent der steuerpflichtigen Einkünfte.

Angst vor dem Abrutschen

Die Studie beschreibt aber auch ein Land, das Angst vor dem Abrutschen hat. Nur 24 Prozent der Befragten glauben, dass die deutsche Wirtschaft ihre „starke Position“ in den nächsten Jahren verteidigen kann. Zudem glauben 44 Prozent, dass ihre finanzielle Absicherung im Alter nicht ausreichen wird. Bei denjenigen mit niedrigem sozioökonomischen Status sind es sogar zwei Drittel.

Unwissen über die Rente

Außerdem wissen die wenigsten, wie hoch ihre Rente einmal sein wird. „Da ist überhaupt keine Vorstellung da, wie viel man denn investieren müsste“, sagt Köcher. Die Menschen wissen wenig über die Rente. Sie gehen aber davon aus, dass sie eh knapp wird. Also tun sie wenig für die Rente und sie wird knapp. Daraus entspringt das Gefühl eines Mangels, einer sozialen Benachteiligung. Es gilt als Nährboden für Populismus und Rechtsextremismus.

Deutsche haben immer mehr Freizeitstress

Die Deutschen haben laut einer Studie immer mehr Stress in ihrer Freizeit. In dem am Donnerstag in Hamburg vorgestellten „Freizeit-Monitor 2019“ der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen gaben 58 Prozent der Befragten an, sich in ihrer Freizeit zu viel vorzunehmen.

Besonders Jugendliche, junge Erwachsene und Singles sprängen von einer Aktivität zur nächsten, wollten überall dabei sein und sich möglichst nichts entgehen lassen, so die Autoren der repräsentativen Untersuchung. „Mehr tun in gleicher Zeit“, sei das Motto. Laut der Studie verbringen die Bundesbürger ihre Freizeit immer mehr online. Die Beliebtheit des Chattens, Spielens oder Surfens mit dem Mobiltelefon habe sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt. 57 der Befragten gaben an, das Smartphone für solche Aktivitäten zu nutzen. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis die digitalen Medien Spitzenplätze in der Freizeitgestaltung erreichen, hieß es.

Derzeit seien Fernsehen (94 Prozent), Radiohören (88 Prozent) und das Telefonieren von zu Hause (87 Prozent) die Top-Freizeitaktivitäten der Deutschen, so die Studie. (kna)

Warnsignale

Was passiert, wenn dann auch noch eine Rezession kommt, lässt sich in den USA beobachten. Eben jene Enttäuschten waren es, die Donald Trump zum Präsidenten gewählt haben. Ähnliches lässt sich ebenso bereits in Sachsen und Brandenburg beobachten. Dass die AfD dort bei den Landtagswahlen so punkten konnte, liegt auch an einem regionalen Benachteiligungsgefühl. Die Trennung zwischen Ost und West wird in der „Generation Mitte“-Studie ebenso wie jene zwischen den einzelnen Regionen gerade von den Ostdeutschen deutlich stärker wahrgenommen.

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Befindlichkeit

„Diese Aggressivitätsphänomene nehmen zu, ich vermute auch durch die Erhöhung der Schlagzahl in der Gesellschaft“, sagt Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach. „Viele sagen, der Zeitdruck wird deutlich höher.“

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