Frauenspezifische Risiken„Die Medizinforschung ist männerfixiert"

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Neue Medikamente werden immer noch überwiegend an Männern getestet.

  • Professorin Vera Regitz-Zagrosek hat an der Berliner Charité die deutschlandweit einzige Professur für Frauenspezifische Gesundheitsforschung inne.
  • Sie beklagt, dass das Geschlecht als Faktor in der Medizin lange gar nicht thematisiert. Dabei verlaufen viele Erkrankungen bei Frauen anders.
  • Viele Medikamente müssten für Frauen anders dosiert werden.

Frau Professor Regitz-Zagrosek, Sie haben in einem Interview einmal gesagt, dass man in der Medizin nicht davon ausgehen dürfe, dass Frauen kleine Männer sind. Wie haben Sie das gemeint?

Dass Frauenkörper sich eben nicht nur in der Größe, sondern bei ganz vielen Faktoren von Männern unterscheiden. Zum Beispiel beim Stoffwechsel und den Hormonen. Das hat einen großen Einfluss auf die Behandlungsmethoden und die Wirksamkeit von Medikamenten. Arzneimittel, die überwiegend an Männern getestet werden, können bei Frauen stärkere Nebenwirkungen haben.

Woher kommt diese Ungleichbehandlung?

Die ist historisch bedingt. Lange wurde das Geschlecht als Faktor in der Medizin gar nicht thematisiert, beziehungsweise nur auf die Geschlechtsorgane bezogen. Das ist aber falsch, denn die männlichen und weiblichen Chromosomen geben vor, dass bei Mann und Frau unterschiedliche Hormone produziert werden. Diese haben Auswirkungen auf alle Organe. Hinzu kommt, dass man Frauen lange die intellektuelle Fähigkeit abgesprochen hat, Ärztinnen zu werden. Und Männer hatten kein Interesse daran, sich mit den spezifischen Geschlechtsunterschieden zu beschäftigen. 

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Prof. Dr. Regitz-Zagrosek

Welche Krankheiten verlaufen denn bei Frauen anders als bei Männern?

Zum Beispiel stressinduzierte Herzerkrankungen wie ein Herzinfarkt. Besonders bei jüngeren Frauen unter 50 Jahren ist das Risiko an einem Herzinfarkt zu sterben deutlich höher als bei gleichaltrigen Männern. Frauen haben oft nicht den typisch drückenden Schmerz, der vom Herzen ausgeht, sondern andere Symptome wie Übelkeit, Schwäche und Schmerzen im Oberbauch. Deshalb wird die Erkrankung immer noch – von Arzt und Patientin – nicht rechtzeitig erkannt. Auch Rheuma und Depressionen verlaufen bei Frauen anders. Außerdem gibt es auch Krankheiten, die bei Frauen generell häufiger auftreten. Sie haben zum Beispiel hormonell bedingt ein doppelt so hohes Risiko wie Männer, an Osteoporose zu erkranken. Osteoporose ist eines der wenigen Krankheitsbilder, das überwiegend an Frauen erforscht wird.

Viele Implantate und Prothesen passen Frauen nicht 

Bei welchen Krankheiten brauchen Frauen andere Behandlungsmethoden?

Ergebnisse einer Studie legen nahe, dass wichtige Herzkreislauf-Medikamente bei Frauen anders dosiert werden müssen. Bei vielen Medikamenten-Dosis-Empfehlungen werden nicht einmal die Körpergröße und das Gewicht berücksichtigt. Da wird dann einfach eine Pille pro Tag verschrieben, deren Wirkstoff eigentlich für einen Mann mit einem  Gewicht von 75 Kilo kalkuliert wurde. Große Probleme sind auch Implantate und Prothesen, zum Beispiel für das Knie, die für Männer konzipiert werden und bei Frauen nicht hundert Prozent passen.

Wie sensibilisieren Sie für dieses Thema?

Wir gehen den Weg über die Patientinnen. Wir informieren darüber, dass die medizinische Forschung oft noch sehr männerfixiert ist und Frauen eine andere Diagnostik und Behandlung brauchen. Das sollen die Frauen bei ihren Hausärzten thematisieren und aktiv Informationen einfordern: Wurde mein Medikament auch ausreichend an Frauen getestet? Welche Erfahrungen hat der Arzt mit einer bestimmten Behandlungsmethode bei Patientinnen gemacht? Unsere Erfahrung zeigt, dass das im Behandlungszimmer nur besprochen wird, wenn die Patientin das auch aktiv einfordert.

Forschen Sie auch zu den Unterschieden zwischen Ärztinnen und Ärzten?

Wir selbst nicht, aber es gibt diverse wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Unterschieden. Eine Studie zeigt, dass Ärztinnen effektiver Diabetes bei beiden Geschlechtern behandeln. Es zeigte sich, dass sie erhöhten Blutzucker besser senken als ihre männlichen Kollegen. Eine andere Studie aus Florida legt nahe, dass Frauen, die wegen eines Herzinfarktes auf der Intensivstation behandelt wurden, eine schlechtere Überlebenschance haben, wenn sie von einem Mann behandelt werden. Das könnte eben daran liegen, dass die männlichen Ärzte zu wenig über die unterschiedlichen Krankheitsverläufe wissen.

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