HaptikforscherWarum Berührungen im Alltag wichtig sind – und uns so sehr fehlen

Lesezeit 6 Minuten
Neuer Inhalt

Sich endlich mal wieder unbeschwert in den zu Armen liegen, danach sehnen sich viele während der Coronakrise.

  • Kein Händeschütteln, keine Umarmung – neben vielen großem Entsagen während der Coronakrise, sind es auch die kleinen Dinge, die unendlich fehlen.
  • Aber warum ist das eigentlich so? Und was macht es mit uns, wenn im Alltag viel weniger Berührungen stattfinden, durch Masken auch weniger Mimik zu sehen ist?
  • Wir haben mit Professor Martin Grunwald darüber gesprochen, der als Haptikforscher untersucht, wie sich Berührungen auf den Menschen auswirken und warum sie so essentiell sind.

Köln – Ein Klopfen auf die Schulter, eine Umarmung, ein Händeschütteln – Berührungen sind für den Menschen essentiell. Doch durch die Maßnahmen der Corona-Pandemie sind es genau diese Berührungen von Freunden, Bekannten oder auch einem Fremden, auf die wir verzichten müssen. Der Haptikforscher Professor Martin Grunwald leitet das das Haptik-Labor am Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung an der Universität Leipzig. Im Interview erklärt er, was der Verzicht von Körperkontakt mit uns macht und warum wir uns so oft selbst ins Gesicht fassen.

Warum tun uns Berührungen überhaupt so gut? Martin Grunwald: Durch Berührungsreize werden eine ganze Reihe von biochemischen Prozessen in unserem Körper ausgelöst. Ein Effekt davon: Wir empfinden mehr positive Emotionen, haben weniger Angst und fühlen uns mit dem Menschen, der uns berührt hat, verbundener. Durch Berührungen können wir ganz ohne Nebenwirkungen entspannen und angstfrei sein – das funktioniert durch keinen anderen Sinnesreiz so schnell und effektiv. In gewisser Weise wird durch adäquate Berührungen auf biochemischer Ebene eine „hauseigene Apotheke“ geöffnet. Vorausgesetzt die Berührungsreize sind angemessen – also nicht zu leicht und nicht zu fest, vom richtigen Menschen, am richtigen Ort und an der richtigen Körperstelle.

Woher weiß unser Gehirn um die emotionale Bedeutung einer Berührung? Grunwald: Das menschliche Miteinander besteht aus Beziehungen – wir haben mit Menschen sehr innige Verbindungen bis hin zu keiner Verbindung. Haben wir eine enge Beziehung wirken innige Umarmungen schneller. Bei Fremden hingegen wirken Berührungen auf uns nicht immer positiv, sondern sorgen mitunter für Angst und lösen den Fluchtreflex aus. Es macht also einen Unterschied, ob Sie beispielsweise ihr Redaktionsleiter oder ihr Partner am Arm berührt. Die Beziehung entscheidet darüber, welche biochemischen Prozesse im Körper durch eine Berührung ausgelöst werden. Je näher uns eine Person steht, umso stärker wirkt sich ihre Berührung auf uns positiv aus.

Nur wenige Studien, wie die Experimente des Wissenschaftlers Harry Harlow an Affen oder die umstrittene Langzeitstudie „Bucharest Early Intervention Project“ zeigen uns, dass Berührungen für die Entwicklung von Säuglingen und Kindern essentiell sind. Doch wie ist es bei Erwachsenen? Woher wissen wir, wie wichtig Berührungen für uns sind?

Grunwald: Das ist eine gute Frage – der Kosmos oder die Magie der Körperberührungen für Erwachsene erschließt sich mitunter dadurch, dass Erwachsene zu Menschen eher eine gute und stabile Bindung aufbauen können, wenn ein Mindestmaß an Berührungsreizen transportiert werden kann. Das hat nichts mit Sexualität zu tun – auch mit engen Freunden tauschen wir innige Berührungen aus – Umarmungen, Begrüßungsrituale oder tröstendes Verhalten. Wir senden körperliche Signale aus.

Nehmen wir diese Berührung weg, verändert es die Beziehung zu dem Menschen. Berührungen stabilisieren Beziehungen ein Leben lang. Der Berührungsreiz ist ein sozialer Kitt, weil er eine biochemische Reaktion für psychische Bindungen auslöst. Auch das Immunsystem profitiert – der körperlich agierende Mensch hat ein stabileres Immunsystem, als jemand, der alleine lebt und kaum berührt wird.

Zum Weiterlesen

In seinem Buch „Homo Hapticus” geht Martin Grunwald der Frage nach, warum der Tastsinn für uns so wichtig ist. Die Wissenslektüre ist bei Droemer Knaur erschienen und ist für 12,99 Euro erhältlich. (Foto: Droemer Knaur)

Was passiert, wenn wir durch die Kontaktsperre in der Coronakrise nicht oder seltener berührt werden? Trifft es alleinlebende Singles besonders hart? Grunwald: Das verunsichert die Menschen zunächst. Wer durch diese Krise so gut wie kontakt- und berührungslos geworden ist, kann besonders stark geschädigt werden. Bei sehr verletzlichen Personen kann es sogar zu leichten bis mittelschweren Depressionen führen. Man darf nicht vergessen, dass wir als „Säugetier Mensch“ einfach körperkommunikative Lebewesen sind. Körperkontakt gehört zum Kommunikationsverhalten unserer Spezies dazu. Wenn wir dies alles unterdrücken müssen, fehlt ein wichtiger Kanal, um uns miteinander wohl zu fühlen.

Um meine erwachsenen Töchter trotz der Kontaktsperre noch umarmen zu können, habe ich mir eine Lösung einfallen lassen – ich werfe mir ein großes Lacken über den Körper und durch dieses Lacken kann ich meine Töchter umarmen. Es ermöglicht die normale Körperinteraktion bei der Begrüßung und Verabschiedung. Das sieht zwar etwas komisch aus und ich ähnle einem Gespenst, aber mir und den Kindern ist diese Berührung wichtig.

Was ist mit kurzen Berührungen im Alltag, die jetzt ausbleiben? Grunwald:  Fallen die kleinen Berührungen im Alltag weg, verschlechtert es die Vertrauensbildung unter den Menschen. Ein Handschlag beispielsweise ist zwar nur eine kurze Berührung, sie gehört für uns aber dazu. Wir brauchen die Information aus einem Händeschütteln – ist die Hand warm oder kalt, der Druck stark oder schwach, die Hand feucht, weil jemand aufgeregt ist? Diese Informationen fallen bei einem Verzicht weg. Kennen wir unser Gegenüber kaum, bleibt er uns ohne Berührung doppelt fremd. Das ist eine ganz unnatürliche Situation für unsere Kultur. Für uns sind es Einschränkungen im Kommunikationsverhalten und das wirkt sich auf unsere Beziehungen aus. Insbesondere zu fremden Menschen. Auf Dauer wäre das schlichtweg eine Katastrophe.

Eigentlich soll man sich selbst am besten nicht ins Gesicht fassen, um das Risiko für eine Covid-19-Infektion zu minimieren. Hat das auch einen Einfluss und schaffen wir es überhaupt? Grunwald: Wir fassen uns zwischen 400 und 800 Mal am Tag ins Gesicht. Diese kleinen, kurzen Berührungsreize dienen dazu, Stress zu reduzieren. In unserem Alltag werden wir durch Informationen von außen ständig abgelenkt und es werden teils auch negative Gefühle ausgelöst. Um unseren Stresspegel zu senken, löst unser Gehirn Selbstberührungen aus. Das ist ein Automatismus, ein unbewusster Vorgang, dagegen kann man kaum etwas machen. Viel besser ist es, sich häufig die Hände zu waschen, dann sind die unvermeidlichen Selbstberührungen nicht mehr so relevant.

Immer mehr Menschen tragen beim Einkauf eine Maske oder einen Mund-Nasen-Schutz, wodurch die Mimik eingeschränkt ist. Man kann auch niemanden mehr anlächeln. Hat das auch einen negativen Einfluss auf uns? Grunwald: Wenn man auf der kommunikativen Ebene diese Maßnahmen analysiert, werden wichtige Kommunikationskanäle derzeit lahm gelegt. Letztendlich folgt aus solchen Maßnahmen sicherlich ein gewisses Unwohlsein. Es ist eine Einschränkung, wir sind irritiert und tun uns schwer damit. Besser ist es deswegen, sich darauf zu fokussieren, dass diese Maßnahmen zeitlich endlich sind und wir uns auf eine Zeit ohne Maske und mit Berührungen freuen können.

Momentan können wir unsere Freunde oder unsere Angehörigen nicht treffen und berühren. Können Video-Telefonate etwas ersetzen? Grunwald: Es gibt keinen adäquaten Ersatz für die analoge, dreidimensionale Welt. Es ist aber schon immer besser gewesen seine Angehörigen und Freunde, die fern sind, wenigstens zu hören oder per Video-Chat zu sehen, als gar keinen Kontakt zu Ihnen zu haben. Es ist ein kleiner Ersatz, wenn auch kein hundertprozentiger.

Das könnte Sie auch interessieren:

Zusammengefasst gefragt: Weniger Berührungen, wir bekommen weniger Gestik und Mimik von anderen Menschen zu sehen – was macht es mit uns, wenn wir voneinander fernbleiben müssen? Grunwald: Es fällt uns schwer und wenn so ein Zustand über mehrere Monate hinaus reichen würde, ist es zumindest wahrscheinlich, dass bei einigen Menschen die die psychische und körperliche Verfasstheit darunter leidet. Das heißt die stark eingeschränkten Kommunikationskanäle können bei besonders vulnerablen Menschen sowohl psychische als auch psychosomatische Störungen verursachen. Ganz sicher. Gerade bei Kindern muss man jetzt sehr aufpassen. Sie brauchen adäquate Berührungen in besonderem Maße. Sie werden hinreichend irritiert, wenn ihre Eltern ihnen mit Masken und Gummihandschuhen begegnen oder Eltern und Erzieherinnen versuchen , möglichst ohne Körperkontakt auszukommen.

Herr Grunwald, vielen Dank für das Gespräch.

Rundschau abonnieren