Nach herben RückschlagNeue Hoffnung in der Alzheimerforschung

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Alzheimer Forschung

Alzheimer ist eine komplexe Krankheit.

  • In naher Zukunft wird kein wirksames Mittel gegen Alzheimer-Demenz zur Verfügung stehen.
  • Nachdem vielversprechende Therapieansätze gescheitert sind, kommen neue Ideen ins Spiel – ein Überblick.

Köln – Das Unternehmen Biogen teilte im März mit, dass es zwei klinische Studien zu einem viel beachteten Wirkstoff mit sofortiger Wirkung einstellt. Ein schwerer Schlag für die Alzheimerforschung. Es bestehe keine Aussicht auf Erfolg. Der Antikörper Aducanumab bremse den Abbau der Geisteskraft nicht wie erhofft, hieß es zur Begründung.

Bereits in den Jahren zuvor waren etliche klinische Studien wegen mangelnder Wirksamkeit von Wirkstoff-Kandidaten abgebrochen worden. Alle Studien hatten eines gemeinsam: Sie testeten Substanzen, die an dem Eiweiß Amyloid-beta (Abeta) ansetzen. Ein Molekül, das sich im Gehirn von Alzheimerpatienten in Form sogenannter Plaques ablagert. Diese gelten als Kennzeichen der Demenzerkrankung.

Die Grundidee: Verhindert man die Ablagerung oder räumt abgelagerte Abeta-Eiweiße weg, lässt sich die Erkrankung verhindern oder stoppen. Antikörper wie Aducanumab sollten die Eiweißstrukturen erkennen und angreifen – nach dem Prinzip einer passiven Impfung, bei der Antikörper gegen Bestandteile von Krankheitserregern verabreicht werden.

Abwehrzellen im Gehirn

Das sollte den geistigen Verfall aufhalten. „Man hat große Hoffnungen in diese Studien gesetzt“, berichtet Hans-Ulrich Demuth vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) in Leipzig. Doch es klappte nicht.

Problematisch am jüngsten Scheitern von Wirkstoff-Kandidaten ist nicht allein die Tatsache, dass nun auch in naher Zukunft kein wirksames Mittel gegen Alzheimer-Demenz zur Verfügung steht. Viele Wissenschaftler fragen sich, ob sie in den vergangenen Jahren mit der Konzentration auf Abeta überhaupt richtig lagen.

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„Die Untersuchungen, die wir jetzt haben, deuten zumindest darauf hin, dass die Impfung gegen die Abeta-Eiweiße in bestimmten Phasen der Erkrankung nicht wirksam ist“, sagt Alzheimerforscher Michael Heneka, Direktor der Klinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie der Universität Bonn. Womöglich stellt sich der Schock nach dem Scheitern aber als heilsam heraus. Denn nun können alte Forschungsansätze überdacht und neue getestet werden. Michael Heneka beobachtet eine neue Offenheit in der Forscherszene. Der Mediziner, der am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) die Forschungsgruppe Neuroinflammation leitet, befasst sich seit Mitte der 90er-Jahre mit der Bedeutung von entzündlichen Prozessen bei der Alzheimererkrankung.

Heneka und sein Team untersuchen unter anderem, welche Rolle die angeborene Immunität im Krankheitsprozess spielt, einem wichtigen Teil des Abwehrsystems. Im Gehirn wird diese Form der Immunität durch sogenannte Mikroglia-Zellen vermittelt. „Wir haben einen Mechanismus identifiziert, der sich möglicherweise für die Entwicklung einer Intervention nutzen lässt“, berichtet Heneka. Die Forscher wollen die Mikroglia dazu bringen, auf die Ablagerung von Amyloid-beta nicht mehr pro-entzündlich zu reagieren, sondern sich weiterhin um die umgebenden Nervenzellen zu kümmern und die Amyloid-Ablagerungen tatsächlich abzuräumen. „Das alles sind Eigenschaften, die im Verlauf der Erkrankung verloren gehen“, erläutert der Bonner Experte.

Neue Therapieansätze

Abeta, das Protein, das in den gescheiterten Studien von Antikörpern attackiert wurde, ist als Ansatzpunkt für einen Wirkstoff aber nicht völlig aus dem Rennen. „Es gibt neue Ansätze der Antikörpertherapie“, sagt Fraunhofer-Forscher Demuth. In einer schwedischen Studie werde derzeit ein Antikörper getestet, der in einer Untersuchung eine Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit gezeigt habe. „Das ist jetzt die große Hoffnung im Abeta-Feld“, ergänzt er.

Demuth gründete 1997 das biopharmazeutische Unternehmen Probiodrug mit, das heute Vivoryon Therapeutics heißt und an der Entwicklung von Alzheimermedikamenten arbeitet. Die Wissenschaftler zeigten damals, dass es eine Untergruppe von Abeta-Proteinen gibt, die Nervenzellen schädigen und bei der Alzheimererkrankung eine herausragende Rolle spielen. Seit seinem Wechsel ans Fraunhofer-Institut begleitet Demuth die Erforschung eines Wirkstoffs bei Vivoryon, der sich gegen diese toxischen Abeta-Varianten richtet und derzeit in einer Studie getestet wird.

Diese spezielle Abeta-Form entsteht durch das Enzym Glutaminylzyklase, das im Gehirn von erkrankten Patienten in hoher Menge gebildet wird, erläutert Vivoryon-Vorstandschef Ulrich Dauer. „Indem wir das Enzym hemmen, verhindern wir die Entstehung der toxischen Abeta-Variante.“ Aus Studien sei bekannt, dass das Auftreten der toxischen Variante mit dem Auftreten der Krankheitssymptome zusammenhängt.

In einer Pilotstudie der Phase IIa, in der primär die Sicherheit eines Wirkstoffes geprüft wird, untersuchten die Forscher ihren Hemmstoff drei Monate lang an 120 Patienten.

PQ912, so der Name der Substanz, erwies sich als sicher. Zudem beobachteten die Forscher, dass sich die kognitiven Funktionen der Patienten, in diesem Fall die Gedächtnisleistungen, verbesserten. Der Wirkstoff soll nun in größeren Studien genauer geprüft werden.

Geplant ist, ab dem zweiten Quartal des kommenden Jahres 460 Patienten aus den USA und Kanada mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder leichter Alzheimer-Demenz für die Studie zu gewinnen. Für insgesamt 18 Monate bekäme eine Hälfte ein Scheinmedikament, die andere PQ912. Auch in Europa sei eine vergleichbare Studie mit 250 Patienten geplant. Einen weiteren Ansatzpunkt für die Entwicklung eines Therapeutikums bieten die Tau-Proteine. Diese Eiweiße sind Bestandteile des Zellskeletts.

Nach dem gegenwärtigen Verständnis sind es die Abeta-Eiweiße, die den neurodegenerativen Prozess anstoßen, während die Tau-Proteine die ausführenden Elemente sind: Sie zerstören letztendlich die Nervenzellen. Antikörper gegen Varianten der Tau-Proteine sollen den Krankheitsprozess an dieser Stelle stoppen.

An Ideen und Forschungsansätzen mangelt es also nicht. Quasi täglich erscheinen in Fachmagazinen Artikel mit neuen Ergebnissen zu Alzheimerforschungsprojekten und möglichen Ansatzpunkten für die Medikamentensuche. Etwa 80 klinische Studien der fortgeschrittenen Phase III laufen laut Studienregister der EU derzeit in Europa und dem Europäischen Wirtschaftsraum.

Der Bonner Forscher Heneka ist überzeugt, dass es ohnehin in Zukunft kein einzelnes Medikament zur Alzheimer-Prävention oder -therapie geben wird. „Wir werden versuchen müssen, unterschiedliche Krankheitsmechanismen zum gleichen Zeitpunkt zu beeinflussen.“

Verlauf in Etappen

Er vergleicht die Erkrankung mit einem Staffellauf, bei dem unterschiedliche Mechanismen aufeinander aufbauen. „Wenn der erste Läufer seine Runde beendet und den Stab weitergegeben hat, dann können Sie an dem rumfeilen, wie Sie wollen. Das wird den Ausgang des Rennens nicht mehr beeinflussen.“ Impfungen gegen Abeta – den vielleicht ersten Läufer im Rennen –kämen vermutlich zu spät, wenn bereits der zweite Läufer übernommen habe, also etwa das Immunsystem bereits aktiviert sei. Erschwerend komme hinzu, dass sich die Erkrankung in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns in unterschiedlichen Stadien befinden könne – auch das müsse berücksichtigt werden.

„Das grundsätzliche Problem ist, dass man zwar die pathologischen Merkmale kennt, also die Abeta-Plaques, die Tau-Plaques, die Neuroinflammation. Die Zusammenhänge zwischen diesen drei Kennzeichen hat man aber noch nicht verstanden“, bestätigt Vivoryon-Chef Dauer. Nach dem jüngsten Scheitern der Abeta-Studien dürfe man sich nun nicht einfach auf das nächste Ziel stürzen.

Auf die Bedeutung weiterer Grundlagenforschung verweist auch Demuth. Er ist dennoch zuversichtlich, dass es in den kommenden Jahren entscheidende Fortschritte bei der Suche nach einem Medikament geben wird – und sieht die Rückschläge der Vergangenheit gelassen: „Ohne die Fehlschläge und ohne die Sackgassen, die sich da aufgetan haben, wären wir nie da, wo wir heute sind.“ Er sieht Licht am Ende des Tunnels. (dpa/fwt)  

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