Psychologin erklärtStändiger Alarmzustand – das passiert bei Stress im Körper

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Beim einen äußert sich Stress zuerst etwa mit einem verspannten Nacken, beim anderen mit Kopfschmerzen.

  • Ob wir eine Situation als stressig empfinden, hängt von unseren individuellen Erfahrungen ab, erklärt Psychologin Sabine König im Interview.
  • Sie erklärt außerdem, welche Anzeichen auf chronischen Stress hindeuten und was mögliche Folgen sind.
  • Und: So werden wir weniger anfällig für Stress und das können wir tun, wenn der Druck sich doch wieder nicht vermeiden lässt.

Köln – Wir stehen im Stau und wissen nicht, ob wir es rechtzeitig zu einem wichtigen Termin schaffen. Der Rechner schmiert ab und die Arbeit eines halben Tages geht verloren. Heute ist die Präsentation vor dem Chef und dem halben Büro und wir werden schon beim Gedanken daran nervös. Es gibt Situationen, die Stress auslösen – aber nicht bei jedem und vor allem nicht bei jedem in gleicher Weise.

Warum ist das so? Und was passiert überhaupt im Körper, wenn wir gestresst sind? Das hat uns Psychologin Sabine König von der Techniker Krankenkasse erklärt.

Welche Situationen versetzen uns heute typischerweise in Stress?

Sabine König: Laut TK-Stressstudie (2016) sind die Arbeit und die hohen Ansprüche an uns selbst die zwei größten Stressfaktoren. So sind wir beispielsweise gestresst durch Zeitdruck, Konflikte oder wenn wir uns mit einer Aufgabe konfrontiert sehen, der wir uns nicht gewachsen fühlen. Aber auch die Teilnahme am Straßenverkehr oder zu viele Termine in der Freizeit können uns stressen.

Stresssituationen sind aber sehr subjektiv: Für einige Menschen ist Sprechen vor Publikum eine ausgesprochen starke Stress-Situation. Andere hingegen sehen dies als tolle Gelegenheit, sich zu präsentieren.

Wovon hängt es ab, ob wir eine Situation als „stressig“ wahrnehmen?

König: Von unseren individuellen Erfahrungen. Haben wir in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, einer Situation gewachsen zu sein, ist es sehr wahrscheinlich, dass wir die aktuelle Situation als bewältigbar einschätzen. Wenn wir uns allerdings mit einer Herausforderung konfrontiert sehen, der wir uns nicht gewachsen fühlen, führt dies automatisch zu Stress. 

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Was passiert denn – vereinfacht gesagt – mit dem Körper, wenn wir Stress erleben?

König: Unser Körper wird dabei durch das autonome Nervensystem in Alarmbereitschaft gesetzt und es werden verschiedene Hormone ausgeschüttet, etwa Cortisol und Adrenalin. Diese Hormone lassen den Blutdruck und die Muskelspannung steigen, Energiereserven werden mobilisiert und Atmung und Herzfrequenz werden schneller. Die Verdauung dagegen wird herunterreguliert.

Die Stressreaktion ist ein komplexer biologischer Mechanismus, der seit vielen Generationen in unserem Körper angelegt ist, um uns vor Gefahren zu schützen. Dieser Mechanismus war in der Lebensrealität unserer Vorfahren ein wichtiger Überlebensvorteil, da er uns für eine Kampf- oder Fluchtreaktionen vorbereitet hat.

Und heute? Ist das immer noch ein Vorteil für uns?

Die Stressfaktoren, denen der Mensch heutzutage ausgesetzt ist, haben sich extrem verändert. Auch Langeweile kann Stress auslösen. Die Stressreaktion, die unseren Körper in Alarmbereitschaft setzt, hat sich hingegen nicht verändert und hilft in vielen heutigen Situationen nicht weiter.

Warum müssen viele erstmal auf Toilette, wenn sie nach der Arbeit heimkommen? Hat das auch mit Stress zu tun?

König: Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass die Verdauung heruntergefahren wird, wenn wir gestresst sind. Der Körper versucht, Energie zu sparen. Wer gerade im Kampf- oder Fluchtmodus ist, möchte sich nicht unbedingt in diesem Moment erleichtern.

Wenn wir hingegen nach Hause kommen, können diese Umgebungsreize Entspannung signalisieren und damit veranlassen, dass auch die Verdauungstätigkeit wieder hochgefahren wird und der Harndrang einsetzt.

Welche Anzeichen verraten uns, dass jemand gerade unter Stress steht?

König: Gereiztheit oder schlechte Laune können erste Zeichen dafür sein. Es ist vor allem gut, seine eigenen Anzeichen von Stress früh zu erkennen, damit man rechtzeitig gegensteuern kann. Bei dem einen ist das eine angespannte Nackenmuskulatur, jemand anderes verspürt vielleicht eher einen Druck in der Magengegend oder Kopfschmerzen.

Ab wann wird Stress gefährlich oder chronisch?

König: Für den Körper ist es wichtig, dass er sich nach einer Stress-Situation wieder entspannen kann. Wenn wir jedoch dauerhaft in Alarmbereitschaft sind, kann dies zu einem chronischen Erschöpfungszustand führen: Wir sind häufig nervös oder gereizt, ärgern uns über Kleinigkeiten, leiden unter Muskelverspannungen und schlafen schlechter. Wir können uns schlechter konzentrieren und sind nicht mehr so leistungsfähig. Das setzt uns noch weiter unter Druck, sodass hier ein Teufelskreis entstehen kann.

Weitere Folgen von zu viel Stress sind Bluthochdruck, Magengeschwüre und eine allgemeine Schwächung des Immunsystems. Dauerhafter Stress geht auch auf die Psyche, bis hin zu Ängsten und Depressionen.

Kann man lernen, „stressresistent“ zu werden oder wenigstens besser mit Stresssituationen umzugehen?

König: Zum einen kann man an den Stressauslösern ansetzen: Man kann lernen, seine Zeit besser zu planen und einzuteilen, Prioritäten zu setzen, sich besser abzugrenzen und eigene Werte und Ziele stärker zu verfolgen.

Oft entsteht Stress auch aus Anforderungen, die wir an uns selbst stellen: Wir wollen es jedem recht machen oder haben perfektionistische Vorstellungen davon, wie wir eine Aufgabe erledigen müssen.

Diese „inneren Antreiber“ haben ihre Ursprünge in unserer Kindheit. Es kann sich lohnen, sie zu überprüfen und in Frage zu stellen. Ist die Stressreaktion schon in Gang, können wir mit Entspannungstechniken wie der Progressiven Muskelentspannung oder dem Autogenen Training gegensteuern.

Was wären Ihre Erste-Hilfe-Tipps? Hilft „tief durchatmen“ tatsächlich? 

König: Tief durchzuatmen ist tatsächlich eine der einfachsten und schnell wirksamen Methoden, um die Stressreaktion abzumildern. Wenn wir es schaffen, ruhig zu atmen, hat das automatisch einen Einfluss auf unser autonomes Nervensystem und damit auf die Stressreaktion. 

Eine weitere Möglichkeit: Distanzieren Sie sich von der Situation und fragen Sie sich, wie Sie diese in fünf Jahren einordnen würden. Wird sie immer noch dieselbe Bedeutung für Sie haben? Was könnte im schlimmsten Fall wirklich passieren?

Lenken Sie sich ab und fokussieren Sie Ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes. Schauen Sie beispielsweise bewusst aus dem Fenster: Was können sie dort alles entdecken? Sich in Katastrophenszenarien hineinzusteigern, verstärkt die Stressreaktion meist nur.

Nehmen Sie eine positive Sichtweise ein. Überlegen Sie: Was habe ich schon alles erreicht? Welche Chancen bringt die Situation mit sich? Wie wird es sich anfühlen, wenn ich sie gemeistert habe?

„Stress“ ist meist negativ konnotiert. Kann Stress auch gut für uns sein?

König: Natürlich, ein Leben ohne Stress wäre ganz schön eintönig. Wären wir immer nur entspannt, hätten wir wohl keine Motivation für eine Aufgabe oder ein Ziel die entsprechende Anstrengungsbereitschaft aufzubringen. In gesundem Maße erhöht Stress die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. Die bereitgestellte Energie kann uns zu Höchstleistungen bringen.

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