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Schlaf-Forscher erklärtWarum wir tagsüber ständig müde sind und abends plötzlich fit

Lesezeit 4 Minuten
Frau sitzt schlaflos im Bett imago

Schlafmangel ist es meist nicht: Der Schlafforscher erklärt, warum wir tagsüber müde sind, aber abends fit werden.

Morgens ist man einfach nur hundemüde statt ausgeschlafen, nicht mal der starke Kaffee im Büro bringt einen richtig auf Trab. Noch schlimmer wird es nach der Mittagspause, die man in der Kantine mit einer Currywurst und Pommes verbracht hat. Am Nachmittag bereitet es schon höchste Anstrengung, die Augen offen zuhalten – von Konzentration keine Spur. Doch sobald wir die Arbeit hinter uns lassen, abends nach Hause kommen und uns eigentlich ausruhen könnten, drehen wir auf. Plötzlich sind wir fit, fühlen uns wach und haben jede Menge Energie.

Über dieses Phänomen haben wir mit dem Psychologen Dr. Hans-Günter Weeß gesprochen. Der Psychotherapeut ist Leiter des Schlafzentrums des Pfalzklinikums und hat bereits ein Buch zum Thema Schlaf geschrieben: „Die schlaflose Gesellschaft: Wege zu erholsamem Schlaf und mehr Leistungsvermögen“. 

Herr Dr. Weeß, warum bin ich den ganzen Tag müde und abends plötzlich fit?

Dr. Hans-Günter Weeß: Wenn wir nicht genügend Schlaf haben, dann kommen wir morgens schwerer aus dem Bett, schlechter in die Gänge. Hinzu kommt, dass wenn wir im Alltag weniger Stimuli, das heißt anregende Dinge oder Aufgaben haben, werden wir müde. Abends hingegen machen wir dann die Dinge, die wir spannend und aufregend finden und mit Engagement erledigen. Wenn eine persönliche Bindung und Motivation dabei ist, wirkt das anregend und antriebssteigernd, wir bauen Anspannung auf – und darum fühlen wir uns wacher. Im Gegensatz dazu wirkt die Entspannung, wenn wir weniger Stimuli haben und wir uns weniger gefordert fühlen, einschläfernd und macht uns müde, lustlos und antriebslos. Die Antwort auf diese Frage hat also eher mit unserem psychischen Befinden zu tun, statt mit Schlafmangel oder der Erholsamkeit des Schlafes oder auch der Chronobiologie des Menschen.

Heißt das also, dass ich mich in meinem Job unterfordert fühle?

Weeß: Wenn wir auf der Arbeit tagsüber müde werden, liegt das hauptsächlich an der Monotonie: Wenn jemand in seinem Job sehr viel sitzt, keine Bewegung bekommt oder wenn man Routineaufgaben erledigt. Abends wird es für die meisten abwechslungsreicher. Wir unternehmen Dinge, die uns interessieren, wir laufen herum und bringen das Herz-Kreislauf-System in Wallung.

Wann sind wir am leistungsfähigsten?

Weeß: Grundsätzlich ist der Mensch, je nachdem ob er eine Lerche oder eine Eule ist, am Morgen nach dem Aufstehen am leistungsfähigsten und am wachsten. Für die Lerche – also den Frühaufsteher, der auch zeitig ins Bett geht – kommt dieses Leistungshoch eher, für die Eule – den Langschläfer, der später ins Bett geht – dann eher später am späteren Vormittag. Beide kommen am frühen oder am fortgeschrittenen Nachmittag in ein Leistungstief. Das ist umso ausgeprägter, je mehr wir uns erschöpfen. Das tun wir beispielsweise durch schwere Mahlzeiten in der Mittagspause. Wenn man weniger und gesünder isst, ist das Mittagstief nicht ganz so ausgeprägt. Danach bauen wir wiederum ein Hoch auf, das bis in die frühen Abendstunden anhalten kann. Die Lerche wird am Abend schnell müde, wird gegen 20 oder 21 Uhr die Schlafmütze aufsetzen und sich ins Bett verabschieden, während die Eule dann erst noch einmal richtig wach wird.

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Kann ich von einer Lerche zu einer Eule werden – und umgekehrt?

Weeß: Nein. In der Pubertät legen wir uns fest, welcher Chronotyp wir sind. Vor der Pubertät sind wir alle Lerchen. Das wissen Eltern kleiner Kinder besonders gut, wenn ihre Kinder auch am Wochenende morgens um 6 Uhr fit sind und bespaßt werden wollen. Mit der Pubertät werden wir alle sehr „eulig“. Egal ob wir Lerchen oder Eulen sind, wir verlagern uns nach hinten bis wir um die 25 Jahre alt sind. Wir bleiben unserem Chronotyp ein Leben lang treu und können ihn auch nicht modifizieren. Allerdings tendieren wir ab dem 25. Lebensjahr ganz langsam bis hin zum 60. oder 70. Lebensjahr wieder nach vorne. Die Eule ist mit 70 nicht mehr so spät dran wie mit 35, aber noch immer später als eine Lerche.

Also könnte sich ein Langschläfer selbiges auch nicht wirklich abtrainieren?

Weeß: Nein, man kann aus einer Eule keine Lerche machen. Eine Eule, die um 6 oder 7 Uhr auf der Arbeit sein muss, kommt zwar damit klar, doch man macht sie damit nicht glücklich. Diese Eule wird über die Woche hinweg viel Schlafmangel ansammeln und man nimmt ihr ein Stück Lebensqualität – weil sie ihren biologischen Rhythmus nicht ausleben darf.

Was bedeutet „ausreichend Schlaf“? Wie viele Stunden Schlaf braucht man pro Nacht?

Weeß: 80 Prozent der Deutschen haben ein Schlafbedürfnis zwischen 6 und 8 Stunden. Allerdings gibt es Menschen, die mehr Schlaf benötigen als andere. Jeder sollte seinem individuellen Schlafbedürfnis entsprechend für Schlaf sorgen. Wenn wir oft zu wenig schlafen – und das passiert in unserer Gesellschaft den Eulen –, bekommen wir ein chronisches Schlafdefizit: Diese Menschen können nicht so früh ins Bett gehen, wie sie müssten und müssen früher aufstehen, als dass sie ausgeschlafen hätten. Dann neigen wir eher dazu, körperliche Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-, Stoffwechselerkrankungen und psychische Beschwerden zu bekommen. Hinzu kommt, dass Eulen, die nicht ausschlafen dürfen, ein schlechteres Gesundheitsverhalten im Alltag an den Tag legen: Sie neigen eher dazu, zu rauchen, zu einem gesteigertem Koffeinkonsum und essen eher ungesund. Für zwei Drittel der Deutschen beginnen Arbeit und Schule zu früh. 

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