„Wie geht’s?“Zum Essen mit Wein oder Sekt anstoßen? Ja, aber bitte richtig!

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Anstoßen? Ja, aber bitte richtig!

  • Aber bitte mit Stil! In unserer Kolumne „Wie geht’s?“ dreht sich alles um das richtige Verhalten. Ob bei offiziellen Anlässen, beim Essen, im Gespräch oder vor dem Kleiderschrank.
  • Protokollchefin Ingeborg Arians, Redakteurin und Modeexpertin Eva Reik, Restaurant-Chef Vincent Moissonnier sowie Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch schreiben abwechselnd über das richtige und stilvolle Auftreten.
  • Diesmal beantwortet Vincent Moissonnier die Frage, ob es mittlerweile verpönt ist, zum Essen anzustoßen. Und wie man ein Glas überhaupt halten sollte.

Köln – Ich habe gehört, es sei inzwischen unüblich oder gar verpönt, zum Essen mit Sekt- oder Weingläsern anzustoßen. Stimmt das?

Verpönt ist bei mir alles, was verpönt ist. Oder zumindest fast alles. Was Menschen, die einander mögen, miteinander am Tisch tun, bei sich zu Hause oder auch im Restaurant, das ist so lange in Ordnung, wie es niemanden stört. Eine Störung durch Gläserklingen kann ich mir auf Anhieb nicht vorstellen, es sei denn, Sie würden die Gläser vor jedem Schluck dreimal und mit voller Wucht aneinanderschlagen. Aber vielleicht würden Sie sich dadurch ja sogar selbst gefährden. Nicht auszudenken, was passiert, wenn eines der Gläser plötzlich bricht. Also: Dezent ist hier die bessere, sicherere Variante.

Vielleicht war derjenige, der Ihnen vom Zuprosten mit klingendem Glas abgeraten hat, ja ein Franzose. Bei uns war und ist diese Geste unüblich. In Deutschland dagegen ist es Teil des Kultur- und sogar des Liedguts: „Hell die Gläser klingen, / ein frohes Lied wir singen. / Mädel schenke ein! / Es lebe Lieb‘ und Wein / Leb wohl, auf Wiedersehn!“ Das kann man in älteren Sammlungen von Volks-, Stimmungs-, Matrosen- oder Soldatenliedern finden. Nicht so meine Musik, aber ein Hinweis auf den besagten Brauch.

Für einen Franzosen eine unerträgliche Vorstellung

In Frankreich heben wir das Glas einfach nur an und schauen unseren Nachbarn oder unser Gegenüber an. Allerdings gilt dafür bei uns auch nicht die Regel, dass man sich dabei möglichst tief in die Augen zu blicken habe. In Deutschland ist das ja sogar eine strafbewehrte Vorschrift: Wer sie verletzt, riskiert – so wird es mir jedenfalls immer erzählt – sieben Jahre Unglück oder, noch schlimmer, sieben Jahre schlechten Sex. Also, das wäre für einen Franzosen eine ganz und gar unerträgliche Vorstellung.

„Wie geht’s?“

In unserer Kolumne beantworten vier Experten abwechselnd in der Zeitung Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Ingeborg Arians, Protokollchefin der Stadt Köln a.D., weiß, wie man sich bei offiziellen Anlässen richtig verhält. Journalistin Eva Reik kennt sich bestens aus mit Mode und der passenden Kleidung zu jeder Gelegenheit. Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, hat die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete. Und Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren. (jf)

Senden Sie uns Ihre Fragen bitte per Mail an: Stilkolumne@dumont.de

Ich würde sagen: Vergessen Sie das Ganze einfach! Tun Sie mit Ihrem Glas einfach, was Ihnen gefällt. Niemand wird Sie dafür schief angucken – und wenn doch, ist es nicht Ihr Problem. Wozu ich Ihnen allerdings dann doch raten möchte, ist der richtige Griff ans Glas. Es schüttelt mich regelmäßig, wenn Leute ihr Sektglas oder ihr Weinglas mit zwei Fingern oder gar mit der ganzen Hand oben anfassen. Gestylt bis zum Dorthinaus – und dann ein Benehmen wie die Wikinger unter Deck. Das ist wirklich ein Stück Unkultur und im wahrsten Sinne des Wortes stillos – oder in diesem Fall besser: stiellos. Schließlich haben Sie nur aus einem einzigen Grund kein Senf- oder Saftglas als Trinkgefäß vor sich: Sie sollen es nämlich am Stiel anfassen. Das sieht viel eleganter und filigraner aus. Sie hinterlassen auf der klaren Glasfläche keine unschönen, fettigen Fingerabdrücke, womöglich genau da, wo Sie später dann Ihre Lippen ans Glas setzen. Der Griff zum Stiel ist also nicht nur ästhetischer, sondern auch hygienischer.

Es geht um die feine Geste

Manchmal heißt es, das Anfassen des Glases am Stiel habe mit der Handtemperatur zu tun. Man verhindere so das Aufwärmen des Weins im Glas. Nun, bis es soweit wäre, müssten Sie Ihr Glas wohl in eine Dauerumklammerung nehmen. Nein, ich glaube, es geht hier wirklich um die feine Geste.

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In einem schönen, dünnwandigen Kristallglas wird Ihnen Ihr Wein übrigens auf jeden Fall auch besser schmecken. Das ist kein Hokuspokus, sondern eine Mischung aus Physik und Psychologie. Bei den Herstellern feiner Gläser beschäftigen sich eigene Experten mit der Frage, wie das Weinglas am besten geformt sein sollte, damit sich das Bouquet am besten entfaltet oder damit die Flüssigkeit optimal im Mund ankommt. Außerdem trinkt das Auge immer mit. Stellen Sie sich nur mal ein Champagnerglas vor, schlank, leicht beschlagen, und dann das Geräusch des Champagners, wie er leicht schäumend im Glas nach oben steigt! Wir Franzosen nennen das ein perfektes Vorspiel.

Aufgezeichnet von Joachim Frank

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