Amazonas in Gefahr„Wir haben keine andere Wahl, als weiterzukämpfen“

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Carina ist 27 Jahre alt und gehört zum indigenen Volk der Desana. Ihr indigener Name lautet Horopakó. 

Novo Airão  – Der Amazonas-Regenwald ist mein Zuhause“, sagt Carina. Sie ist 27 Jahre alt und gehört zum indigenen Volk der Desana. Ihr indigener Name lautet Horopakó. „Als Kind spielte sich mein Leben am Fluss ab. Als ich in die Schule kam, habe ich mein erstes kleines Einbaum-Kanu bekommen und bin jeden Tag damit zur Schule gefahren. Dabei haben mich regelmäßig Delfine begleitet.“

Carina und ihr Volk stammen aus dem brasilianischen Amazonas-Regenwald in der Region Novo Airão am Rio Negro. Die nächste Großstadt ist die 180 Kilometer entfernte Amazonas-Metropole Manaus. Der Rio Negro ist der zweitgrößte Nebenfluss der Welt und mündet in den Amazonas.

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Ein Faultier auf einem Baum. 

Neben Delfinen gibt es dort riesige Fische, Schildkröten und Krokodile. Am Ufer ist es grün. Und bei jedem Blinzeln verändert sich das Grün, die majestätischen Bäume mit Lianen, Vögeln, Faultieren, Brüllaffen. Die erst richtig laut werden, wenn es dunkel ist. Dann erwacht der Wald: Insekten zirpen, Frösche quaken, Affen brüllen. Vor allem nachts ist der Wald voller magischer Energie.

„Vielen ist es peinlich, dass sie Indigene sind“

Carina wohnt in einem Dorf in einem Schutzgebiet. „Es hat sich aber schon extrem verändert. Die Orte in der Umgebung werden größer und urbaner, die Umweltverschmutzung nimmt zu, es kommen immer mehr Touristen wegen der Delfine.“ Dafür, dass ihr Paradies erhalten bleibt, kämpft Carina.

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Carina ist Lehrerin an einer Grundschule für Indigene im Schutzgebiet. Sie unterrichtet Stammessprachen und informiert über die indigene Geschichte und Traditionen.

Sie ist Lehrerin an einer Grundschule für Indigene im Schutzgebiet. Sie unterrichtet Stammessprachen und informiert über die indigene Geschichte und Traditionen. Dabei ist ihr wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler stolz auf ihre Herkunft sind und zu selbstbewussten Indigenen heranwachsen. „Vielen ist es peinlich, dass sie Indigene sind. Außerhalb des Schutzgebietes werden sie oft respektlos behandelt. Dabei sind wir ein stolzes, ein starkes Volk mit einer langen Geschichte.“ Sie wischt sich eine Träne weg.

Ein anderer wichtiger Schwerpunkt ist das Bewusstsein für den Erhalt der Natur, dem Respekt ihr gegenüber. „Früher haben wir ausschließlich von Kunsthandwerk und der Fischerei gelebt. Aber wir müssen immer länger nach Naturmaterial für den Schmuck suchen und die Fische werden auch weniger“, sagt Carina. „Und dann ist da noch die aktuelle Regierung. „Schutzgebiete werden verkleinert, Land wird verkauft. Aber ohne unser Land sind wir nichts. Ich kann mir gar nicht vorstellen, in einer Stadt zu wohnen. Unser Land gibt uns unsere Identität. Viele heilige Ort von uns existieren schon nicht mehr, weil es Touristen-Hotspots geworden sind oder weil dort die Natur ausgebeutet wird. Dabei sind diese Orte oft heilig, damit sie nicht zerstört werden, weil dort besondere Pflanzen, wie Heilpflanzen wachsen, oder es Quellen gibt.“

2020 verbrannte pro Minute eine Fläche von drei Fußballfeldern im Amazonas-Regenwald

Holzfäller schlagen hier tiefe Schneisen in den Wald, Goldgräber durchwühlen den Boden, lassen toxische Tümpel zurück. Waldbrände werden gelegt, denn abbrennen geht schneller als abholzen. Das baumfreie Land wird dann genutzt, um Soja anzubauen oder Vieh zu halten. 2020 verbrannte pro Minute eine Fläche von drei Fußballfeldern im Amazonas-Regenwald – jetzt sind es sogar noch mehr. Nach Daten des Nationalen Instituts für Weltraumforschung (INPE) sind im Juni dieses Jahres 2308 Brände im brasilianischen Amazonas-Gebiet registriert worden. Das seien 2,6 Prozent mehr als im Juni 2020, als die Zahl der Brände bereits einen Rekord erreicht hatte – und es sind so viele wie seit 14 Jahren nicht mehr.

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2020 verbrannte pro Minute eine Fläche von drei Fußballfeldern im Amazonas-Regenwald.

Das liegt einerseits am Klimawandel und der extremen Dürre in der Trockenzeit, die gerade beginnt. Dann gibt es mehrere Monate lang sowieso einen natürlichen Rückgang der Niederschläge. Auch der wird immer extremer. Es liegt aber auch an der Politik. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro sieht im Amazonasgebiet vor allem wirtschaftliches Potenzial und will die natürlichen Ressourcen der Region noch stärker ausbeuten. Kritikerinnen und Kritiker werfen ihm vor, mit dieser Haltung auch illegale Aktivitäten wie die Goldsuche in den Schutzgebieten zu verstärken. Bolsonaro kürzte die Mittel für den Umweltschutz stark ein und öffnete Schutzgebiete. Letzteres war ein Wahlversprechen.

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„Wir leben schon seit vielen, vielen Jahren mit dieser Invasion. Wir sehen sie in der Natur, spüren sie an unseren Körpern und im Geist“, sagt Carina. „Und wir kämpfen dagegen. Schon immer. Aktuell fühlt es sich an, als würde es nur noch schlimmer werden. Wir werden immer schwächer und weniger. Ich habe schon so oft um Verwandte geweint. Wir haben Angst.“ Denn ausgerechnet die, die den Wald schützen, stehen zunehmend unter Beschuss. Indigene, Umweltschützerinnen, Aktivisten. Sie werden verfolgt, erhalten Morddrohungen, ihre Häuser werden niedergebrannt.

Drei Tage Gefängnis, weil er Waldbrände löschen wollte

„Aber wir haben keine andere Wahl, als weiterzukämpfen“, sagt João Victor Pereira Romano. Er kommt ursprünglich aus der Metropole São Paulo, wohnt aber schon seit Jahren im Amazonas-Regenwald, in der Nähe der Stadt Santarém am Fluss Tapajós, rund 600 Kilometer den Amazonas flussaufwärts von Manaus. 2019 saß João drei Tage im Gefängnis, weil er als freiwilliger Helfer versuchte, Waldbrände zu löschen. Präsident Bolsonaro höchstpersönlich ordnete die Verhaftung an, mit der Begründung, die Helfer hätten die Waldbrände selbst gelegt. Bis Mitte Juli 2021 dauerte das Strafverfahren.

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João versuchte als freiwilliger Helfer, Waldbrände zu löschen. 

João Romano erinnert sich noch gut an den Einsatz. Die Feuer waren so nah an seinem Wohnort wie noch nie. Er und die anderen zehn Helferinnen und Helfer zogen sich T-Shirts zum Schutz gegen den Rauch vor das Gesicht – eine professionelle Ausrüstung hatten sie nicht. „Es gab zwei große offene Brandherde und eine dichte Rauchwand. Nasenbären sind auf mich zu gerannt und direkt zwischen meinen Beinen hindurch. Es war zum Verzweifeln.“ Er schluckt. „Aber diese Bilder motivieren mich weiterzumachen.“ Deswegen arbeitet der 30-Jährige heute beim halbstaatlichen Institut für Biodiversitätserhalt Chico Mendes. Doch wie allen Umweltorganisationen, wurden auch ihnen die Gelder gestrichen.

Amazons-Regenwald ist wichtig für den Klimaschutz 

Dabei ist der Amazonas-Regenwald nicht nur für die Menschen vor Ort enorm wichtig, sondern für uns alle. Er ist für den Klimaschutz von zentraler Bedeutung: Er schluckt rund ein Viertel aller CO2-Emissionen, die von der Erdoberfläche aufgenommen werden. Auch sein immenser Wasserhaushalt spielt eine wichtige Rolle. Die Vegetation des Amazonaswaldes und sein Wolkendach schützen vor einer stärkeren Aufheizung des Planeten. Wissenschaftler warnen seit Jahren vor einem „Point-of-No-Return“, wenn zwischen 20 bis 25 Prozent des Regenwaldes zerstört sind. Dann verliert der Amazonas-Regenwald seine Funktion als Lunge und Klimaanlage der Erde und verwandelt sich langfristig in eine Steppe.

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Blick aus dem Flugzeug hinunter auf den Amazonas-Regenwald

Ende Juni hatte die brasilianische Regierung das Abbrennen von Flächen im Amazonas-Gebiet für 120 Tage verboten. Das war auch im vergangenen Jahr der Fall – die Brände wüteten dennoch weiter. Carina und João setzen nicht mehr auf die brasilianische Regierung. Sie hoffen auf Hilfe und Druck aus dem Ausland, denn der Erhalt des Amazonas-Regenwaldes betrifft uns alle.

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