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Handwerk in DeutschlandCoronavirus – „Aufträge werden massenhaft storniert“

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schreiner interview handwerk

Das Handwerk steht in der Coronakrise vor großen Herausforderungen.

  • Vor der Coronakrise waren die Auftragsbücher im Handwerk voll.
  • Doch nun brechen private Aufträge sowie an die Industrie gekoppelte Arbeiten weg, und Kundenkontakt ist nicht möglich. Eine Pleitewelle droht.
  • Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverband des Deutschen Handwerks, sagt im Interview, wie dem Handwerk nun geholfen werden muss.

Das Coronavirus stürzt die Industrie in eine Krise. Sieht es beim Handwerk besser aus?

Nein! Noch vor wenigen Wochen ging es den allermeisten Handwerksbetrieben sehr gut, waren die Auftragsbücher zum Bersten voll. Und jetzt: Kunden bleiben weg, Aufträge werden massenweise storniert und die Umsätze brechen in einem Tempo und Maße ein, dass es für viele Betriebe, die das vor wenigen Wochen noch schier für unmöglich gehalten hätten, ans Eingemachte geht. Denen droht die Pleite. Kundenkontakt gehört für die meisten Handwerker zum Geschäftsmodell: Wenn jetzt die Kontakte möglichst auf Null gefahren werden, dann ist das in der gegenwärtigen Lage zur Verlangsamung der Infektionsausbreitung richtig und unbedingt geboten, aber es hat natürlich negative wirtschaftliche Folgen für unsere Betriebe. Viele von ihnen haben Rücklagen für vielleicht vier Wochen. Bei massiven Einnahmerückgängen oder gar -ausfällen bei gleichzeitig weiterlaufenden Kosten greift das schnell die Substanz an und führt zu einer Situation, in der viele vormals stabile und gesunde Betriebe um ihre Zukunft fürchten.

Wie stark ist die Konjunktur des Handwerks abhängig von der Industrie?

Handwerksbetriebe erzielen etwa 10 bis 15 Prozent ihrer Umsätze mit der Industrie. Weil das Handwerk seine Dienstleistungen viel stärker als die Industrie nah am Kunden erbringt, erweist sich die Handwerkskonjunktur in der Regel auch dann stabil, wenn die Industrie einmal schwächelt. Das hat sich vor der Corona-Krise gezeigt: Wegen der stabilen Binnenkonjunktur waren die Wachstumsraten im Handwerk deutlich positiv. Die Krise aber verändert nun alles. Betroffen sind jetzt nicht nur die industrienahen Dienstleister und Zulieferer aus dem Handwerk, die wegen der weltweit ins Stocken geratenen oder ganz weggebrochenen Lieferketten merkliche Umsatzeinbußen verzeichnen. Inzwischen sind alle Gewerke betroffen, wenn auch unterschiedlich stark. Erhebliche Einbußen haben alle Gewerke, die rund um das Veranstaltungswesen tätig sind, etwa Messebauer, Tischler, Maler oder wegen stornierter Cateringaufträge auch die Lebensmittelhandwerke. SHK-Betriebe und andere werden von privaten Auftraggebern nicht mehr in ihre Häuser und Wohnungen gelassen. Gebäudereiniger leiden unter der Absage von Sport- und Kulturveranstaltungen und der Schließung von Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen. Die Liste ließe sich fortführen.

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Vielen Hausbauern könnte das Geld ausgehen. Ist das eine Katastrophe für die Bauwirtschaft oder eher die Chance, Aufträge wieder kurzfristiger zu erledigen? Die Bauhandwerke haben in den letzten Jahren kontinuierlich ihre Kapazitäten erweitert, um der bislang hohen Nachfrage gerecht zu werden. Sollten nun weniger Bauvorhaben geplant werden, gibt das den Betrieben zwar erst einmal mehr Zeit, ihre hohen Auftragsbestände abarbeiten zu können. Sollten die Wohnungsbauaktivitäten jedoch anhaltend zurückgehen, hätte das mittel- und langfristig deutlich negative Effekte. Vielfach wurden zusätzliche Maschinen angeschafft, die dann nicht ausgelastet werden können. Finanzielle Engpässe wären die Folge. Der Fortbestand des Betriebes wäre gefährdet. Gerade geschaffene Personalkapazitäten müssten wieder verkleinert werden. Dabei zeigen die Erfahrungen des letzten Jahrzehnts, dass nicht ohne Weiteres bauwirtschaftliche Kapazitäten schnell mal wieder hochgefahren werden können, wenn sich eine Krise abschwächt. Deswegen ist die öffentliche Hand hier jetzt besonders gefragt und muss ihrer Vorbildfunktion gerecht werden, wenn es darum geht, erteilte Aufträge auch tatsächlich abzuarbeiten und nicht zu kündigen.

Wie voll sind die Auftragsbücher, wann kommt die Krise beim kleinen oder mittelständischen Betrieb an?

Unsere Betriebe kommen aus einer konjunkturell guten Lage und waren auf Monate hin ausgelastet. Doch so schnell, wie derzeit die Aufträge wegbrechen, bringt das schon jetzt viele Betriebe in die Situation, in der sie fürchten müssen, bald auf dem Trockenen zu stehen. Halten Auftragsstornierungen, Produktionsunterbrechungen und Quarantänemaßnahmen weiter so an, wird das deutliche Spuren im Handwerk hinterlassen. Und die werden umso größer sein, je länger die Krise andauert.

Die Bundesregierung verspricht zu helfen, damit Pleiten verhindert werden. Wird das auch für Handwerker gelten, die vergeblich auf Geld für erbrachte Leistungen warten?

Wir müssen jetzt verhindern, dass Betriebe in großer Zahl pleitegehen und Menschen ihre Arbeit verlieren. Dafür brauchen wir schnelle und unbürokratische Überbrückungshilfen für Handwerksbetriebe. Entscheidend wird sein, Betriebe rasch auf der Finanzierungs- und auf der Kostenseite zu entlasten, ihnen Liquidität zu verschaffen und ihnen wie etwa mit dem Kurzarbeitergeld Instrumente an die Hand zu geben, mit denen sie ihre Belegschaft über die Krise hinweg im Betrieb halten können. Politik muss mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln sicherstellen, dass Betriebe diese schwierige Phase durchhalten können. Denn sonst droht auch eine Gefährdung der Grundversorgung, an der unsere Handwerksbetriebe ganz wesentlichen Anteil haben. Nur wenn das gelingt, werden die Betriebe ihre Produktion ohne große Zeitverzögerung wieder hochfahren können, wenn sich die Situation wieder beruhigt hat.

Kann sich das Handwerk gerade in einer Krise, wie wir sie bisher nicht gekannt haben, als Stabilitätsfaktor erweisen?

In diesen Tagen wird deutlich, wie das Handwerk als Wirtschafts- und Gesellschaftsgruppe Verantwortung lebt. Die Handwerksbetriebe leisten nach Kräften und im Rahmen der Möglichkeiten Erhebliches, um neben dem eigenen Geschäftsbetrieb auch die Grundversorgung aufrecht zu erhalten und tragen damit zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stabilität unseres Landes bei. Textilreiniger etwa versorgen Krankenhäuser und Altenpflegeeinrichtungen mit desinfizierten Textilien, was essentiell ist, um die Ausbreitung des Virus gerade in den Risikogruppen zu verlangsamen. Gebäudereiniger gewährleisten die fachgerechte und hygienische Reinigung von Krankenhäusern, aber auch von Zügen, Flugzeugen und Büros. Bäcker, Metzger und Konditoren halten ihre Geschäfte geöffnet, damit die Bürger sich mit frischen Produkten versorgen können. Auch das Sanitär-, Heizungs- und Klimahandwerk sowie Elektriker oder die Kfz-Werkstätten erbringen weiterhin ihre Leistungen. Die Betriebe sind sich ihrer Verantwortung bewusst und setzen alles daran, die Kunden auch unter diesen schwierigen Umständen zu bedienen.

Das Handwerk klagt über Nachwuchsmangel. Könnte die Entwicklung in anderen Wirtschaftszweigen die Ausbildung zum Maurer oder Maler wieder attraktiver machen?

Die berufliche Ausbildung im Handwerk hält für alle jungen Menschen attraktive Zukunftsperspektiven bereit, daran hat sich nichts verändert.

Eine duale Ausbildung und ein Meisterbrief kamen in der Zeit vor der Krise quasi einer Versicherung gegen Arbeitslosigkeit gleich.

Die durchschnittliche Arbeitslosenquote von Meistern und Technikern ist schon seit Jahren etwas niedriger als die von Akademikern. Gerade in Zeiten wie diesen wird deutlich, wie wichtig alle Berufe sind, die die Infrastruktur einer Gesellschaft am Laufen halten. Und dazu zählen besonders auch Handwerksberufe. Und auch in der Zeit nach der Krise werden es maßgeblich Handwerksberufe sein, mit denen die Zukunft unseres Landes gestaltet wird: Ob bei der Umsetzung der Energiewende und von Klimaschutzmaßnahmen, bei der Ausstattung und Wartung künftiger Mobilitätsformen, beim Thema Smart-Home oder E-Health. Überall dort wird es nur mit Handwerkerinnen und Handwerkern gehen.

Und mal ganz konkret: Was bedeutet die Corona-Krise, wenn ich einen Installateur brauche? Kommt er rascher, weil er weniger Aufträge hat? Kommt er noch später, weil die halbe Mannschaft in Quarantäne ist? Oder kommt er gar nicht, weil er fürchtet, sich zu infizieren?

Wegen der beschlossenen Kontaktbeschränkungen wird die Erfüllung von Aufträgen im eigenen Zuhause der Kunden nur noch in Notfällen und unter Beachtung der Regeln möglich sein. Die meisten Handwerksbetriebe tun ihr Bestes, um etwa in den Lebensmittelhandwerken weiter frische Produkte herzustellen und in anderen Gewerken ihre gewohnte Servicequalität aufrecht zu erhalten. Dabei werden selbstverständlich die staatlichen Vorgaben beachtet. Natürlich achten unsere Betriebe auch darauf, ihre Mitarbeiter zu schützen. Wir alle befinden uns momentan in einer Extremsituation, die sich zudem täglich verändert. Jetzt geht es vor allem darum, alles dafür zu tun, damit unsere Betriebe über diese Krise hinaus weiter bestehen und eine Zukunft haben. 

Das Gespräch führte Ulla Jürgensson.

Hans Peter Wollseifer ist Präsident des Zentralverband des Deutschen Handwerks in Berlin.

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