Plädoyer für ein liberales StrafrechtsverständnisTaten oder Täter bestrafen?

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Das Strafrecht bekämpft also allein verbotenes Verhalten – nicht aber die Personen als solche.

  • In unserer neuen Serie „Recht und Ordnung“ wollen wir uns mit juristischen Themen aller Art befassen – und vor allem Ihnen mehr Durchblick im Paragrafen-Dschungel verschaffen.
  • Heute befasst sich die Kölner Strafrechts-Professorin Frauke Rostalski mit der Frage, wen oder was eigentlich das Strafrecht bekämpft.
  • Eine wichtige Frage, denn je nachdem ob wir Taten oder Täter bestrafen wollen, bietet sich ein gänzlich voneinander abweichendes Bild des Strafrechtssystems – mit weitreichenden Folgen für die Gesellschaft.

Gesetzentwürfe im Bereich des Strafrechts sind oftmals kämpferisch gestimmt – das folgt in den meisten Fällen bereits aus der Überschrift. Neue Strafvorschriften werden also beispielsweise „zur Bekämpfung“ von Korruption oder von Doping im Sport erlassen.

Bei solchen Formulierungen gilt es aber, ganz genau hinzuschauen, damit keine Missverständnisse entstehen. Wer die Korruption oder das Doping im Sport „bekämpft“, wendet sich gegen ein rechtswidriges Verhalten. Bestraft wird der Täter dann für sein jeweiliges Tun oder Unterlassen. Das Strafrecht bekämpft also allein verbotenes Verhalten – nicht aber die Personen als solche, die sich in verbotener Weise verhalten.

Zur Person

Foto: Csaba Peter Rakoczy

Alles zum Thema Universität zu Köln

Frauke Rostalski, geboren 1985, ist geschäftsführende Direktorin des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität zu Köln. Im Januar 2018 wurde sie dort auf den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung berufen.

Rostalski studierte Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg und promovierte dort von 2009 bis 2011. Im Anschluss an ihre zweite juristische Staatsprüfung 2013 verbrachte sie Forschungsaufenthalte an der Nanjing Universität (China) und der Seoul Universität (Korea). 2017 promovierte sie  auch im Fach Philosophie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. (jf)

Der Unterschied ist alles andere als trivial, im Gegenteil: Für das Strafrecht ist die Entscheidung, ob wir Taten oder Täter bestrafen wollen, von zentraler Bedeutung. Je nachdem, wie an diesem Punkt die Weichen gestellt werden, bietet sich ein gänzlich voneinander abweichendes Bild des Strafrechtssystems mit weitreichenden Folgen für die Gesellschaft.

Ein Beispiel: In einem Täterstrafrecht, das den Fokus auf die Bestrafung von Personen richtet, kommt es maßgeblich darauf an, mit welchem Menschen wir es im Einzelfall zu tun haben. Aus diesem Grund rückt die Bewertung seiner individuellen Einstellung, seines Charakters ebenso wie seiner allgemeinen Lebensführung ins Zentrum der Betrachtung. Die Nachteile eines solchen Modells: Gedanken ebenso wie Gesinnungen, die zu keinem schädigenden Verhalten führen, müssen für das Strafrecht unbeachtlich sein und bleiben. Anderenfalls dringt das Instrument der Bestrafung zu weit vor in die geschützte Freiheitssphäre des Einzelnen – und am Ende sind nicht einmal mehr die Gedanken frei.

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Ganz zu Recht entscheidet sich das geltende Strafgesetzbuch daher für ein Tatstrafrecht und ahndet damit kriminelle Verhaltensweisen – und nicht kriminelle Personen. Wie wichtig dieser Unterschied ist, belegt nicht zuletzt ein Blick zurück auf die deutsche Geschichte, die auch düstere Phasen eines Täterstrafrechts kennt. Die Rede ist vom nationalsozialistischen Strafrecht, das die Bestrafung vollends auf die Verwirklichung des völkischen, rassistischen und totalitären NS-Staates legte.

Vortrag

Das von unserer Kolumnistin geleitete Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität zu Köln hat den Göttinger Professor Kai Ambos, Experte für Straf- und Völkerrecht, für einen Vortrag über das „Nationalsozialistische Strafrecht“ gewonnen. Die Veranstaltung ist öffentlich, der Eintritt ist frei. Interessierte Leserinnen und Leser sind zur Teilnahme eingeladen. Dienstag, 19. November, 19 Uhr, im Neuen Senatssaal (Hauptgebäude) der Universität, Albertus-Magnus-Platz. (jf)

Die unerträglichen Konsequenzen sind hinlänglich bekannt. Infolge eben jener Ausrichtung wurden bestimmte Personen und Personengruppen per se zu „Volksschädlingen“, die es zu bekämpfen galt. Von einem rechtsstaatlichen Strafrecht ist dies die wohl am weitesten entfernte Vorstellung. Umso wichtiger erscheint es, sich der menschenverachtenden, für die Gesellschaft zerstörerischen Folgen zu erinnern und den Gegenentwurf eines liberalen Strafrechtsverständnisses wertzuschätzen, das wir unserem gesellschaftlichen Zusammenleben zugrundelegen.

Zu unserer Serie

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recht-und-ordnung@dumont.de oder per Post an: „Kölner Stadt-Anzeiger“ z.Hd. Joachim Frank Stichwort „Recht und Ordnung“ Neven DuMont Haus, 50590 Köln. 

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