„Petit Poisson“Kult-Restaurant nach fast 40 Jahren geschlossen

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Auch die gesamte Außendeko des einstigen Sternelokals wird abgebaut. Die roten Blumenkästen und Lampen, die Gitterverzierungen sowie das Jugendstil-Glasdach über der Tür verschwinden.

Auch die gesamte Außendeko des einstigen Sternelokals wird abgebaut. Die roten Blumenkästen und Lampen, die Gitterverzierungen sowie das Jugendstil-Glasdach über der Tür verschwinden.

Bonn – In diesem Restaurant war jeden Abend Premiere. Die Gäste, ob Prominente oder solche, die lange für ein Menü gespart hatten, ob Politiker oder Geburtstagskinder: Sie alle schrieben stets ein neues Theaterstück, in einer Kulisse aus kreativen Menüs, savoir vivre und großer Gastlichkeit. Nun ist der letzte Vorhang gefallen: Das „Petit Poisson“ in der Wilhelmstraße, nebenan vom Amts- und Landgericht, hat Ende Mai nach fast 40 Jahren geschlossen.

Kultstätte wird komplett aufgelöst

Und nicht nur das. Die gastronomische Kultstätte wird komplett aufgelöst: In wenigen Tagen wird nichts mehr an den Ort erinnern. Gäste sollen schon beim letzten Dinner in ein Versteigerungsfieber geraten sein und sich Erinnerungsstücke gesichert haben. Der blau-gelb schillernde Fisch mit dem weit geöffneten Mund und den flach am Gipskörper angelegten Flossen, der für den, der eintrat, immer nach links schwamm, gehörte zu den ersten sentimentalen Souvenirs; er soll für 180 Euro erstanden worden sein. Das gesamte Gastro-Inventar steht zum Verkauf. Mitarbeiter eines Brauhauses aus Linz holten dieser Tage Tische ab, und auch Eifel-Trödler Walter Lehnertz, bekannt als „80 Euro Waldi“ aus der ZDF-Sendung „Bares für Rares“, kam in das Lokal, in dem man unter der meerblauen Decke nur noch die einstige Pracht ahnen kann. Die roten Polster auf den Sitzbänken, die Spiegel, Gemälde, Leuchter, prachtvolle Blumengestecke: alles weg. Teller, auf denen noch vor kurzem feinste Speisen angerichtet wurden, stehen zu Dutzenden auf Anrichten, Stapel von Stoffservietten in Farben so bunt wie ein Kaleidoskop, liegen daneben. In der überraschend kleinen Küche, in der kulinarische Meisterwerke hergestellt wurden, stehen Töpfe und Pfannen.

Hausherrin Johanna (Hanni) Reinarz, die mit ihrem Partner, Maître Ludwig Reinarz, das „Petit Poisson“ (Kleiner Fisch) 1979 zunächst als Bistro eröffnet hatte, zeigt einer jungen Frau, die zum „Tschüss!“-Sagen angeklopft hat, wie die Servietten gefaltet werden: Sie legt eine grüne und eine beige übereinander, so dass sie eine Art Bischofsmitra bilden: „Jetzt noch ein buntes Band drum: fertig!“. Diese Arrangements, individuell für jeden Tisch, und dazu üppige Blumen, immer frisch vom Großmarkt, waren es, die jeden Gast staunen ließen. Hanni Reinarz gab den kulinarischen Kompositionen des Chefkochs den dekorativen Rahmen.

Das war 1979 neu in Bonn: Frische Fische, Meeresfrüchte vor allem, wurden damals in der Bundeshauptstadt kaum angeboten, die Küche war zumeist gediegen gutbürgerlich, doch die Menschen waren ganz heiß auf Neues, auf französisch angerichtete Speisen, und stürmten gleich am Eröffnungstag das „Petit Poisson“.

Chefin Hanni Reinnarz muss sich auch von den Bildern und dem sonstigen Inventar des „Petit Poisson“ trennen.

Chefin Hanni Reinnarz muss sich auch von den Bildern und dem sonstigen Inventar des „Petit Poisson“ trennen.

Gäste kamen immer wieder

Viele Gäste von damals kamen immer wieder, später auch deren Kinder. „Wo sollen wir denn jetzt hingehen?“, fragten sie, als das Restaurant nach einer Geburtstagsfeier, für die ein 70-Jähriger das ganze Lokal gemietet hatte, geschlossen wurde. Die Arbeit am Herd hat ihren Tribut bei Ludwig Reinarz gefordert, er musste kurz nach dem letzten Abend zu einer lange fälligen Operation ins Krankenhaus.

Fernsehtrödler Waldi ist gerade von Dreharbeiten vorgefahren, der Rücken ist voller Mückenstiche, sein linker Arm schmerzt. Lehnertz, der bei „Bares für Rares“ immer mit 80 Euro als Höchstgebot in die Versteigerung einsteigt, hat sich nach einer Wette ein Tattoo mit seinem Markenzeichen „80 Euro Waldi“ stechen lassen. Und das tut noch weh.

Er umarmt Hanni Reinarz, nennt sie „Engelchen“ und „„ne ganz Liebe“ und baut die gesamte Außendeko des einstigen Sternelokals ab, die so lange das Pariser Flair des Eckhauses an der Wilhelmstraße 23a ausmachte: Die roten Blumenkästen, aus dem einst die Glyzinien wuchsen, die roten Lampen, die Gitterverzierungen, vor allem das Jugendstil-Glasdach über der Tür, das an den Eingang zur Pariser „Metro“ erinnerte. Das ganze Ensemble will er auf seinem Antik-Hof in Krekel wieder anbringen lassen. Auch die Kücheneinrichtung nimmt er mit.

Und Hanni Reinartz? Die hat wie immer auf alles ein wachsames Auge, und hat dann trotzdem noch Zeit, aus einer Ecke ein Bild hervorzuholen. Der Pantomime Marcel Marceau (1923-2007) hat es gemalt, es zeigt ihn in seiner berühmtesten Rolle als „Monsieur Bip“, und ein Gast hat es ihr zum Abschied geschenkt. „Da schließt sich der Kreis“, sagt sie: Als 13-Jährige machte sie eine Lehre im Hotel auf der Godesburg, und Marceau war dort ihr Frühstücksgast. Jetzt wird sie die Kohle-Zeichnung mit nach Hause nehmen.

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