„Ausländerkinder-Pflegestätte“Ein Großteil der Kinder starb innerhalb weniger Monate

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Archivar Jens Löffler versucht, mehr über „Ausländerkinder-Pflegestätte“ in Alfter im Jahr 1944 herauszufinden. Hier starben offenbar die Babys von Zwangsarbeiterinnen.

Archivar Jens Löffler versucht, mehr über „Ausländerkinder-Pflegestätte“ in Alfter im Jahr 1944 herauszufinden. Hier starben offenbar die Babys von Zwangsarbeiterinnen.

Alfter – Eines von vielen dunklen Kapiteln während der Nazi-Herrschaft betrifft das Schicksal von Zwangsarbeitern. Ein bislang wenig beachteter Aspekt, die „Ausländerkinder-Pflegestätte“ in Alfter im Jahr 1944, wird derzeit von Gemeindearchivar Jens Löffler aufgearbeitet. Hintergrund ist ein Bürgerantrag, der die Verwaltung im Februar erreicht hatte. Die Antragsteller waren bei Recherchen zum Schicksal von Zwangsarbeitern im Nationalsozialismus in der Region Bonn auf eine sogenannte „Ausländerkinder-Pflegestätte“ in Alfter aufmerksam geworden.

„Die Nachforschungen stehen erst am Anfang“, wie Löffler auf Anfrage erklärte. So gibt es auch noch keine Hinweise, wo diese Pflegestätte seinerzeit überhaupt in der Gemeinde existiert hatte. Zahlen und Fakten kann der Archivar erst nennen, wenn er die entsprechenden Quellen ausgewertet und seine Recherchen beendet hat. Dies könnte noch einige Zeit dauern, denn das Kapitel „Zwangsarbeiter auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde Alfter“ soll möglichst umfassend aufgeklärt werden. Aufgenommen wurden bereits externe Recherchen im Stadtarchiv Bonn, im Archiv des Rhein-Sieg-Kreises und beim NRW-Landesarchiv.

Etwa 400 bis 600 Einrichtungen im Reich

Darum geht es: Junge Mütter unter den Zwangsarbeitern mussten nach der Entbindung ihre Kinder möglichst schnell in diese Pflegestätten abgeben. „Bundesweit ist das Thema bislang nicht systematisch untersucht worden und eine Überblicksstudie fehlt“, schildert Löffler, „im damaligen Reich wird es etwa 400 bis 600 solcher Einrichtungen gegeben haben, die von der Größe her variiert haben dürften.“ Für die Region Bonn ist laut den Antragstellern eine in Alfter nachgewiesen. Dies belegen Quellen, die die Bürger vorgelegt haben. Von Mai bis November 1944 waren dort 32 Mädchen und Jungen untergebracht, von denen elf in Alfter starben, sechs weitere nach einem Krankenhausaufenthalt: „Insgesamt ist von einer noch höheren Zahl von Opfern im Raum Bonn auszugehen, rechnet man etwa die 20 nachgewiesenen Kindergräber auf dem Bonner Nordfriedhof hinzu“, so die Petenten, „ohne Übertreibung kann hier von einem Säuglings-Sterbelager gesprochen werden. Ein Großteil der Kinder starb innerhalb weniger Monate an unzureichender Ernährung, Kälte, Krankheiten, fehlender Hygiene und ungenügendem Engagement des Personals.“ Bedrückend ist besonders, dass noch vor 20 Jahren eine Mutter von Australien aus versuchte, das Schicksal ihres Kindes in dieser „Pflegestätte“ zu klären.

Suche nach Zeitzeugen

Neben Ergebnissen aus den Recherchen von Jens Löffler hoffen die Antragsteller zudem noch Zeitzeugen zu finden, die zu dem Thema Auskunft geben könnten: „Da die Zahl solcher Kontakte altersbedingt stetig abnimmt, wäre es wünschenswert, sich zügig der Sache anzunehmen“, schreiben die Bürger.

Für die Verwaltung ist diese Aufarbeitung eine wichtige Aufgabe. Sie möchte, dass an die Schicksale der Betroffenen „angemessen historisch“ erinnert wird und die Wissenslücken geschlossen werden. Glücklicherweise wurden im November 2019 bei einer Begehung der Registratur des Ordnungsamtes alte Meldekarten gefunden, die bereits in das historische Gemeindearchiv übernommen worden sind.

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Hierunter befand sich auch ein Ausländermelderegister, das etwa 1920 beginnt und bis in die fünfziger Jahre hineinreicht. Augenscheinlich, so die Gemeinde, handelt es sich hierbei um Meldekarten, die während der kommunalen Neugliederung 1969 zunächst an das Bonner Stadtarchiv abgegeben worden waren und in den 1980er Jahren zurück zur Gemeinde Alfter kamen. Die rund 900 größtenteils handschriftlich geführten Meldekarten sind bereits konserviert und werden transkribiert. Laut Gemeindeverwaltung ist in der Literatur die Existenz einer „Ausländerkinder-Pflegestätte“ bereits seit spätestens 1990 bekannt, wurde jedoch bisher wenig rezipiert.

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